Süddeutsche Zeitung

FDP-Urgestein Hirsch:Merkwürdige Phalanx gegen den Rettungsschirm

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Kann ein überzeugter Europäer gegen die Euro-Rettung sein? Ja, er muss es sogar, sagt Burkhard Hirsch. Eine gemeinsame Haftung für Schuldenländer gefährdet in seinen Augen die Freiheit in Deutschland und in Europa. Deshalb will der Altliberale jetzt einen Mitgliederentscheid in der FDP erzwingen - und ist sogar bereit, sich mit D-Mark-Nationalisten und Marktradikalen einzulassen.

Heribert Prantl

Es ist fast so wie im ersten Streich von Max und Moritz: "In die Kreuz und in die Quer, reißen sie sich hin und her." Bei Max und Moritz wird das Durcheinander ausgelöst von ein paar Brotbrocken, die mit Schnüren aneinander gebunden sind. In der aktuellen Politik ist die Sache viel, viel ernster, aber das Durcheinander noch größer; es wird ausgelöst vom Euro und von den Euro-Rettungsmaßnahmen.

Es zeigt sich: Der Euro wird unterschätzt; er hat ungeheuere Kraft. Er bringt nämlich zusammen, was nicht zusammengehört. Er überwindet Abneigungen, er schlägt Brücken über ideologische Abgründe. Er führt Menschen zusammen, die sonst nie zusammengefunden hätten. Er macht aus politischen Gegnern politische Freunde. Er rückt einen Burkhard Hirsch, FDP, an die Seite von Peter Gauweiler, CSU, und von Wolfgang Bosbach, CDU.

In den Fragen der inneren Sicherheit liegen zwischen dem Altliberalen Burkhard Hirsch und den Konservativen Welten - dazwischen liegen unter anderem die Vorratsdatenspeicherung, der Lauschangriff, die elektronischen Wanzen. Wenn es aber um den Euro geht - nur Millimeter. Wenn es gegen den Euro geht, also um die Ablehnung der Euro-Rettungspakete und der Griechenlandhilfe, um die Ablehnung des real existierenden Europa, dann stehen Hund und Katz auf einmal in einer Reihe. Burkhard Hirsch steht auf einmal bei Leuten, bei denen er - der Streiter für Rechtsstaat und Bürgerrechte - sein langes politisches Leben lang noch nie gestanden ist.

Brüderle reagierte nicht

Hirsch redet in dieser merkwürdigen Phalanx so wortgewaltig wie eh und je: Die Brüsseler Kommission erinnert ihn "an das Zentralkomitee der KPdSU", und der milliardenschwere Europäische Stabilitätsfonds EFSF lässt ihn fürchten, dass die Politik damit "den Lebensertrag unserer Bürger aufs Spiel setzt". Hirsch erzählt, er habe den EFSF-Vertrag über die Einrichtung eines unbefristeten europäischen Stabilitätsmechanismus einem renommierten Wirtschaftsprüfer zur Prüfung vorgelegt; der habe, sagt Hirsch, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Daraufhin schrieb der Bundestagsvizepräsident a. D. einen Brief voll Entsetzen an Rainer Brüderle, den Fraktionschef der FDP im Bundestag; der reagierte aber nicht.

Doch jetzt muss er reagieren. Burkhard Hirsch hat sich nämlich mit an die Spitze der Bewegung gestellt, die einen Mitgliederentscheid der FDP beantragt. Es ist so gut wie sicher, dass es diesen Entscheid geben wird: Hirsch und Co. wollen damit erzwingen, dass die FDP im Bundestag jedwede unbefristete Rettungsmaßnahme für den Euro ablehnt, jede Form von gemeinschaftlicher Haftung für Schulden einzelner EU-Staaten. Auch jener Rettungsmechanismus, der kurz ESM heißt, soll von der FDP im Bundestag abgelehnt werden.

Hirsch & Co. Der "Co." ist vor allem der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, halb so alt wie der 81-jährige Hirsch. Schäffler ist ein Marktradikaler, einer, der - nach den Worten von Hirsch - daran glaubt, "dass eine möglichst effektive Wirtschaftspolitik auch alle sozialen Probleme wie mit Geisterhand löst", ein Glaube, "der zutiefst unhistorisch ist". Schäffler schreibt die Wörter Gemeinwohl und Sozialstaat so klein, dass es für einen Sozialliberalen wie Hirsch schon unanständig ist. Aber Hirsch nennt den Parteikollegen einen "anständigen Menschen", weil der schon seit Jahr und Tag gegen die "unkalkulierbaren Euro-Risiken" agitiert.

