Süddeutsche Zeitung

FDP:Die Liberalen gehen in die Offensive

Mit Merkels angekündigtem Rückzug endet für FDP-Chef Lindner die Aufarbeitung der Jamaika-Verhandlungen. Er fordert einen Neuanfang, egal ob durch eine neue Koalition oder Neuwahlen.

Von Daniel Brössler, Berlin

Als René Rock, der Spitzenkandidat der hessischen FDP, am Wahlabend zu Bett ging, war die Welt, wie er sagt, "noch in Ordnung". Auf Basis der Hochrechnungen hatte er sich zu früh darüber gefreut, dass CDU und Grüne die FDP brauchen würden für eine Regierungsbildung. Am Montagmorgen, bekennt Rock, ist die Welt dann nur noch "halb so schön".

Für Christian Lindner, das wird ziemlich schnell offenbar während dieses gemeinsamen Auftritts, liegen die Dinge genau umgekehrt. Klar, "von außen betrachtet wäre Jamaika eine Option gewesen", gibt er lustlos zu Protokoll. Aber diese hessische Frage interessiert ihn eigentlich nicht mehr. Das ist die Welt von gestern, in der er sich Talkshow für Talkshow rechtfertigen musste für das Platzenlassen der Koalitionsverhandlungen 2017. Es war eine triste Welt, die sich immer und ewig nur um diesen Makel zu drehen schien. Nun aber ist die Welt plötzlich bunt und schön. "Ich schließe jetzt gar nichts mehr aus", sagt Lindner. Die Nachricht, dass Angela Merkel nicht mehr für das Amt der CDU-Vorsitzenden kandidiert, hat Lindner beflügelt. "Frau Merkel verzichtet auf das falsche Amt", verkündet er fröhlich.

Es ging und geht ja am Ende doch nur um die Frau, über die Lindner etwas gallig sagt: "Frau Merkel ist verliebt in die Grünen und hat ihre Partei auf diesen Kurs gebracht." Damit habe sie "als Hinterlassenschaft im politischen System die AfD hervorgebracht und ihre eigene Partei völlig konturlos gemacht". 2017 habe sie versucht, "eine schwarz-grüne Regierung zu bilden mit Stimmen der FDP". Den naheliegenden Verdacht, Lindner präferiere eine schwarz-gelbe Koalition mit Stimmen der Grünen, weist er natürlich von sich mit dem Hinweis, eine Koalition solle man nur bilden, "wenn alle Beteiligten auch dem anderen Erfolge gönnen".

Der Tag nach der Hessenwahl ist der Tag, an dem die Aufarbeitung von Jamaika 2017 zu Ende geht

Die Union fordert Lindner nun erst einmal auf, "für einen wirklichen Neuanfang in Deutschland bereit" zu sein. Merkels "Teilrückzug auf Raten" helfe weder Land noch Partei, sagt Lindner - nicht ohne das mit einem Angebot zu verbinden, von dem er hofft, dass einige in der Union es auf Dauer nicht werden ablehnen wollen. Die FDP habe immer gesagt, dass sie bereit sei "zur Übernahme von Verantwortung für dieses Land, wenn es einen neuen Aufbruch für Deutschland geben kann". Das sei nur eben mit Merkel nicht möglich gewesen, lockt der FDP-Chef. Die CDU solle nun "auch den Weg frei machen für einen neuen Anfang in der Regierung oder eine Neuwahl in Deutschland".

Ob die FDP nun mit einer CDU-geführten Minderheitsregierung etwa unter einem Jens Spahn liebäugelt oder eher mit einem Jamaika-Bündnis vielleicht mit Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze, das lässt Lindner im Ungefähren - und das kann er ja auch. Für ihn ist der Tag nach der Hessenwahl der Tag, an dem die Aufarbeitung von Jamaika 2017 zu Ende geht und die Planungen für Jamaika, zweiter Versuch, beginnen. Es ist der Tag, an dem es vorbei sein soll mit der ewigen Defensive. Wer Merkel nun nachfolgt, ist dabei angeblich zweitrangig. "Wir wollen über Inhalte reden, egal wie der Nachfolger von Frau Merkel heißen wird", sagt der Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann.

Mit den Hessen hat das alles nur noch am Rande zu tun, wobei der Wiesbadener Landesvorsitzende durchaus noch über seine regionalen Machtoptionen sinniert. Bei einer schwarz-grünen Mehrheit von nur einer Stimme hält er es nicht für ausgeschlossen, dass sich für die FDP doch noch Konstellationen ergeben könnten. Den Grünen Tarek Al-Wazir werde man nicht zum Ministerpräsidenten wählen, wiederholt er, aber dann vielleicht den SPD-Mann Thorsten Schäfer-Gümbel? Gespräche mit der SPD habe man, sagt Rock, nie ausgeschlossen.

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SZ vom 30.10.2018/bix
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