FDP-Politiker Rösler:"Eine Sicherheit vorgegaukelt, die es nicht gibt"

Niedersachsens FDP-Chef Philipp Rösler über die sehr eigene Vorstellung seiner Partei von Solidarität und Steuersenkungen in Zeiten der Krise.

Thorsten Denkler

Philipp Rösler, 36, ist einer der begabten jungen Politiker in Deutschland. In Niedersachsen wirkt der FDP-Mann als Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie als Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Er ist vietnamesischer Abstammung und kam mit neun Monaten nach Deutschland, wo ihn ein Ehepaar adoptierte. Im Jahr 2002 promovierte der Mediziner. Als Vorsitzender des FDP-Verbandes Niedersachsen eröffnet er am Freitagmittag den FDP-Bundesparteitag in Hannover mit einem Grußwort. Auf dem Parteiag wählen die Liberalen ihren Vorstand neu und verabschieden ihr Bundestagswahlprogramm.

Rösler, dpa

Philipp Rösler

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Rösler, "Opposition ist Mist", hat SPD-Chef Franz Müntefering mal gesagt. Stimmen Sie zu?

Philipp Rösler: Das trifft sicherlich auf unsere aktuelle Opposition im Landtag zu.

sueddeutsche.de: Inhalte gehen vor. Stimmen Sie da auch zu?

Rösler: Auf jeden Fall, ja.

sueddeutsche.de: Und was ist mit dem Satz: Alle demokratischen Parteien müssen untereinander koalitionsfähig sein?

Rösler: Das hängt von Punkt zwei ab, nämlich von den Inhalten.

sueddeutsche.de: Ihr Parteichef Guido Westerwelle will die Inhalte gar nicht mehr abklopfen, sondern hat am vergangenen Wochenende jede Koalition außer mit der CDU definitiv ausgeschlossen. Hat Hessen 2008 nicht gezeigt, dass die Parteien sich mit dieser Art von Ausschließlichkeit selbst in die Sackgasse führen?

Rösler: Wenn Sie auf unsere Haltung im Hessen-Wahlkampf anspielen, dass wir vor der Wahl nichts anderes sagen, als nach der Wahl, dann hat sich das in der Gesamtbewertung als richtig erwiesen. Außerdem sehen wir doch, dass schwarz-gelbe Mehrheiten möglich sind. Die FDP regiert in den fünf größten Flächenländern mit. Und auch dort sitzen zum Teil fünf Fraktionen in den Parlamenten.

sueddeutsche.de: Im Bund scheint es sehr knapp zu werden. Kaum vorstellbar, dass Westerwelle am Ende nicht doch den Außenministerposten der Oppositionsbank vorzieht, wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht.

Rösler: Es geht hier nicht um einzelne Parteien und Personen, sondern um das Vertrauensverhältnis der Bürger zu Politik und Staat. Nach der Wahl andere Dinge machen, als vorher gesagt wurde, das geht schief. Wort halten zahlt sich aus.

sueddeutsche.de: Das heißt im Zweifel: Neuauflage der großen Koalition.

Rösler: Das glaube ich nicht. Die Menschen wollen keine große Koalition der Unfähigkeit. Sie wollen eine handlungsfähige Bundesregierung.

sueddeutsche.de: Halten wir also fest: Nach der Bundestagswahl gibt es für die FDP nur Schwarz-Gelb oder Opposition.

Rösler: So habe ich Guido Westerwelle bisher nicht verstanden. Was wir in einer Regierung machen wollen, das werden wir auf dem Bundesparteitag in Hannover beschließen. Mit wem wir es umsetzen werden, das wird der Wähler entscheiden. Ich bin aber guter Dinge, dass sich unser Ziel einer schwarz-gelben Regierung realisieren lässt.

sueddeutsche.de: Inhaltlich müssten Sie gar keinen Parteitag bemühen. Die Kernbotschaft lautet wie in all den Jahren zuvor: Steuern senken, Steuern senken, Steuern senken. Ein bisschen ideenarm, oder?

