Süddeutsche Zeitung

FDP:Lindners Legenden

In einem Interview vergleicht FDP-Chef Christian Lindner das Klimapaket mit dem "Morgenthau-Plan" - unglücklicher geht es kaum.

Von Robert Probst

Historische Vergleiche sind immer problematisch. Besonders problematisch sind historische Vergleiche, die sich im weiteren und engeren Sinn mit der NS-Zeit befassen. Das hat soeben der FDP-Vorsitzende Christian Lindner zu spüren bekommen. Und das gleich in dreifacher Hinsicht. In einem Interview am Donnerstag mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über das Klimapaket und die Folgen sagte Lindner auf die Frage: Sie wollen den Planeten also nicht retten? "Solche Fragen liebe ich. Wer beim Klima-Absolutismus oder der grenzenlosen Aufnahmebereitschaft in der Migration nicht mitmacht, dem wird schon Menschenfeindlichkeit unterstellt. Wir werden den Planeten nicht retten, indem wir einen Morgenthau-Plan für Deutschland umsetzen und die Deutschen zu veganen Radfahrern machen."

Der Morgenthau-Plan also. Das noch geringste Problem dabei ist, dass Henry Morgenthau Jr. einst gar keinen Plan vorgelegt hatte. Historiker sprechen heute eher von einem Vorstoß oder einem Memorandum, aber nicht von einem fertig ausgearbeiteten Plan. Und was wollte nun Morgenthau?

Morgenthau, US-Finanzminister unter Franklin D. Roosevelt von 1934 bis 1945, ging es vor allem um die Frage, wie die deutschen NS-Täter nach ihren Verbrechen und einem Sieg über Hitlers Reich zur Rechenschaft zu ziehen seien. Wie der Judenmord, von dem die US-Regierung wusste, und Völkermord künftig zu verhindern seien. Und so entstand der "Vorschlag für ein Deutschland-Programm nach der Kapitulation", den Morgenthau im September 1944 vorlegte. Das Hauptziel war die industrielle Entwaffnung Deutschlands, alle Rüstungsbetriebe sollten zerstört oder demontiert werden. Das war ein harter Vorschlag, doch Morgenthau wollte damit vor allem eine Debatte anstoßen. Der Vorstoß wurde öffentlich bekannt und NS-Propagandaminister Joseph Goebbels folgerte am 4. Oktober 1944: "Hass und Rache von wahrlich alttestamentarischem Charakter sprechen aus diesen Plänen, die von dem amerikanischen Juden Morgenthau ausgeheckt wurden. Das industrialisierte Deutschland soll buchstäblich in einen riesigen Kartoffelacker verwandelt werden." Deutschland ein entindustrialisierter, zerstückelter Agrarstaat also - so wird noch heute gern der "Plan" zusammengefasst. Das ist sehr weit von modernen veganen Radfahrern entfernt, und auch noch falsch.

Drittens und besonders problematisch: Die Nazis erfanden so die Lüge, wonach die Amerikaner planten, die Deutschen zu "versklaven". Oder um genau zu sein: Das "Weltjudentum" arbeite am Untergang der Herrenrasse. Das sollte helfen, die Deutschen im "Endkampf" zum Durchhalten zu motivieren. Diese Verschwörungstheorie erfreut sich auch heute noch bei Geschichtsrevisionisten und Antisemiten größter Beliebtheit. So etwas könnte bei der Autorisierung von Interviews schon mal auffallen.

Für die Besatzungs- und Deutschlandpolitik war die Morgenthau-Idee ohne jede Bedeutung. Im Gegenteil: Die Amerikaner päppelten Westdeutschland zum Wirtschaftswunder.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2019
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