Süddeutsche Zeitung

FDP: Machtkampf entschieden:Rösler = Wirtschaft, Bahr = Gesundheit, Brüderle = Fraktion

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Die Personalrochade ist perfekt: Rösler wechselt ins Wirtschaftsressort, Bahr wird Gesundheitsminister, Homburger und Brüderle tauschen Posten. SPD, Grüne und Linke geißeln das "Postengeschacher", die Kanzlerin zeigt sich hingegen frohen Mutes - und Rainer Brüderle spricht von "preußischem Pflichtbewusstsein".

Die Führungsriege der Liberalen hat sich neu sortiert - mit altem Personal: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle ist nach Informationen von sueddeutsche.de mit 86 Stimmen zum neuen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion gewählt worden, zwei Abgeordnete haben gegen ihn gestimmt, es gab zwei Enthaltungen.

Dass Brüderle seinen Posten als Wirtschaftsminister räumen würde, galt noch bis vor kurzem als unwahrscheinlich. In einer ersten Reaktion spricht Brüderle denn auch davon, dass er den Fraktionsvorsitz aus "preußischem Pflichtbewusstsein" übernommen habe. Er sei "sehr gerne" Wirtschaftsminister gewesen, sagte er nach seiner Wahl in Berlin. Aber in der Politik gehe es nicht um "eigenes Glücksempfinden".

Zuvor hatte die bisherige Fraktionschefin Vorsitzende Birgit Homburger auf eine weitere Amtszeit verzichtet und damit den Weg für Brüderle freigemacht. Im Gegenzug soll Homburger von dem 65-Jährigen den Posten als stellvertretender Parteichef übernehmen.

Damit kommt es auch zu einer Umbildung des schwarz-gelben Bundeskabinetts. Der designierte FDP-Chef, Gesundheitsminister Philipp Rösler, übernimmt von Brüderle das Amt des Wirtschaftsministers. Das gab Rösler an diesem Dienstag bekannt. Neuer Gesundheitsminister soll Röslers bisheriger Staatssekretär Daniel Bahr werden.

Rösler dankte Homburger in der Sitzung für ihre Entscheidung. Er werde sie beim FDP-Parteitag, der am Freitag in Rostock beginnt, für das Amt der "Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden" vorschlagen. Die bisherige Fraktionschefin wurde von den Abgeordneten mit minutenlangem Applaus bedacht. Viele erhoben sich von den Sitzen. Homburger sagte, sie wolle dem designierten Parteichef Rösler Rückendeckung geben für einen hervorragenden Start in das neue Amt.

Ursprünglich hätten die 93 FDP-Abgeordneten erst im Herbst über ihre Führung neu entscheiden sollen. Die Wahl wurde wegen der FDP-Krise jedoch vorgezogen. Die Abstimmungen waren geheim.

Am Freitag soll Rösler dann auf dem FDP-Bundesparteitag in Rostock die Nachfolge des scheidenden Parteichefs Guido Westerwelle antreten. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die rasche Neuwahl der FDP-Fraktionsspitze. Dies sei ein wesentlicher Beitrag dazu, dass sich die Koalition wieder voll der Sacharbeit widmen könne. "Das empfinde ich als ein sehr hilfreiches Vorgehen", sagte die CDU-Vorsitzende vor dem Verein der Auslandspresse.

Gysi: Postengeschacher völlig daneben

Von der Opposition kam derweil Kritik - und beißender Spott: Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte: "Die FDP hat echt Humor." Eine Erneuerung zu vollziehen, indem die jetzige FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger durch Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle ersetzt werde, halte sie für eine "humoristische Einlage", stichelte die Grünen-Politikerin.

Brüderle habe seinen rheinland-pfälzischen FDP-Landesverband gerade erst sicher unter die Fünf-Prozent-Hürde geführt und solle nun ein "Bollwerk des Liberalismus" sein. "Ich möchte bei all diesem Personal- und Postengeschachere gern wissen, wofür die FDP eigentlich steht", sagte Künast.

Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierte den sich abzeichnenden Wechsel an der Spitze des Bundesgesundheitsministeriums. Es sei "völlig daneben", dass dieses wichtige Ressort nun in das "Postengeschacher" der FDP hineingerate, sagte Gysi. An den Liberalen könne man sehen, "wie eine Partei ganz weit nach unten geraten kann, wenn sie sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt".

Steinmeier sieht "fortsetzende Destabiliserung" der Regierung

Die Freien Demokraten sind nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in ihrer derzeitigen Verfassung nicht mehr regierungsfähig. "Der Machtkampf um die Fraktionsspitze zeigt noch einmal den Verfall der FDP", sagte er vor den SPD-Abgeordneten in Berlin.

Das eigentlich Gravierende daran sei aber die "fortgesetzte Destabilisierung der Bundesregierung". Das "anhaltende Geschacher um Posten" zeige, dass die FDP-Krise inzwischen auf den Staat übergreife und deutsche Interessen schädige, meinte der Oppositionsführer. Dies zeige auch der Blick auf die Anträge für den anstehenden FDP-Bundesparteitag.

Dort werde etwa gefordert, dass es keinen ständigen Euro-Rettungsschirm geben dürfe und Länder wie Griechenland aus der Währungsunion austreten sollten. "Sollte sich die FDP in schierer Existenzangst weiter zu einer antieuropäischen und nationalpopulistischen Protestpartei radikalisieren, kann und darf sie deutsche Europapolitik nicht mehr bestimmen", sagte Steinmeier.

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