FDP-Politiker Zastrow:"Gauck ist ein Liberaler wie wir"

Der sächsische FDP-Chef Holger Zastrow kritisiert die eilige Kandidatenkür von Christian Wulff und preist dessen Rivalen Joachim Gauck als Vorbild. Der Ausgang der Präsidentenwahl sei offen.

Oliver Das Gupta

Holger Zastrow, Jahrgang 1969, hat sein politisches Engagement in der Wendezeit 1989/90 begonnen. Seine politische Heimat war von Beginn an die FDP, seit 1999 bekleidet der gebürtige Dresdner Spitzenpositionen im Landesverband: Zastrow ist Parteichef und führt die FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, seit 2000 ist er auch Mitglied im FDP-Bundesvorstand. Holger Zastrow ist Geschäftsführer einer PR-Agentur.

Für den Liberalen Holger Zastrow präsidabel: Pfarrer und ehemaliger DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck

Für den Liberalen Holger Zastrow präsidiabel: Pfarrer und ehemaliger DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck

(Foto: rtr)

sueddeutsche.de: Herr Zastrow, die schwarz-gelbe Allianz hat Christian Wulff für die Bundespräsidentenwahl nominiert - doch die Personalie findet in der FDP, aber auch in der Union nicht überall Beifall. Was stört die Sachsen-FDP an dem Kandidaten?

Holger Zastrow: Nichts, ich habe keine Bedenken gegen Wulff.

sueddeutsche.de: Was genau spricht für ihn?

Zastrow: Eine ganze Menge: Als jüngerer Politiker könnte er das Amt neu prägen, das täte Deutschland sicherlich gut. Zudem führt er seit vielen Jahren ein erfolgreiches Landesbündnis von Union und FDP. Wulff zeigt in Niedersachsen, dass bürgerliche Politik funktioniert. Er gibt Schwarz-Gelb in Berlin wichtige Impulse. Wulff wäre mit seiner ausgleichenden Art in ein paar Jahren sicherlich auch ein guter Kanzlerkandidat. Das Amt des Bundespräsidenten könnte er voll und ganz ausfüllen - genauso wie Joachim Gauck.

sueddeutsche.de: Was gefällt Ihnen an dem ostdeutschen Theologen?

Zastrow: Es lohnt, sich mit Joachim Gauck länger und intensiver auseinanderzusetzen. Er ist eine Identifikationsfigur für die friedliche Revolution in der DDR von 1989. Gauck kämpfte couragiert und unerschrocken für seine Überzeugungen. Allen, die in Ostdeutschland für die Wende und die Einheit gekämpft haben, spricht Joachim Gauck aus der Seele. Das kann ich als einer, der 1989 selbst auf die Straße gegangen ist, nicht einfach wegwischen. Und so geht es sehr vielen hier.

sueddeutsche.de: Fühlen Sie sich als Liberaler bei Gauck gut aufgehoben, der sich als "linker liberaler Konservativer" bezeichnet?

Zastrow: Gauck mag sich über den Lagern wähnen, tatsächlich verkörpert er sehr viel davon, was die FDP will.

sueddeutsche.de: Können Sie Beispiele nennen?

Zastrow: Er steht wie wohl kein Zweiter in diesem Lande für die Freiheit. Und der Mann kann reden: Gauck sprach im Oktober 2007 zu den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit hier im Sächsischen Landtag. Es war eine der besten Reden, die ich je gehört habe: Sie enthielt die Werte Freiheit, Leistungsgerechtigkeit, die Bereitschaft zum Wettbewerb, kurzum: die Urvokabeln der Freien Demokratischen Partei. Gauck erinnerte, weshalb wir damals aufbegehrt haben, was wir eigentlich wollten.

sueddeutsche.de: Dass da gewesen wäre?

Zastrow: Freiheit statt staatliche Bevormundung - und die soziale Marktwirtschaft. Diesen Umstand kann man nicht häufig und eindringlich genug betonen, in einer Zeit, wo die Gesellschaft immer sozialistischer wird, wo die Linke auch in Westdeutschland in die Landesparlamente einzieht und verordnete Gleichmacherei auf der Tagesordnung steht.

sueddeutsche.de: Ein Bundespräsident sollte nicht polarisieren, sondern integrieren.

Zastrow: Das kann Gauck. Aber ein Präsident soll auch anecken. Es ist das gute Recht des Staatsoberhauptes, hin und wieder den Parteien, den Regierenden und den Regierten auf die Füße zu treten. Vor allem aber sollte er moralische Instanz und Vorbild sein. Das trifft für Joachim Gauck zu. Er hat nicht nur durch seinen Lebensweg gezeigt, was Mut ist - er steht für Werte, und diese vertritt er rhetorisch brillant. Das erwartet man doch von einem Bundespräsidenten, das kann dieses Amt so faszinierend machen.

sueddeutsche.de: Halten Sie den niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff für eine moralische Instanz?

