FDP nach der Bundestagswahl:Der Feingeist und die Alleskönnerin

Nicola Beer

Wollen die Liberalen wieder aufrichten: Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner und die Kandidatin für das Amt der FDP-Generalsekretärin, Nicola Beer.

(Foto: dpa)

Christian Lindner ist das letzte Aufgebot der FDP. Seine Aufgabe: die liberale Partei retten. In Berlin stellt er dafür Nicola Beer vor, seine Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin. Und geht sichtlich auf Abstand zur Noch-Parteispitze um Philipp Rösler.

Von Thorsten Denkler, Berlin

An den beiden zitronengelben Pulten vor der blauen Wand prangt lediglich die Web-Adresse der Partei: www.fdp.de. Keine Botschaft, kein "Nur mit uns"-Schriftzug, keine Zweitstimmenkampagne. Nur FDP. Sonst nichts. Mehr zählt im Moment ja auch nicht, seit die FDP am Wahlsonntag aus dem Bundestag geflogen ist, abgewählt von den Bürgern.

Der große Sitzungssaal ist gut gefüllt. Das wird sich bald legen, wenn der parlamentarische Alltag in Berlin beginnt. Dann wird die FDP von Glück reden können, wenn sich überhaupt noch der ein oder andere Journalist ins Thomas-Dehler-Haus verirrt.

Aber noch ist es nicht so weit. Christian Lindner, der vermutlich nächste Parteichef der FDP, wird hier gleich jene Frau vorstellen, die seine Generalsekretärin werden soll. Es wird die Zukunft der Partei verhandelt, nicht die Vergangenheit - diesen Eindruck will Lindner sichtlich vermitteln. Die alte FDP, also die Partei von Rainer Brüderle, Philipp Rösler und Patrick Döring, hat schließlich die Bundestagwahl verloren. Lindner will eine neue FDP erschaffen - und etwas anderes bleibt ihm angesichts des desaströsen Ergebnisses seiner Partei auch nicht übrig. Nicola Beer soll Teil dieses Projektes sein.

Mit federndem Schritt und einem Lächeln im Gesicht marschiert Lindner in den Saal und positioniert sich hinter seinem Pult, gefolgt von Beer. Dass er die FDP in ihrer größten, ja vielleicht in einer tödlichen Krise übernimmt, kein Wort dazu.

Beer, die Generalistin

Er spricht von sich und seiner Kandidatur als einem "Angebot an unsere Parteibasis", für das er viel Unterstützung bekommen habe. Dieses Angebot wolle er "ergänzen" um seinen Personal-Vorschlag für das Amt des Generalsekretärs. "Angebot" und "ergänzen". Das klingt einladend und ist so wohl auch so gedacht. Lindner gilt als Feingeist. Mit der Rambo-Rhetorik eines Rainer Brüderle hat er es nicht so.

Beer und Lindner kennen sich seit 15 Jahren. Lindner präsentiert sie als Generalistin. Im Moment ist sie noch hessische Kultusministerin. Das bleibt sie auch, bis in Hessen eine neue Regierung steht. Danach wird sie Landtagsabgeordnete sein. In ihrem Frankfurter Wahlkreis hat sie ein kleines liberales Wunder vollbracht, die FDP erhielt in ihrem Wahlkreis acht Prozent der Zweitstimmen. Mit so einem Ergebnis wären die Liberalen auf Bundesebene mehr als zufrieden gewesen.

Lindner will mit Beer und neuen Ideen die Partei erfrischen. Die innerparteiliche Demokratie müsse belebt werden, sagt er. Ohne Bundestagsfraktion müsse die FDP "zwingend eine Mitmach-Partei werden". Also zum Beispiel Mitgliederentscheide über Personen und Programm? Er könne sich jedenfalls "sehr gut vorstellen", auch über solche Instrumente zu reden.

Er wolle die Partei generell öffnen. Auch für neue Koalitionen? Oder soll sie weiter Anhängsel der Union bleiben? Lindner will diese Frage nicht beantworten. Nur so viel: "Die FDP sollte sich in der Zukunft zunächst um ihr eigenes politisches Angebot kümmern." Er wolle lieber "eine Koalition mit den Bürgerinnen und Bürgern" eingehen. Und zwar mit einem "klassisch liberalen Profil der Mitte". Einen kritischen Seitenhieb auf die noch amtierende Parteispitze kann er sich nicht verkneifen: "Wir laufen jetzt nicht mehr jemandem hinterher."

