Parteitag der FDP:Europa - Lindners neuer Sehnsuchtsort

Parteitag der FDP: Parteichef Christian Lindner beschwört Europa.

Parteichef Christian Lindner beschwört Europa.

(Foto: AFP)
  • Christian Lindner dringt angesichts internationaler Krisen auf ein geschlossenes Auftreten der EU und wirft Kanzlerin Angela Merkel Führungsschwäche vor.
  • Der FDP-Chef fordert seine Partei zur weiteren Erneuerung auf.

Von Stefan Braun, Berlin

So schnell kann es gehen. Da muss die FDP-Spitze wochenlang fürchten, ihr Parteitag könnte äußerst langweilig werden. Und dann kommt die Welt da draußen und verändert fast alles. Erst Donald Trump, der das Iran-Abkommen kündigt; dann Emmanuel Macron mit seinem Karls-Preis. Und dazu noch eine Angela Merkel, die bei dieser Preisverleihung zeigt, dass ihr der Mut fehlt, das notleidende Europa mit eigenen Ideen neu zu entwerfen.

Lindner nutzt diesen Rahmen: Der FDP-Chef stürzt sich gar auf die Krise - und macht Europa zu einem gar nicht neuen, aber zentralen Sehnsuchtsort der Liberalen. Ob Trumps Entscheidung, Wladimir Putins Syrienpolitik oder Großbritanniens Brexit-Entscheidung - alle sinnvollen Antworten auf diese Herausforderungen würden immer wieder zu einem Wort führen: nach Europa.

Europa sei die Zukunft und müsse gerettet werden, so Lindner. "Europa muss seine Schockstarre überwinden", verlangt der FDP-Chef. Es sei bitter nötig, dass die Bundesregierung einen EU-Sondergipfel initiiere, damit der Kontinent bei Iran, bei der Ukraine, beim Welthandel wieder mit einer Stimme spreche. Lindner erntet rauschenden Beifall. Immer wieder.

Die Zustimmung gewinnt er vor allem dann, weil er die Schwächen der Kanzlerin aufspießt. Obwohl Macron seit mehr als einem Jahr darum bitte, bleibe sie bis heute in allen wichtigen Fragen Antworten schuldig. Dabei, so Lindner, dürfe "die Einheit Europas nicht in Zweifel gezogen werden, um in Deutschland geliebt zu werden."

"Nein. Vielleicht. Später"

Jetzt, so Lindner weiter, sei Führung gefragt. "Leadership" also, wie er es hier natürlich ausdrückt. Genau daran nämlich lasse es Merkel vermissen. Und das, obwohl dieses "Nein. Vielleicht. Später" längst zu wenig sei zur Rettung Europas. "Wenn Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher 1989 die gleiche Zögerlichkeit gezeigt hätten, hätte es die deutsche Einheit nie gegeben", schimpft Lindner. Das Ergebnis: rauschender Beifall.

Lindner belässt es nicht bei Attacken. Er listet auf, wie die FDP sich ein neues Europa vorstellt. Er tut dies nicht in einer ruhigen Aufzählung. Er schleudert die Botschaften wie Speere in die Halle. "Ja zu einer gemeinsamen Außenpolitik! Ja zu einer Verteidigungsgemeinschaft! Ja zu einem digitalen Binnenmarkt! Ja zu einem europäischen FBI im Kampf gegen den Terror! Ja zu einer europäischen Grundlagenforschung!"

Der Saal geht mit. Bei jedem Ja wird geklatscht und gejubelt. Keiner hier fragt sich mehr, wie dieser Parteitag wohl laufen könnte. Europa dient allen mit einem Schlag als Identitätsstifter. Und dazu kommt Lindners finale Botschaft: "Es gibt nur eine europäische Handlungsfreiheit oder keine Handlungsfreiheit."

Hinter dieser ersten halben Stunde verschwindet an diesem Samstag denn auch beinahe, wie mühsam das Leben der FDP zuletzt geworden ist. Kaum etwas macht das deutlicher als das Bemühen der Liberalen, auch diesen Parteitag wieder mit der ganz großen Überschrift zu versehen. Botschaften sind halt verdammt wichtig, zumal, seit die Rückkehr in den Bundestag keine Sensation mehr ist und keine Schlagzeile mehr hergibt.

Also schreibt die FDP über ihren Berliner Parteitag: Innovation Nation. Der große Kampf ist 2017 gewonnen worden, jetzt kommt unvermeidlich die Ebene, die oft weh tut. Deshalb braucht die Partei einen Energieschub. Und den Ersten, den sie sich an diesem Samstagmorgen gibt, ist die Erinnerung. Noch bevor Linder auftritt, wird in neuen Worten formuliert, was die Liberalen im letzten Jahr auch erklärt haben: Wir wollen Deutschland mit noch mehr Innovationen immer noch moderner machen.

