Süddeutsche Zeitung

FDP-Parteitag:Lindners Mut

Auf dem Berliner Parteitag drückt Christian Lindner der FDP eine Revolution aufs Auge: Der Parteichef will Bildung zu einer Aufgabe für den Gesamtstaat machen. Ein Affront für wettbewerbsgläubige Liberale. Die Debatte drüber gerät zur Machtprobe um den Kurs der Partei.

Von Thorsten Denkler, Berlin

In den amerikanischen Bestsellerlisten steht ein Buch über die Neugierde. In den deutschen eins über die TTIP-Lüge und warum das geplante Freihandelsabkommen mit den USA nur den Konzernen nütze. Für Christian Lindner mehr als ein Zufall. "Das ist ein Symbol", sagt er auf dem Parteitag der FDP an diesem Samstag in Berlin. Ein Symbol für das, was er die German Angst nennt.

Es wird das Leitmotiv seiner Rede auf diesem 66. Parteitag sein. Dort die German Angst, genährt von all den Kleingeistern da draußen, die in Union, SPD, Grünen und Linken Politik machen. Hier der German Mut, verortet in der Partei, die 2013 aus dem Bundestag flog.

Die Anderen seien erst mal gegen alles: neue Computertechnik, Gentechnik, Fracking, Freihandel, Stammzellenforschung. Bloß nichts verändern. Die "freien Demokraten" aber, wie Lindner die FDP jetzt lieber nennt, sind nicht so. "Wir sind eine andere Opposition. Wir reden das Land nicht schlecht, um gut dazustehen." Deutschland sei ein großartiges Land. Aber eben ein Land im Wandel. Er wolle den Wandel lieber gestalten, "und nicht in Angststarre zu flüchten, bis uns die Umstände zwingen".

Angriff auf die liberale DNS

Darum eben "German Mut". Und wenn den einer hat, dann ein Liberaler. Findet Lindner. Bis dahin sind das bloß Allgemeinplätze. Mut gehört zu den unbestimmten Allerwelts-Begriffen in der politischen Debatte. Wer mutig ist oder nicht, ist eine Frage des Standpunkts. Aus Sicht der Liberalen ist mutig, wer der Wirtschaft möglichst alle Freiräume lässt. Das haben auch die neuen Farben der FDP nicht geändert. Muss keiner mögen, ist aber wohl Teil der liberalen DNS.

Lindner bedient diese DNS. Aber er macht mehr. Er will die DNS der Partei an einer Stelle aufbrechen, die für die Liberalen bisher sakrosankt war. Er wirbt dafür, den deutschen Föderalismus in einem Kernbereich der Länder neu zu formulieren: in der Bildung. Sein für Liberale geradezu revolutionärer Gedanke: Es sei eine "Lebenslüge, Baden-Württemberg stünde mit Bremen oder Hessen mit Sachsen in Konkurrenz." In Wahrheit befinde sich Deutschland im Wettbewerb mit China und dem Rest der Welt. Dann der Satz, der die Liberalen in ihrem Selbstverständnis treffen muss: "Darum muss beste Bildung ein Projekt des Gesamtstaates werden."

Bildungspolitik ist nicht allein Kerngeschäft der Länder. Sie ist in den Augen vieler Liberaler auch Kern des Wettbewerbs unter den Ländern. Wettbewerb steht im Grundgesetz der FDP ganz vorn: Der Wettbewerb ist unantastbar. Und da will Lindner jetzt ran. Das ist in der Tat mutig.

Dafür demontiert er das föderale Bildungssystem. 80.000 junge Menschen verließen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. "Keines von diesen 80.000 Kindern ist ohne Talent geboren worden." Applaus.

Sein Ziel sei es, "jedem jungen Menschen einen guten Startplatz ins Leben zu eröffnen". Nicht allerdings indem Standards gesenkt werden, sondern "indem das Fordern und Fördern verbessert wird". In den föderalen Strukturen scheint das nicht zu leisten sein. Süffisant beschreibt Lindner, wie die rot-grüne Landesregierung in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen in der Bildungspolitik pfuscht. Mit dem Mindestlohn sei jetzt "jeder Handwerksbetrieb gezwungen, eine Dokumentation über den Mindestlohn vorzulegen. Und die Landesregierung ist nicht in der Lage, eine Statistik über ausgefallenen Unterricht vorzulegen." An der Stelle bekommt Lindner den meisten Beifall während seiner Rede.

Er wolle nicht länger zulassen, dass die Kinder von heute mit den Methoden von gestern unterrichtet werden. Es gehe um die komplette Digitalisierung der Lehrmethoden. Seine Vision: Deutschland muss die beste Bildung der Welt auf dem neuesten Stand der Technik bieten.