Erstaunlich selbstbewusst

Das klingt erstaunlich selbstbewusst für den zukünftigen Chef einer Partei, die am Boden liegt. Lindner hat sich sogar schon Sätze aus der Abteilung Attacke aufgeschrieben. Er gehe davon aus, dass es zu einer großen Koalition kommen werde. Das wird dann eine "große Koalition der Spendierhosenträger" werden, die die höheren Ausgaben mit höheren Steuern gegenfinanzieren werde.

"Es wird eine Delikatesse sein, zu sehen, wie Herr Seehofer sich aus seinem Ehrenwort herauswindet", sagt Lindner. Der CSU-Chef hatte sich strikt gegen Steuererhöhungen ausgesprochen. Rainer Brüderle hätte an dieser Stelle jetzt mit Wucht die Sozialismuskeule geschwungen. Bei Christian Lindner ist es mit dem einen Seitenhieb genug. Das ist wohl nicht schlecht, denn die Brüderle-Rhetorik ist am 22. September abgewählt worden.

Und welche Rolle wird Beer einnehmen? Ihre Aufgabe wird sein, die Parteistrukturen zusammenzuhalten. Die Liberalen seien in den Ländern und Kommunen "bodenständig verankert." Dann aber sagt sie Sätze, die nicht so recht zum schlechten Abschneiden der Partei passen wollen. "Wir kennen die Menschen. Wir wissen, wo sie der Schuh drückt", sagt sie. Oder: Die FDP verkörpere eine "Geisteshaltung und ein Lebensgefühl, das zutiefst den Menschen zugewandt ist." Den Menschen zugewandt? Das Gegenteil hat ja gerade die Wahl bewiesen.

"Nicht nur an sich selbst denken"

Dennoch: Auch Beers Tonlage unterscheidet sich vom bekannten FDP-Sound. "Wir haben Angebote, die überzeugen können", sagt sie mit gebotener Vorsicht. Eigenverantwortung nennt sie und Leistungswille. Das sei prägend für Liberale. Aber auch - und das war bisher so nur selten zu hören: "Nicht nur an sich selbst, sondern auch an den Nächsten denken." Von der Frauenquote hält sie hingegen "gar nichts". Das verwundert nicht: Immerhin sind das hier immer noch FDPler und nicht die Grünen.

Anders als manche Kommentatoren sehen beide nicht den Liberalismus an sich in der Krise. Die FDP habe vor allem aus einem Grund die Wahl verloren: "Wir haben zu wenig geliefert, insbesondere in der Steuerfrage", sagt Beer.

Lindner holt etwas weiter aus: "Der Liberalismus ist in Deutschland traditionell keine Massenbewegung gewesen." Trotzdem gebe es "mehr als fünf Prozent Liberale in der Gesellschaft". "Im Prinzip" sei für diese Menschen die FDP "die richtige Ansprechpartnerin". Hätte nicht die FDP auch viele "enttäuscht in Stil und im Auftreten", sagt Lindner. Deutlicher lässt sich kaum sagen, wie wenig er mit der bisherigen Parteiführung noch zu tun haben möchte.

Und Europa? Hat nicht gerade die Alternative für Deutschland der FDP mit ihrem Anti-Euro-Kurs entscheidende Stimmen abgenommen? Im kommenden Mai stehen Europa-Wahlen an. Sie könnten das nächste Desaster für die Liberalen werden. Für Lindner kein Grund, die FDP jetzt anders auszurichten: "Wir wollen, dass Europa zusammenbleibt." Das gehe nur durch "Stabilität und Solidität in den staatlichen Finanzen". Den Euroraum zu spalten, wie die AfD es wolle, sei politisch und ökonomisch riskant und nicht durchsetzbar. Lindner: "Ich empfehle meiner Partei sehr, diese Positionierung auch beizubehalten."

Anfang Dezember wird Lindner voraussichtlich auf einem Parteitag zum neuen Vorsitzenden der - positiv gesehen - stärksten außerparlamentarischen Oppositionspartei gewählt. Dann werde die FDP "wieder handlungsfähig sein", verspricht er. Was immer das heißen mag, ohne Bundestagsfraktion. Da sollten Christian Lindner schon noch ein paar mehr Ideen kommen.

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