Rösler: Im Gegenteil. Wie wegweisend wir sind, zeigt sich doch schon daran, dass alle anderen Parteien versuchen, den Erfolgskurs der FDP zu kopieren und das Wort Steuersenkung noch irgendwie in ihre Wahlprogramme zu schreiben. Die große Steuerreform mit dem Stufenmodell 10, 25, 35 ist unser Weg zu mehr Wachstum und Wohlstand für alle. Das war bei der Bundestagswahl 2002 so, das war 2005 so und das wird 2009 wieder so sein.

sueddeutsche.de: Hat das Land nicht gerade andere Probleme? Mehrere 100 Milliarden Euro werden wegen der Krise in den kommenden Jahren in den Haushalten von Bund und Ländern fehlen. Zugleich ist die Staatsquote in Deutschland, also die Summe der staatlichen Ausgaben, mit die niedrigste im Euroraum. So niedrig, dass der Staat schon heute viele Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann. Wo soll da noch Platz für Steuersenkungen sein?

Rösler: Gerade deshalb ist eine große Steuerreform der beste Weg. Wir brauchen Steuersenkungen, weil das für wirtschaftliches Wachstum sorgen wird, was wiederum die Einnahmesituation für den Staat verbessert. Übrigens: Als wir unser überarbeitetes Steuerkonzept vor einem Jahr beschlossen haben, haben uns alle gesagt, die 30 Milliarden Euro die es kosten werde, die seien nicht vorhanden. Das war noch mitten im Wirtschaftsaufschwung. Jetzt, in der Krise sind plötzlich 50 Milliarden Euro für Konjunkturprogramme da.

sueddeutsche.de: Sie verwechseln etwas. Das Konjunkturprogramm ist eine einmalige Ausgabe. Ihr Steuerkonzept kostet 30 bis 35 Milliarden Euro jährlich.

"Es geht nicht ohne große Steuerreform"

Rösler: Darum sind wir auch die einzige Partei, die eine schlüssige Gegenfinanzierung vorgestellt hat. Übrigens: Die Staatsquote nach oben zu treiben, wäre ein fatales Signal. So hat beispielsweise die Schweiz - als eines der wirtschaftsstärksten Länder überhaupt - eine deutlich niedrigere Staatsquote als alle anderen EU-Länder.

sueddeutsche.de: Also: Was wollen Sie den Menschen wegnehmen, damit Sie der Mittelschicht mehr Geld geben können?

Rösler: "Wegnehmen" ist eine schöne Formulierung. Aber sie trifft es nicht. Wer eine echte Steuerreform will mit Entlastung für alle, der muss die Subventionen für einige wenige streichen.

sueddeutsche.de: Für wen speziell?

Rösler: Für eine Vielzahl von Subventionen. Es ist ja nicht mit der ein oder anderen Subvention getan. Unsere Gegenfinanzierung ist ein Mischmodell. Wir wollen auch Mehreinnahmen durch Entbürokratisierung schaffen und Mehreinnahmen durch Wachstum. Dann kommt man auf die 30 Milliarden Euro.

sueddeutsche.de: Kaum mehr die Hälfte aller Haushalte zahlt überhaupt noch Steuern. Die eigentliche Last sind doch die Sozialabgaben. Drehen sie vielleicht an der falschen Schraube?

Rösler: Nein, wir streben ja eine echte Reform der sozialen Sicherungssysteme an. Das aber geht nicht ohne eine große Steuerreform. Unser Ziel ist ja nicht, die Leute zu entlasten, nur damit sie mehr konsumieren können. Wir wollen den Menschen auch mehr Geld geben für die notwendigen Reformen in den sozialen Sicherungssystemen.

sueddeutsche.de: Das müssen Sie erklären: Ich soll weniger Steuern zahlen, habe dann aber nichts davon?

