FDP und Bürgergeld:Fordern ohne Fördern

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Die Idee des Bürgergeldes bedeutet keinen Linksruck in der FDP - die Partei verwechselt nur Sozial- und Finanzpolitik. Die Arbeitslosigkeit lässt sich nicht auf einem Bierdeckel bekämpfen.

Charlotte Frank

Dass Guido Westerwelle eines Tages in der Nähe sowohl von Thomas Morus als auch von Oskar Lafontaine gesehen wird, ist ein Treppenwitz besonderer Art. Der Moralphilosoph Thomas Morus entwickelte im 16. Jahrhundert in seinem Roman "Utopia" die Idee eines Lebensunterhalts, der allen Bürgern eines Staates ausgezahlt werden solle; damit wollte er die arme Bevölkerung vom Diebstahl abhalten. Der Politiker Lafontaine ist bekannt als Verfechter einer finanziellen Grundsicherung; damit will er Hartz IV überflüssig machen. Nun möchte Westerwelles FDP scheinbar die Linken noch übertrumpfen. Scheinbar. Mit ihren Plänen für ein Bürgergeld wollen die Liberalen nicht nur Hartz IV abschaffen, sondern das ganze Sozialsystem umkrempeln; weil, wie Westerwelle schon lange klagt, "immer weniger bei den wirklich Bedürftigen ankommt".

Die FDP möchte alle angeblich 138 verschiedenen steuerfinanzierten Sozialleistungen - etwa Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld - in einer Pauschale, eben dem Bürgergeld, zusammenfassen. Ein alleinstehender Erwachsener würde 662 Euro im Monat bekommen, unabhängig von seiner Vorgeschichte und seinen Lebensumständen.

Bei dieser Vereinheitlichung bleibt es nicht: Statt wie bisher 45 unterschiedlicher Stellen, die die Zuwendungen auszahlen, würde für das Bürgergeld nur das Finanzamt zuständig sein. Das soll Bürokratiekosten senken und "jene belohnen, die aus eigener Kraft Arbeit aufnehmen." Denn nur wer bereit ist, eine zumutbare Stelle anzutreten, soll die Leistung in vollem Umfang erhalten, betonen die Liberalen.

Womit klar wäre, dass mit dem Nein zu Hartz IV die Parallelen zwischen Westerwelle und Lafontaine auch schon wieder enden. Es geht kein Linksruck durch die FDP, es geistert auch nicht der Gedanke eines sozialromantischen Grundeinkommens durch die Partei. Denn ein Grundeinkommen, wie es zum Beispiel Götz Werner fordert, Inhaber einer Drogeriekette und eines "Lehrstuhls für Entrepreneurship" in Karlsruhe, ist an keinerlei Bedingungen gebunden. Stattdessen setzt es auf die Abschaffung des Arbeitszwangs. Dadurch, so Werner, würden überflüssige Arbeiten durch Maschinen ersetzt, die verbleibenden lukrativen Stellen dafür angemessen bezahlt.

Das Bürgergeld hingegen setzt gerade auf Arbeitszwang und auf "konsequente und bewehrte Verpflichtung mit Sanktionen", wie der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff betont. Es setzt also ausschließlich auf materielle Anreize, um Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das ist symptomatisch für die FDP, denn es zeigt, wie leicht sie Sozialpolitik mit Finanzpolitik verwechselt; und wie leichtfertig sie mit Konzepten jongliert, die wie soziale Wohltaten daherkommen, es aber nicht sind.

Es reicht nicht, dass ein Staat Arbeitslose nur alimentiert. Viele Menschen, vor allem Langzeitarbeitslose, sind auch auf aktivierende Hilfe angewiesen, um sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Mit Geld und der Drohung von Zuwendungskürzungen - die im Übrigen auch das aktuelle Arbeitslosengeld II schon ermöglicht - ist das nicht erreicht. Doch die FDP beantwortet den alten Streit ums Fordern und Fördern, der seit Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetze schwelt, mindestens so simpel wie das Bürgergeld beschaffen ist: Sie schafft das Fördern einfach ab.

Dabei nimmt ausgerechnet die FDP eine gefährliche Gleichmacherei in Kauf: Das Bürgergeld ist blind für individuelle Lebensumstände. Es blendet aus, dass Armut ein vielschichtiges Problem ist und viele Gesichtern hat. Nicht jeder braucht das Gleiche; jeder würde aber von der FDP das Gleiche bekommen. Wie unsinnig das ist, bewies unlängst FDP-Generalsekretär Dirk Niebel: Nachdem die Union kritisiert hatte, das Bürgergeld würde regional unterschiedliche Lebenshaltungskosten ignorieren, erklärte er, selbstverständlich würde dies berücksichtigt; womit die einheitliche Pauschale gleich die erste Ausnahme hätte.

Weitere würden zwangsläufig folgen. Doch dazu wird es nicht kommen: Denn das Bürgergeld hat politisch keine Chance. Nicht nur, weil es einer Verfassungsänderung bedürfte, um die Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Kommunen neu zu ordnen. Dafür hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit.

Vielmehr widerspricht die FDP mit dem Bürgergeld ihren ureigenen Prinzipien. Wenn in Zukunft nur noch die Finanzämter für die Bearbeitung des Bürgergeldes zuständig wären, fielen dort enorme Datensammlungen an: Unter einer Kennzahl wüsste die Behörde Bescheid über alle steuerlichen und sozialen Daten eines Bürgers. Sämtliche Subventionen, Freistellungen, Rentenzahlungen, Stundungen, Werbungskosten und Bankverbindungen würden zusammengefasst. Ausgerechnet die Partei, die sich dem Kampf gegen den gläsernen Bürger verpflichtet fühlt, würde das Sozialgeheimnis attackieren.

Dass das Einfache manchmal komplizierte Probleme mit sich bringt, musste 2003 bereits ein anderer Politiker erkennen: Friedrich Merz. Der CDU-Finanzexperte wollte das Steuersystem so simpel gestalten, dass eine Steuererklärung auf einen Bierdeckel passt. Damit scheiterte er. Ähnliches dürfte der FDP mit ihrem Bürgergeld passieren. Ganz einfach.

© SZ vom 8.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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