Was verständlich ist - weil es direkt an das Image des vergangenen Jahres anknüpft. Schnell, modern, digital - das war ein Trumpf im Bundestagswahlkampf. Da wäre es für die FDP nur zu schön, wenn sie diese Stimmung in die Zukunft mitnehmen könnte.

Lindner klingt nicht großzügig, aber offen

Und so beginnt der Parteitag nicht mit größeren Reden, sondern einem Videoclip, der ans vergangene Jahr erinnert. Lindner, Kubicki, Lambsdorff, Suding, Strack-Zimmermann - alle tauchen sie noch einmal auf im Outfit und mit den Werbebotschaften des siegreichen Wahlkampfs.

Notwendig sei eine "liberale Wachstumsstrategie, die diese Partei in der Mitte der Gesellschaft verankert und zwar als zweistellige liberale Kraft", sagt Lindner. Nach der Erneuerung der FDP sei vor der Erneuerung der FDP.

Dazu darf Kaja Kallas, die Vorsitzende der estnischen Reformpartei, noch einmal vom "großartigen Comeback" der FDP schwärmen. Und Mark Rutte, als Liberaler in den Niederlanden Regierungschef und deshalb Christian Lindners großes Vorbild, fügt noch hinzu, wie schön es doch sei, dass man die liberale Stimme aus Deutschland nun wieder "weit über die Grenzen hinaus" vernehmen könne. Natürlich kommt das gut an in Berlin. Schließlich braucht man Zuspruch, wenn die Arbeit in der Opposition wenig Ruhm bringt.

Und Lindner? Als seine Europa-Passage vorbei ist, holt er noch ein Stück weiter aus und warnt vor einem Bruch mit den Vereinigten Staaten. Ja, sicher, Trump sei ein riesiges Problem, sagt er. Trotzdem dürften sich die Fehler im Verhältnis zu Russland im Verhältnis zu den USA nicht wiederholen. Bei allem Trump gebe es nach wie vor eine Zivilgesellschaft, gebe es eine Opposition. "Donald Trumps vier oder acht Jahre dürfen nicht zerstören, was zuvor in Jahrzehnten aufgebaut wurde."

Dabei verquickt Lindner den Ärger über Trump mit den Sorgen im Umgang mit Russland - um zu erklären, wie er sich einen neuen Ansatz gegenüber Moskau vorstellt. "Eiserne Konsequenz" müsse mit "immer neuen Dialogangeboten" verbunden werden. Das dürfe nicht heißen, Völkerrechtsbrüche zu ignorieren. Aber es könne bedeuten, Russland wieder in die G8-Treffen aufzunehmen und den EU-Russland-Dialog neu zu beleben.

Lindner klingt nicht großzügig, aber offen. Und erinnert fast nebenbei daran, dass es auf dem Parteitag auch um Wolfgang Kubickis Ruf nach einer Lockerung der Sanktionen gehen werde. Vor Wochen hatte er dessen Ruf als Einzelmeinung gebrandmarkt. Jetzt sagt er, dass man natürlich über alles diskutieren könne, ihn aber die Mahnungen der FDP-Außenpolitiker vor einem Zeichen der Schwäche überzeugt hätten.

Gleichwohl gelte für die FDP: "Wir sind eine liberale Partei. Ein Meinungsspektrum macht uns nicht schwach, sondern stark." Niemand werde auf diesem Parteitag durch welche Abstimmungsniederlage auch immer beschädigt. "Durch solche Spekulationen lassen wir uns die Freude an der Kontroverse nicht nehmen."

Europa? Donald Trump? Das Verhältnis zu Russland? Sie geben Lindner die große Folie für diesen Parteitag. Ansonsten spricht er wieder über die ganz große Modernisierung, erinnert daran, dass in Frankreich ein Digitalministerium geschaffen wurde, während Horst Seehofer in Berlin ein Heimatministerium erhalten habe. Und sagt vieles, was er im vergangenen Jahr auch gesagt hat. Nur das Thema Nein zu Jamaika will er nicht anrühren. Allenfalls die derzeit mittelmäßigen Umfragen spricht er noch an, und zwar in einer Form, die in der Halle gut ankommt. "Nicht Umfragen sollen Politiker regieren; Politiker mit Überzeugungen sollen Umfragen prägen."

Es wird an Lindner selbst liegen, das zu beweisen.

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