Rösler: Doch. Sie sollen ein Teil des Geldes in die private Altersvorsorge oder private Krankenversicherung investieren.

sueddeutsche.de: Dann steckt hinter den ganzen Steuersenkungsparolen der FDP nicht mehr als ein Konjunkturprogramm für die private Versicherungswirtschaft.

Rösler: Es sind sich doch heute alle einig: Ohne einen kapitalgedeckten privaten Anteil ist die Rente nicht sicher. Das liegt an der demographischen Entwicklung. Sie können aber von den Leuten nicht zusätzliche private Initiativen verlangen, wenn sie finanziell nicht in der Lage sind, einen Kapitalstock anzusparen.

sueddeutsche.de: Nun ja, die FDP könnte sich auch dafür einsetzen, dass alle Menschen mit allen Einkommen in die Rente oder die Krankenkasse einzahlen. Dann könnten sich Gutverdiener nicht mehr der Solidarität entziehen. Grüne und SPD nennen das Bürgerversicherung.

Rösler: Es klingt ja gut, wenn man sagt: Alle zahlen ein. Aber wenn alle einzahlen, haben auch alle Ansprüche und kriegen etwas raus. Am Ende sind einfach nur mehr Menschen in einem Umlagesystem, das längst nicht mehr demographiefest ist.

"Ein Stück weit brauchen wir die staatliche Solidarität"

sueddeutsche.de: Private Absicherung heißt: Wer mehr einzahlt, bekommt mehr raus. Ist das nicht das Ende des Solidargedankens, der die Gesellschaft über Jahrzehnte geprägt hat, in der der Starke dem Schwachen hilft?

Rösler: Wir wollen das Umlageverfahren ja nicht abschaffen. Aber es stellt sich zunehmend die Finanzierungsfrage. Jüngeren müssen wir heute sagen, dass sie aus den Umlagesystemen immer weniger herausbekommen, weil es in einer älter werdenden Gesellschaft immer weniger Beitragszahler gibt. Darum sollen sie sich zusätzlich privat absichern. Das ist eine Doppelbelastung, die für viele Familien heute gar nicht zu leisten ist.

sueddeutsche.de: Sie sagen, die FDP dürfe den Begriff Solidarität nicht den anderen Parteien überlassen. Aber die Liberalen scheinen darunter etwas grundsätzlich anderes verstehen als etwa SPD oder die Linke.

Rösler: SPD und Linkspartei meinen vor allem staatliche Solidarität in einem staatlichen Transfersystem. Für uns geht der Begriff weit darüber hinaus. Solidarität ist ein Gesellschaftsmodell.

sueddeutsche.de: Sie wollen die FDP jetzt nicht links von der Linkspartei positionieren, oder?

Rösler: Keine Sorge, sicher nicht. Ich sage nur: Starke können auch Schwachen helfen, ohne dass sich der Staat da einmischt. Dazu gehört der ganze Bereich des ehrenamtlichen Engagements. Dies wollen wir stärken. Das geht nur, wenn der Grundbegriff der Solidarität wieder neu gelebt wird.

sueddeutsche.de: Gut, nehmen wir ein Beispiel: In Deutschland sorgen die Tafeln dafür, dass Bedürftige kostenlos etwas zu Essen bekommen. Daran gibt es Kritik: Ob jemand hungere, könne nicht davon abhängen, ob zufällig eine Tafel am Ort ist. Es sei Aufgabe des Staates, größte Not zu lindern und dies eben staatlich zu garantieren. Wie sehen Sie das?

Rösler: Ein Stück weit brauchen wir die staatliche Solidarität, aber nicht nur. Aber was würde passieren, würde es die Tafeln nicht mehr geben? Ich befürchte, es würde eine Lücke bleiben.

sueddeutsche.de: Man könnte auch sagen, der Staat hat sich so bequem einer elementaren Aufgabe entledigt.