Schüler schauen nicht länger im Wörterbuch die Englisch-Vokabeln nach. Sondern über ihr Smartphone im Internet. Das sei teuer. "Aber mittelmäßige Bildung kann sich unser Land erst recht nicht leisten", sagt Lindner.

Aufstand gegen die Gralshüter des Föderalismus

Delegierten, die damit womöglich hadern, gibt Lindner dies mit auf den Weg: Laut einer Umfrage unter den Mitgliedern sind mehr als drei Viertel der Auffassung, dass der Bundesparteitag "in dieser Frage zu einer neuen Position kommen muss". Mit dieser Positionierung wagt Lindner den Aufstand gegen die Gralshüter des Föderalismus, die es auch in der FDP zuhauf gibt. "Wir wollen kein Reichsschulministerium", poltert etwa Walter Hirche aus Niedersachen.

Lindners Aufstand steht so auch im Leitantrag zum Bundesparteitag. Darin heißt es: "Die umfassende Modernisierung des Bildungssystems würde Länder und Kommunen allein überfordern. Die Finanzierung muss daher eine Aufgabe des Gesamtstaats werden."

Die Debatte darüber wächst sich zu einem Machtkampf aus, in dem Lindner noch einmal selbst ans Pult tritt. Er verweist auf die Jungen Liberalen, die gerade erst ihre Programmatik in der Frage um 180 Grad gedreht hätten. Das müsse doch nachdenklich machen, sagt Lindner. "Was wir nicht übertreifen dürfen ist der Wettbewerb zwischen 16 Bundesländern." Er bittet den Parteitag, den Antrag ohne Ergänzungen oder Veränderungen zu beschließen. Das bedeutet: kein Kompromissangebot.

Knapper Erfolg für Lindners Vorschlag

Seine Generalsekretärin Nicola Beer springt Lindner bei. Niemand wolle eine alleinige Zuständigkeit des Bundes, stellt sie klar. Oder gar ein zentrales Bundesbildungsministerium. Es gehe allein um die Finanzierung der Schulen. Und das müsse eine gesamtstaatliche Aufgabe werden.

Die Abstimmung gewinnt Lindner - wenn auch nur knapp. Die große Geschlossenheit, die die Liberalen jetzt gerne zur Schau stellen, an dieser Stelle bekommt sie einen deutlichen Riss.

Lindner will die Partei nicht weiter überfordern. Er positioniert die FDP erwartungsgemäß als Bürgerrechtspartei in der Tradition der früheren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die neue BND-Affäre kommt ihm da gerade recht. Die Enthüllungen hätten "mir den Atem geraubt", sagt Lindner. Es sei eine "Peinlichkeit, ein Skandal", dass der BND daran beteiligt gewesen sein soll, Diplomaten, Regierungen und europäische Institutionen für die USA zu bespitzeln.

Nachrichtendienste, sagt Lindner, "dürfen in unserm Verfassungsstaat niemals wieder ein Eigenleben entwickeln, wie wir es grade erleben". Das Bundeskanzleramt habe zudem "die deutsche Öffentlichkeit und auch uns getäuscht", als sie im Sommer 2013 ein No-Spy-Abkommen ankündigte, an dem die US-Seite nie Interesse hatte, wie heute bekannt ist. Lindner fordert mehr parlamentarische Kontrolle und einen Sonderermittler.

Töne wie einst bei Westerwelle

Den Rest seiner Rede hätte auch Westerwelle so halten können. Er wettert gegen die Erbschaftssteuer, gegen die Mietpreisbremse, gegen die Rente mit 63.

Die Große Koalition betreibe eine "gigantische historische Umverteilung" von Privat zu Staat. Lindner will eine "Belastungsbremse" für die Bürger. Und meint damit wohl das inzwischen böse Wort Steuersenkungen, das Liberale nach dem Wahldesaster 2013 nicht mehr so gerne in den Mund nehmen.

"Vom Lutscher bis zum Lohn, diese Regierung lenkt uns mit erhobenem Zeigefinger, als wären wir Kinder", wärmt Lindner den liberalen Geist. "Wir wollen nicht, dass Erwachsene ein Leben mit Stützrädern führen."

Damit nicht genug: "Wir sollen in Zwangsjacken gepackt werden. Aus der Gesellschaft soll eine staatliche Besserungsgesellschaft gemacht werden."

Sätze, die wohl nur jene unterschreiben können, die sich in Deutschland regelrecht eingesperrt fühlen. Wenn in den USA alles besser ist, wie Christian Lindner zu Beginn nahelegte..., na ja, früher wurde Linken in Deutschland gesagt: Dann geht doch nach drüben! Aber die Zeiten sind ja zum Glück vorbei.

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