Süddeutsche Zeitung

FDP:Lindners Ampeln haben viele Farben

Der Parteichef favorisiert ein Bündnis mit Union und Grünen. Aber er weiß, dass es zur Not auch anders gehen muss. Über die komplizierte Lage der Freien Demokraten.

Von Daniel Brössler, Berlin

Für einen Moment klingt es, als hätte es sich Christian Lindner nach reiflichem Nachdenken noch einmal anders überlegt. "Sehr viel ist in Bewegung. Das erfordert von allen einen neuen Respekt vor Unterschieden, die Bereitschaft, voneinander zu lernen, und auch Kompromisse zu schließen", sagt der FDP-Chef. Er steht im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ungefähr dort, wo er auch am Wahlabend Position wird beziehen müssen. Bisher hat Lindner landauf, landab ziemlich klargemacht, was dann eher nicht von ihm zu erwarten sein wird: Offenheit für ein Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen. Nun also doch?

Die Freien Demokraten seien bereit, "Verantwortung für unser Land zu übernehmen", steht im Entwurf für einen Wahlaufruf, der im Präsidium einstimmig beschlossen wurde und an diesem Sonntag auf einem Parteitag verabschiedet werden soll. Er enthält keine Koalitionsaussage zugunsten einer anderen Partei, allerdings ist dort von "gemeinsamen Positionen" mit der Union die Rede und von der angeblichen Offenheit von SPD und Grünen für einen "Linksruck". Wer den Wahlaufruf mit sieben "Projekten" etwa zu Rente, Digitalisierung und Klimaschutz liest, findet keine eindeutige Absage an SPD und Grüne, aber alles andere als Avancen in diese Richtung. "Mit der FDP wird es keinen Linksruck in der deutschen Politik geben", verspricht Lindner. So könnte freilich eines Tages auch die Begründung der Ampel klingen.

Eine gute Woche vor der Wahl ist die Lage der Liberalen jedenfalls schillernd. Aus Erhebungen und Analysen wissen sie, in wie engen Grenzen sich die Sympathie für die Ampel bei ihren potenziellen Wählern hält. Je mehr über ein mögliches Ampelbündnis gesprochen wird, desto mehr wächst bei den Freien Demokraten die Sorge, auf den letzten Metern doch noch Stimmen an die schwächelnde Union zu verlieren. Erteilten sie der Ampel - wie etwa von CSU-Chef Markus Söder gefordert - eine klare Absage, könnte das womöglich ein paar Stimmen sichern, würde allerdings nach der Wahl die Verhandlungsposition der FDP massiv schwächen - übrigens auch in Jamaika-Gesprächen.

Die FDP muss nicht unbedingt regieren

Aus Sicht Lindners gibt es daher keinen vernünftigen Grund, den bisherigen Kurs zu ändern. Zum einen betont er die grundsätzliche Offenheit der FDP für verschiedene Konstellationen. So verweist er auf das Jamaika-Bündnis in Schleswig-Holstein, die schwarz-gelbe Koalition in Nordrhein-Westfalen, die Ampel in Rheinland-Pfalz und nun "ganz neu" die Deutschland-Koalition mit CDU und SPD in Sachsen-Anhalt.

Zum anderen tritt er dem bei der Konkurrenz verbreiteten Glauben entgegen, die FDP müsse nach dem Jamaika-Aus 2017 nun unbedingt regieren. Man habe, sagt er, "gezeigt, dass die FDP willens und in der Lage ist, harte Entscheidungen zu treffen, wenn Grundüberzeugungen der FDP infrage stehen, oder wenn nicht die Bereitschaft zu einer fairen Partnerschaft von anderen besteht".

So wiederholt Lindner, nach der Ampel gefragt, praktisch wörtlich seine alte Botschaft. "Mir fehlt die Fantasie, welches Angebot Herr Scholz und Frau Baerbock der FDP machen könnten", sagt Lindner, das für die FDP attraktiv "und zugleich für die Parteibasis von SPD und Grünen akzeptabel wäre".

Allerdings scheinen die wiederholten Annäherungsversuche von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nicht mehr gänzlich ihre Wirkung zu verfehlen. Union und Grüne hätten 2017 "letztlich untereinander verhandelt und der FDP nur eine Nebenrolle zugedacht", hatte Scholz in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Am Donnerstag legte er per Handelsblatt nach. Die Pläne der Grünen, die die Finanzierung ihres Wahlprogramms auf einer Änderung der Schuldenbremse aufbauten, würden "wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen", sagte er dort. "Diese Einschätzung teilen wir", kommentiert Lindner das erfreut.

Allerdings sind es eben gerade die Grünen, mit deren Hilfe Lindner doch noch ans Ziel zu gelangen hofft, selbst für den Fall, dass Armin Laschet am Wahlabend hinter Olaf Scholz liegt. Da der künftige Kanzler voraussichtlich "von mehr als 70 Prozent der Deutschen nicht gewählt worden sein wird", komme es doch gar nicht darauf an, "wer die Nasenspitze" vorne habe. Auf die Frage, warum die Grünen Laschet in einem Jamaika-Bündnis zum Kanzler wählen und ihrer Basis so viel mehr zumuten sollten als die FDP, verweist Lindner auf die jüngere Geschichte: "2017 waren die Grünen ja absolut handelseinig mit der CDU/CSU."

Als seinen "Ehrgeiz" bezeichnet es der FDP-Chef, den Abstand zu den Grünen möglichst zu reduzieren. Je näher man an die Grünen herankomme, desto mehr Einfluss könne man nehmen "auf die Formate, in denen über Koalitionen gesprochen wird".

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