Wer zur FDP will, muss in den Keller. Nach und nach strömen die Parteimitglieder ins Untergeschoss der Stuttgarter Liederhalle, wo sich der Eingang zum Hegelsaal befindet, in dem die Liberalen ihren Dreikönigsparteitag abhalten. Auch die Stimmung bei den Liberalen ist an diesem Mittwoch im Keller. Am Morgen hatten die Nachrichtenagenturen berichtet, dass die FDP in Wahlumfragen bei vier Prozent verharrt.
Die Infostände im Foyer stehen dicht an dicht. Broschüren von der Senioren-FDP, Schokolade von der Fraktion im europäischen Parlament, Kugelschreiber von den Julis. Aber richtig voll wird es hier nicht.
Das wäre wohl anders, wenn auch die jüngste Gruppierung für ihre Sache werben würde: Der Dahrendorfkreis. Die bayerische FDP-Generalsekretärin Miriam Gruß und der liberale Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis haben zusammen mit fünf Mitstreitern die innerparteiliche Initiative in Anlehnung an den 2009 verstorbenen Soziologen und liberalen Vordenker Ralf Dahrendorf gegründet. Ihr Ziel: Ein "nachhaltiger, mitfühlender Liberalismus". Spötter würden von vielleicht von einer FDP mit grünen Tupfern sprechen.
Das Gruppengründen ist bei der FDP gerade eine beliebte Disziplin. Weil sich beim "Aufstand der Hasenfüße" ( Der Spiegel) offenkundig niemand alleine gegen Parteichef Westerwelle stellen will, treten die Skeptiker und Mahner im Rudel auf - zu beobachten selbst bei den potenziellen Westerwelle-Nachfolgern Christian Lindner, Daniel Bahr und Philipp Rösler, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen "Neujahrsappell" verfassten.
Kritik aus dem Schaumburger Kreis
Im September 2010 war es zunächst der "Liberale Aufbruch" um den FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Scheffler, der Schlagzeilen machte. Die Gruppe wettert gegen "Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen per Gesetz". Mitte Dezember erlangte der Schaumburger Kreis, ein Zusammenschluss konservativer Wirtschaftspolitiker, Bekanntheit über Parteigrenzen hinaus, weil er laut über die Zeit nach Westerwelle nachdachte.
Mit dem Dahrendorfkreis betritt nun die dritte Gruppe binnen kurzer Zeit die politische Bühne, weshalb in Stuttgart einige Liberale über die grassierendie "Kreiskrankheit" spötteln. Anders als bei der SPD (Seeheimer Kreis, Netzwerker) oder den Grünen (Realos gegen Fundis) sind institutionalisierte Strömungen bei den Liberalen bislang eher kein Thema gewesen.
Und nun kommen die Dahrendorfer daher und verkünden, Ansprechpartner für die "ganzheitlich Liberalen" zu sein, wie Chatzimarkakis sagt. Genau wie Gruß gehört er zu den Gründern des Kreises. Er hat sich damit nicht nur Freunde gemacht - auch wenn sich Generalsekretär Lindner, Gesundheitsminister Rösler und der NRW-Vorsitzende Bahr angeblich positiv über die Dahrendorfer geäußert haben.
Im ersten Thesenpapier der noch jungen Seilschaft rechnen Chatzimarkakis, Gruß und ihre Mitstreiter mit der Ausrichtung der FDP der vergangenen Jahre ab. Neben dem Duo haben auch die Europapolitiker Nadja Hirsch, Gesine Meissner und Alexander Alvaro sowie der Bundestagsabgeordnete Sebastian Körber und der Blogger Christoph Giesa das Papier unterzeichnet.
"Die FDP hat eine eigenständige Position im politischen Spektrum, die in den letzten Jahren programmatisch nur auf Steuersenkungen und andere wirtschaftspolitsche Themen verkürzt wahrgenommen wurde", heißt es gleich im ersten Satz. Damit solle nun Schluss sein. "Wenn die Führung beim Dreikönigstreffen nur mit 'Mehr Netto vom Brutto' ankommt, ist mein Eindruck, dass die Wähler kein Verständnis dafür haben werden", sagt Miriam Gruß im Gespräch mit sueddeutsche.de.
Stattdessen fordern die Dahrendorfer, dass sich Westerwelle am Donnerstag für eine Stärkung der Bürgerrechte, mehr Partizipation, bessere Bildung, ein weiterentwickeltes Europa und gegen die Kontrollwut des Staates im Internet ausspricht. In der Wirtschaftspolitik fordern sie "ein klares Bekenntnis zum Markt", aber mit Regeln - und dem Gebot der Nachhaltigkeit.
Dass "ausschließlich die Grünen als Siegelbewahrer von Umweltpolitik wahrgenommen" werden, halten die Dahrendorfer für ungerecht. Chatzimarkakis bezeichnet sich als "blaugrün-liberal", seine Parteifreundin Gruß sagt: "Umwelt wird sicher nicht unser Kernthema sein, aber nur weil die Grünen etwas gut finden, müssen wir uns nicht hinter dem Busch verstecken."
Bislang galten die Liberalen nicht gerade als Umweltpartei - die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken war eines ihrer Ziele. Dass die Dahrendorfer nun ihre ökologische Seele entdecken, bringt ihnen den Vorwurf ein, die Grünen kopieren zu wollen - schließlich dürfte das Original derzeit ungestraft Schuhe mit einer "18" unter den Sohlen tragen.
Gruß betont jedoch, die aktuelle Personaldebatte um Guido Westerwelle habe bei der Gründung des Dahrendorfkreises keine Rolle gespielt: "Ich bin schon lange der Meinung, dass die Verengung auf Steuerthemen nicht hilfreich ist." Chatzimarkakis sagt, die Debatte um den Parteichef sei schon vor dem Dreikönigstreffen passé: "Er wird die Rede seines Lebens halten - das traue ich ihm zu."
Gegen den Vorwurf der Zerfaserung
Obwohl die Dahrendorfer die Rolle des Königmörders von sich weisen, stoßen sie nicht überall auf Zustimmung. "Viele, die inhaltlich auf unserer Linie liegen, wollen gleichwohl eine Zerfaserung der Partei verhindern", sagt Chatzimarkakis. Dabei, kritisiert er, könne man mit diesem Argument auch "Gesprächskreise oder Arbeitsgruppen verbieten."
Auch auf der frisch eingerichteten Facebook-Seite der Dahrendorfer werden Zweifel geäußert: "Ich fühle mich genötigt, bei all den Kreisen und Neuaufbrüchen innerhalb der FDP darauf hinzuweisen, dass die Kompromissfähigkeit gewahrt bleiben muss", schreibt etwa ein User. Auf Leute wie ihn setzen die Dahrendorfer - junge Menschen, die den Kontakt zur FDP suchen und denen liberale Politik "eine Herzensangelegenheit ist", wie Chatzimarkakis sagt.
Umso mehr freut er sich, den Blogger Christoph Giesa ins Boot geholt zu haben - jenen Liberalen, der im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2010 für den rot-grünen Kandidaten Joachim Gauck trommelte und Zehntausende Facebook-Nutzer dazu brachte, ein "Fan" des einstigen DDR-Bürgerrechtlers zu werden. "Wir wollen eine ähnliche Dynamik entwickeln", sagt Chatzimarkakis.
Stand Mittwochabend hatten 151 Personen auf "Gefällt mir" geklickt. Bleibt abzuwarten, wie sich diese Zahl nach der Westerwelle-Rede am Donnerstag entwickelt.