Zastrow: Die Rolle füllt Gauck derzeit sicherlich besser aus, was sich noch ändern kann. Wulff hat bislang auch keine gesellschaftlichen Diskussionen angestoßen, aber das ist doch nichts Verwerfliches. Er ist ja auch noch ein relativ junger Politiker. Ich kenne Christian Wulff als soliden Akteur von der "politischen Front", als erfolgreichen Macher im politischen Tagesgeschäft.

sueddeutsche.de: Ihre Sympathien für Gauck sind eindeutig. Das könnte die Parteioberen in Berlin ärgern.

Zastrow: Unsere Sympathien sollten niemanden überraschen. Für präsidiabel haben wir Gauck schon lange gehalten. Immerhin hat die sächsische FDP ihn schon 2004 als Bundespräsidentenkandidaten vorgeschlagen, bevor sich die Spitzen von Schwarz-Gelb auf Horst Köhler verständigt haben. Wenn nun Gauck tatsächlich zur Wahl steht, liegt es doch auf der Hand, dass wir Diskussionsbedarf haben. Das sollte auch die Bundes-FDP nicht wundern.

sueddeutsche.de: Gauck hat sich von der SPD und den Grünen auf den Kandidatenschild heben lassen.

Zastrow: Ein Umstand, der mich übrigens etwas verwundert hat. Gauck steht für Werte, die sich wenig bei der SPD wiederfinden und kaum bei den Grünen. Es ist ein wenig verstörend gewesen, ihn zwischen den Parteichefs von SPD und Grünen sitzen zu sehen. Gauck darf sich nicht vor den parteipolitischen Karren spannen lassen.

sueddeutsche.de: Er selbst sagt, er hätte sich auch über eine Nominierung durch Union und FDP gefreut. Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki wundert sich, warum das bürgerliche Lager nicht selbst auf den Bürgerrechtler gekommen ist. Haben Sie eine Antwort darauf?

Zastrow: Habe ich nicht, weil mich die Geschwindigkeit, mit der die Kandidaten für das Schloss Bellevue gekürt wurden, überrascht hat. Ich halte diese Eile für falsch. Alle waren überrumpelt vom Rücktritt Horst Köhlers. Bislang kann mir keiner erklären, warum in Rekordzeit Personalentscheidungen fallen mussten. So, wie es nun abgelaufen ist, wird es auch Christian Wulff nicht gerecht. Schuld daran, und das ist schade, trägt die Koalition in Berlin.

"Der Ausgang der Wahl ist offen"

sueddeutsche.de: Einen gewissen Zeitdruck gibt es durchaus. Die Verfassung schreibt eine Neuwahl binnen 30 Tagen vor.

Zastrow: Sicher: Man darf nicht trödeln. Aber das ist noch lange kein Grund, mit Höchstgeschwindigkeit Kandidaten zu küren und nebenbei noch zu riskieren, eine Ministerin zu beschädigen. Vor allem aber bedauere ich, dass dem Land nicht Zeit gelassen wurde, über parteiübergreifende Kandidaten nachzudenken.

sueddeutsche.de: Wieso sollte eine solche Diskussion anders verlaufen als bisher, wo stets parteipolitische Interessen den Ausschlag gegeben haben?

Zastrow: Gerade in dieser Krisenzeit wäre es hilfreich, die Tagespolitik hintanzustellen und gemeinsam - Regierung und demokratische Opposition - eine Persönlichkeit für das höchste Amt im Staate zu finden. Stellen wir uns vor: Was wäre das für ein kraftvolles Zeichen nach innen und außen, wenn sich die wichtigsten politischen Entscheidungsträger einig zeigen würden?

sueddeutsche.de: Ein schöner, aber realitätsferner Gedanke. Angela Merkel hat Tempo gemacht - und sie konnte es, weil CSU-Chef Horst Seehofer und Ihr Parteivorsitzender Guido Westerwelle der Kanzlerin freie Hand gelassen hatten.