Hirsch mag Leute, die sich nichts grausen lassen, so einer ist er selbst auch. Man hat ihn zwar nie, wie es zuletzt Schäffler geschah und geschieht, einen "Quartalsirren" genannt - dafür ist der Respekt vor Hirsch viel zu hoch. Aber schlecht behandelt hat man ihn oft. Er war einst Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Bundesminister hat ihn die Partei nicht werden lassen, obwohl er als einer ihrer klügsten Köpfe gilt. Aber: Seine Klugheit ging der Partei gegen den Strich. Über Jahre hin war er einer der ganz wenigen in der Partei, die noch die Fahne der vormaligen Rechtsstaatspartei FDP hochhielten.

Zum Beispiel beim ersten Mitgliederentscheid der FDP, vor 16 Jahren, als Parteiführung und Partei gegen Hirschs heftigen Widerstand für den großen Lauschangriff stimmten. Damals ging er zusammen mit seinem Freund Gerhart Baum und mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ins innerparteiliche Exil. Jetzt will er aus diesem Exil heraus - aber mit einem ganz anderen Thema: Er will, dass seine Partei das "Sich-Herumdrücken und Herumdrucksen in der Währungsfrage" beendet. Man rede ja "nicht über Firlefanz", sondern über "x-hundert Milliarden". Diese Milliarden wiegen für ihn fast so schwer wie die Freiheitsrechte, für die er immer gekämpft hat. Geld ist, auch für einen Rechtsstaatsliberalen, geprägte Freiheit. Geldgefährdung ist Freiheitsgefährdung.

Wenn Hirsch kämpft, dann liebt er, eher untypisch für einen Juristen, die klare, manchmal auch drastische Sprache. Und dann fragt er nicht, ob es genehm ist, was er zu sagen hat. Wenn es für ihn um den liberalen Geist geht, dann nimmt er es in Kauf, auch denen auf den Geist zu gehen, die ihn mögen. Sturheit hat man ihm deswegen oft vorgeworfen. Es ist eine liebenswürdige Sturheit; er selbst nennt es Überzeugung. Und von seiner Kampagne gegen den Rettungsschirm ist er so überzeugt, wie er von seinen - erfolgreichen - Klagen gegen Luftsicherheitsgesetz, Lauschangriff und Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht überzeugt war.

Erinnerungen an Churchill

Hirsch nennt sich einen überzeugten Europäer - und der sei er, seit er als Teenager die berühmte Züricher Rede von Winston Churchill an die akademische Jugend Europas gehört habe. Die Rede ist fast auf den Tag genau 65 Jahre alt, Churchill hielt sie am 19. September 1946, und er forderte darin die "Vereinigten Staaten Europas". Diese Vereinigten Staaten wollen nun die allermeisten derjenigen, die heute mit Hirsch gegen die Euro-Rettungsaktionen streiten, partout nicht. Bei seinem Mitgliederentscheid steht er neben Leuten, die "mehr Europa" erbittert ablehnen. Er steht neben D-Mark-Nationalisten und Leuten, die die EU am liebsten rückabwickeln würden. Aber das ficht Hirsch nicht an.

Er sieht in der Krise ganz andere Chancen als seine Mitstreiter: Er sieht die Chance, "zu einer europäischen Wirtschaftsregierung zu kommen, die sich parlamentarisch verantworten muss". Er sieht die Chance, dass die Krise eine echte europäische Demokratie erzwingt, weil sie von den Eliten allein nicht gelöst werden könne: "Es wird ein Europa der Bürger sein, oder es wird keines sein." Mit der Europafahne in der Hand streitet er gegen die Euro-Rettung - "kein Schritt mehr ohne Volksabstimmung".

Vor etlichen Jahren, als Hirsch - stark angefeindet, aber akribisch und fleißig wie immer - im Auftrag der Regierung Schröder nach den verschwundenen Akten des Kanzleramts Kohl fahndete, tat es ihm besonders gut, in die Luft zu gehen: mit dem Gasballon, alles von oben sehen. Von da oben sieht er, was seine derzeitigen Streitgenossen nicht sehen und auch gar nicht sehen wollen: den demokratischen Bundesstaat Europa.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2011
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