Rösler: Nein. Ich würde nicht sagen, dass es da so etwas wie einen Verdrängungswettbewerb zwischen ehrenamtlichem Engagement und Staat gibt. Die sozialen Sicherungssysteme sind ja schon heute damit überfordert, Hilfe zu leisten, wie es die Tafeln machen. Er kann es einfach nicht.

sueddeutsche.de: Er versucht es doch nicht einmal.

Rösler: Ich bin als Arzt seit acht Jahren in der Obdachlosenhilfe engagiert. Ich kenne also sowohl die schwierige Finanzsituation der öffentlichen Hand als auch die Situation vor Ort. Allein mit dem Ruf nach dem Staat ist es nicht getan. Eine Bürgergesellschaft kann auf ehrenamtliches Engagement nicht verzichten. Ich möchte übrigens auch keine Gesellschaft, in der der Staat alles regelt. Das wäre eine Geldsolidarität nach dem Motto, ich habe meinen Beitrag bezahlt, das war es mit der Solidarität. Das wäre mir zu einfach.

sueddeutsche.de: Sie haben vor einem Jahr auf sueddeutsche.de eine Wertedebatte in der FDP angemahnt. Die wurde auf die Zeit nach der Bundestagwahl verschoben. Stattdessen präsentiert sich die FDP als Hort der letzten überlebenden Neoliberalen. Reicht Ihnen das?

Rösler: Falls Sie mit "Hort" meinen, dass wir die letzte Partei sind, die im Zuge der Wirtschaftskrise nicht ihre ordnungspolitischen Grundsätze über Bord geworfen hat, dann ist das in Ordnung. Das erklärt auch unsere guten Umfragewerte.

"Den Kündigungsschutz zu lockern, passt immer in die Zeit"

sueddeutsche.de: Zu diesen ordnungspolitischen Grundsätzen scheint zu gehören, dass die FDP mitten in der schwersten Wirtschaftskrise mal wieder den Kündigungsschutz aufweichen will. Passt das in die Zeit?

Rösler: Den Kündigungsschutz zu lockern, passt immer in die Zeit. Es rächt sich in schwierigen Zeiten nur das, was man in guten Zeiten nicht getan hat. Es werden ja auch in der Krise Leute eingestellt. Nur sind es wegen des Kündigungsschutzes viel weniger als möglich wären.

sueddeutsche.de: Wer jetzt einen Job hat, ist froh, dass es den Kündigungsschutz gibt.

Rösler: Die Menschen, die heute keinen Job haben, hätten im letzten Aufschwung auch gerne einen bekommen. Denen hätte ein gelockerter Kündigungsschutz geholfen. Stattdessen wird den Arbeitnehmern eine Sicherheit vorgegaukelt, die es nicht gibt.

sueddeutsche.de: Vielleicht sind es solche Debatten, die es der FDP so schwermachen, ernsthaft über den Wert der Solidarität zu diskutieren, wie sie es vor einem Jahr gefordert haben. Geschweige denn, ihn für sich zu besetzen.

Rösler: Sie widersprechen sich. In diesem Interview haben wir bisher großteils über den Begriff Solidarität gesprochen. Und jetzt sagen Sie, eine Debatte über Solidarität finde in der FDP nicht statt. Immerhin ist erreicht worden, dass wir ab Herbst über ein neues Grundsatzprogramm reden. Vor einem Jahr wollte das keiner.

sueddeutsche.de: Da haben Sie dafür Prügel vom Parteichef einstecken müssen.

Rösler: Hat gar nicht weh getan. Im Ernst: Darum ist es doch gut, wenn wir heute einen guten Schritt weiter sind. Die junge Generation in der FDP schaut jedenfalls nicht tatenlos zu.

sueddeutsche.de: Sie meinen das Buch "Freiheit: gefühlt - gedacht - gelebt", das Sie zusammen mit dem Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner, jüngst herausgebracht haben.

Rösler: Das zeigt doch, dass die Debatte über das Werte-Fundament der Partei weitergeht. Das ist nun einmal leider nicht die richtige Zeit für Grundsatzfragen.

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