Als die ersten Prognosen und Hochrechnungen auf den Bildschirmen erscheinen, ist der Jubel im Hans-Dietrich-Genscher-Haus groß und noch ein bisschen größer ist die Genugtuung. Zwei Wahlziele hatte FDP-Chef Christian Lindner ausgegeben. Zweistellig werden und möglichst nah an die Grünen heranrücken. Elf bis zwölf Prozent, sagen die ersten Zahlen der FDP voraus. Damit sieht es so aus, als habe Lindner seinen Plan erfüllt.
"Die FDP hat eines der besten Wahlergebnisse ihrer Geschichte erzielt", verkündet der Parteichef umringt von seiner Führungsmannschaft. Zum ersten Mal sei die FDP bei zwei aufeinanderfolgenden Bundestagswahlen zweistellig geworden. Mit 10,7 Prozent hatte Lindner die FDP 2017 nach vier Jahren Zwangspause in den Bundestag zurückgeführt. Dass dieses Resultat nun knapp übertroffen worden zu sein scheint, nennt Lindner einen "großen Erfolg". Innerparteilich ist es für ihn eher Triumph. Lindner hütet sich allerdings, ihn auf offener Bühne auszukosten. Lieber spricht er über die Verantwortung, die der FDP nun zuwachse. "Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine Regierungsbildung aus der Mitte heraus", verkündet er.
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Lindner hat ein Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen zwar nie ausgeschlossen, bis zum Schluss aber einer Jamaika-Koalition mit Union und Grünen als Lieblingsoption die Treue gehalten. Er setze "eher auf Jamaika, wenn es geht", hatte Lindner vor ein paar Tagen noch gesagt. Wenn es geht. Das hängt von den endgültigen Zahlen ab, vom Abstand zwischen Armin Laschet und Olaf Scholz, aber auch von der Lage in der CDU/CSU. Welchen Sinn hätte es noch auf Jamaika zu setzen, wenn die Union sich zerlegt? Ein liberaler Seitenblick gehört an diesem Abend deshalb immer auch der Union, wo Armin Laschet sich zwar zerknirscht gibt, aber auch regierungswillig.
Der Aufstieg der SPD zwang Lindner zu einer Volte
Für Lindner ist das eine wichtige Botschaft. Viel zu früh hatte er den Wahlausgang für entschieden erklärt, keinen Zweifel zugelassen, "dass CDU und CSU die stärkste Fraktion werden und den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten" würden. Der Niedergang Armin Laschets in den Umfragen sowie der Aufstieg von Olaf Scholz zwang den FDP-Chef schließlich zu einer Volte. Plötzlich ergab sich für ihn aus der Stellung der stärksten Partei kein automatischer Auftrag zur Regierungsbildung mehr. Lindner erinnerte an 1969 und 1976. Beide Male wurde - mit Hilfe der FDP - ein Sozialdemokrat Bundeskanzler, obwohl die Union am meisten Stimmen erzielt hatte. Seit einiger Zeit hat Lindner eine Rechnung parat, die das untermauern soll. Auch, wer als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehe, sei von 70 Prozent der Wähler nicht gewählt worden, lautet sie. "Aus dem Status, stärkste Fraktion zu sein, leitet sich deshalb weniger denn je ab, wer die Regierung führt", sagte er beim Parteitag vor einer Woche.
Das mit den 70 Prozent stimmt dann tatsächlich am Wahlabend noch. Aber trägt Lindners Prämisse? Zu den Grünen aufzuschließen werde helfen, "Einfluss zu nehmen auf die Koalitionsbildung und auf die Inhalte", hatte Lindner versprochen. Der Blick auf den grünen Balken in den Prognosen und Hochrechnungen hat im Hans-Dietrich-Genscher-Haus folglich besondere Bedeutung. An der FDP-Spitze ist man sich darüber im Klaren, wie viel nun davon abhängt, ob es gelingt, sich mit den Grünen zusammenzutun. Mit den Grünen möchte Lindner deshalb die kommenden Gespräche "strukturieren", womit er bei der Grünen Annalena Baerbock in der "Berliner Runde" durchaus auf Zustimmung stößt.
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"Entweder nach der Wahl an Habeck höhere Steuern zahlen oder am Wahltag der FDP und Lindner die Stimme geben", hatte Lindner beim Wahlkampffinale in Düsseldorf noch gerufen. Wenn er aber selber Finanzminister werden will, muss er nun mit Habeck reden. Auf der FDP-Bühne findet er schon mal freundliche Worte, lobt den "eigenständigen" Wahlkampf der Grünen. Im ZDF verspricht er, man werde mit den Grünen bei Jamaika-Verhandlungen besser umgehen als man 2017 selber behandelt worden sei.
Der auch am Wahlabend immer noch unverdrossene liberale Glaube an Jamaika wurzelt paradoxerweise im Scheitern von 2017. CDU/CSU hätten, das ist Lindners Mantra, die "Richtlinienkompetenz" den Grünen schon damals "auf dem Silbertablett serviert". Sie selber, so sehen es die Liberalen, hätten einen nun viel weiteren Weg bis zu einem Ampel-Bündnis. Dennoch: Lindner hält Kurs. Nur nichts ausschließen, offen bleiben auch für die Ampel. Den argumentativen Zirkelschluss dafür hat Lindner schon kurz vor der Wahl geliefert. "Die Freien Demokraten werden nur in eine Regierung der Mitte eintreten", versicherte er. Und: "Wenn wir in eine Regierung eintreten, dann ist es eine Regierung der Mitte."