Zastrow: Ich kenne die Details der Berliner Geschehnisse nicht und will sie nicht kommentieren. Nur: Es sollte klar sein, dass eine ausführliche öffentliche Debatte - fair und offen - über die Präsidenten-Nachfolge Deutschland gutgetan hätte und es nach wie vor guttäte. Gerade nach dem Rücktritt Köhlers wäre solch eine Pause zum Reden und Nachdenken nötiger denn je. Ist es nicht an der Zeit, das höchste Staatsamt von der Parteitaktik zu befreien? Wäre ein junger Präsident richtig, weil er neue Impulse setzen kann? Verlangt die Lage nicht gerade einen parteilosen Präsidenten, um Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen? Darüber hätten wir diskutieren sollen, bevor es Kandidaten gibt. Auf jeden Fall geht es nicht darum, so schnell wie möglich eine Lücke zu schließen, sondern die Persönlichkeit zu finden, welche Land und Leuten Hoffnung und Kraft in schwieriger Zeit gibt.

sueddeutsche.de: Kann es eine solche Debatte nun noch geben?

Zastrow: Ich kann nur für meinen Landesverband sprechen. Wir in der sächsischen FDP wollen und werden diskutieren.

sueddeutsche.de: Mit welcher Tendenz?

Zastrow: Wie die Diskussion ausgeht, kann ich nicht sagen. Christian Wulff ist fähig für das Präsidentenamt, keine Frage, aber vom Herzen her stehen wir Joachim Gauck näher - wir kennen ihn auch besser. Ich persönlich bin hin und her gerissen.

sueddeutsche.de: FDP-Chef Westerwelle hat sich entschieden, was wollen Sie da noch diskutieren?

Zastrow: Die Parteispitze hat einen Favoriten, der für uns wählbar ist. Aber man muss in Berlin erkennen, dass die Kandidatur eine besondere Chance für unsere Gesellschaft sein kann. Es wäre sehr verwunderlich, wenn gerade im Osten über die Causa Gauck nicht diskutiert werden könnte.

sueddeutsche.de: Die Sachsen-FDP hat sich also noch nicht festgelegt, wie sie in der Bundesversammlung stimmt?

Zastrow: Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht darum, dass wir uns gegen irgendwen auflehnen. Aber wir lassen es uns auch nicht nehmen, in der Landespartei auch über den Kandidaten Gauck zu sprechen. Er ist im Prinzip ein Liberaler, er steht für die Freiheit, für die auch ich 1989 demonstriert habe. Die FDP wird aushalten, dass wir diese Diskussion führen. Auch das ist ein Stück Demokratie, die wir uns vor 20 Jahren erkämpft haben.

sueddeutsche.de: Ist Ihnen klar, dass die Regierung Merkel/Westerwelle eine Wahl Gaucks politisch wohl nicht überleben würde?

Zastrow: Aus meiner Sicht verbieten sich solche Überlegungen, wenn man das Amt des Bundespräsidenten ernst nimmt. Das Staatsoberhaupt steht über den Dingen, so empfinde das nicht nur ich, sondern gewiss die Mehrheit der Deutschen.

sueddeutsche.de: Es wäre eine drastische Niederlage für Schwarz-Gelb.

Zastrow: Betrachten wir es nüchtern: Es stehen nicht die Regierung und ihre Politik zur Abstimmung, sondern zwei Kandidaten, die unterschiedliche Lebenswege und Fähigkeiten haben und trotzdem beide geeignet sind. Falls Gauck Präsident werden sollte, wäre das folglich auch kein Grund, dass irgendetwas zerbricht. Es ist schade, dass die Präsidentenwahl unnötig dramatisiert wird.

sueddeutsche.de: Sie wenden sich dagegen, dass die Präsidentenfrage auch eine Machtfrage ist?

Zastrow: So ist es. Warum hängen wir diese Frage nicht tiefer? Warum nehmen wir uns nicht die Zeit zum Nachdenken und tauschen wir uns aus? Wir in Sachsen nehmen uns das Recht heraus, sorgfältig abzuwägen.

sueddeutsche.de: Dagmar Schipanski, die 1999 unterlegende Präsidentenkandidatin von Union und FDP und nun Wahlfrau in der Bundesversammlung, will nach ihrem Gewissen entscheiden. Auch CSU-Chef Horst Seehofer äußerte sich ähnlich zum Thema Gewissensentscheidung.

Zastrow: Ich halte es genauso. Es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre.

sueddeutsche.de: Halten Sie den Ausgang der Bundespräsidentenwahl für offen?

Zastrow: Das glaube ich, ja. Und ich sage Ihnen noch etwas: Ein Präsident Gauck wäre für SPD und Grüne ein schmerzhafter Stachel - und für die Linkspartei ein bleibender Schock. Die SED-Nachfolgepartei verklärt die DDR, sie tut so, als ob es keine Diktatur mit all der Repression, Bespitzelung und Unfreiheit gegeben hätte. Ein Mann wie Gauck schafft es, solchen perfiden Geschichtsverfälschern die Maske herunterzureißen.

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