Süddeutsche Zeitung

FDP in der Krise:Liberale wollen das "Problem" Westerwelle lösen

Die Personaldebatte um Guido Westerwelle ist neu entfacht. Immer mehr liberale Vorstandsmitglieder stellen sich gegen den Parteichef. Westerwelle solle "schnellstmöglich" abtreten. Für den Vorsitz gibt es eine Alternative, für die sich immer mehr Spitzenliberale erwärmen können: Generalsekretär Lindner soll's machen.

Oliver Das Gupta und Michael König

Heiner Geißler fragte unlängst, ob die FDP womöglich "schon verschieden" sei. Der CDU-Veteran und erklärte Gegner neoliberaler Tendenzen irrt, schließlich geht es bei den Liberalen in diesen Tagen besonders lebhaft zu - gerade wegen der krachenden Wahlpleiten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Die "Existenzkrise" (FDP-Altvorderer Gerhart Baum) der Partei machen viele an Westerwelle fest, manche haben den Mut und üben sogar den offenen Aufstand: "Wer glaubt, dass Westerwelle fest im Sattel sitzt, der übersieht, dass da schon lange kein Pferd mehr ist", sagt etwa FDP-Vorstandsmitglied Jorgo Chatzimarkakis zu sueddeutsche.de.

Bereits zuvor hatten Parteivorstandsmitglieder einen Verzicht Westerwelles auf den Vorsitz ins Spiel gebracht: Der Baden-Württemberger und Europaabgeordnete Michael Theurer etwa empfahl dem Vizekanzler in der Vorstandssitzung am Montag, "sich auf das Außenamt zu konzentrieren".

Parteivorstandsmitglied Alexander Pokorny ging sogar noch weiter. Der Berliner sagte dem Oberliberalen in derselben Sitzung, er glaube nicht, dass der noch die Kraft habe, das Ruder für die FDP herumzureißen. Die inhaltliche Aufstellung der Partei sei das eine. Glaubwürdigkeit aber sei eine Frage der Personen. Er hat Westerwelle deshalb gebeten, sich genau zu überlegen, ob er im Mai noch einmal antreten wolle.

Andere äußern sich in Gesprächen ähnlich - möchten aber anonym bleiben. Es herrsche "von der Basis über die Funktionäre bis hin zu den Abgeordneten die Überzeugung, dass die Partei mit diesem Vorsitzenden keine Zukunft hat", sagt einer aus dem FDP-Spitzenorgan. Westerwelle müsse abtreten, am besten sofort: "Das Problem muss schnellstmöglich gelöst werden."

Dabei haben die besorgten Parteikader still gehalten, gerade in den letzten Wochen. Kritik an Guido Westerwelle, dem Mann, der die Liberalen bei der letzten Bundestagwahl zu satten 14,6 Prozent geführt hatte, wurde zurückgestellt. Gerade mal eineinhalb Jahre ist der laue Herbsttag her, an dem Westerwelle triumphierte. Danach ging es Schlag auf Schlag - abwärts: Der Koalitionsvertrag trieb manchem Liberalen die Zornesröte ins Gesicht. Es folgten: die Hoteliers-Steuererleichterungen. Westerwelles Ausführungen zu "spätrömischer Dekadenz". Die verlorene NRW-Wahl. Das gekippte Versprechen von Steuersenkungen. Sorgenvoll blickten die Liberalen schon im Sommer 2010 auf das Superwahljahr 2011. Trotzdem hielten die meisten den Mund.

Nun ist der Frust in der Partei ist groß, so lässt sich der Tenor der Gespräche zusammenfassen, die sueddeutsche.de mit mehr als einem Dutzend Mitgliedern von FDP-Vorstand und Präsidium geführt hat. Zornig schieben einzelne Spitzenliberale die Verantwortung auf die Medien: "Die Süddeutsche Zeitung ist schuld", behauptet ein Mitglied des Bundesvorstands. Und zwar mit ihrem Bericht, wonach Wirtschaftsminister Rainer Brüderle in einer BDI-Sitzung das AKW-Moratorium der Regierung als wahltaktisches Manöver dargestellt haben soll.

Doch es sind nur Einzelne, die so denken. Die Mehrheit sieht die Schuld eher woanders - an der Spitze der Partei. Die Personaldebatte um FDP-Chef Guido Westerwelle ist neu entfacht.

Sie fällt heftiger aus als zur Jahreswende: Damals war die FDP in Umfragen unter fünf Prozent gesackt, politische Gegner witzelten, das Kürzel FDP stünde für "Fast Drei Prozent". Die winterliche Revolte verebbte, Westerwelle erhielt Rückendeckung mangels Alternativen, auch, weil sich die Umfragewerte noch nicht in Wahlergebnissen manifestiert hatten. Damals setzten die Freien Demokraten darauf, dass sich mit dem Stuttgarter Dreikönigstreffen das Blatt wendet, dass der Vorsitzende selbstkritisch die Lage analysiert und die gerupfte Partei aufrichtet. Westerwelle, kam, sah - und verkündete mit vielen Worten, einfach so weiterzumachen wie bisher.

"Das war mit dem Chef nicht abgesprochen"

Nun, nach den verlorenen Wahlen, hat Westerwelle die Debatte wieder am Hals und diesmal scheint es für den Mann aus Bonn keinen Ausweg zu geben. Die Wahlen sind verloren, die bundesweiten Umfragewerte bereiten dem Parteivolk nach wie vor Albträume, Westerwelles Libyen-Politik wird von Freund und Feind zerrissen. Vor allem aber gibt es eine Alternative für Westerwelle im Vorsitz: Generalsekretär Christian Lindner soll es machen.

Dass dieser nun verkündet, acht alte Atomkraftwerke dauerhaft stilllegen zu wollen, sieht manch einer in der Partei als erste Abnabelung von seinem Förderer Westerwelle. "Das war mit dem Chef nicht abgesprochen, zumindest nicht in der Tragweite", behauptet ein führender Liberaler. Lindners Kurs bekommt durchwegs Beifall, zum Beispiel von Vize-Parteichef Andreas Pinkwart: "Ich unterstütze die Forderung von Christian Lindner ausdrücklich, auch wenn sie sehr mutig formuliert ist", sagt der FDP-Präside zu sueddeutsche.de. "Wir müssen über die Inhalte nach vorne kommen."

Noch im Januar war der erst 32-jährige Lindner für zu jung befunden worden, wohlmeinende Parteifreunde hatten Sorge, das "Juwel" zu früh in die Bütt zu schicken. Zwei andere Kandidaten, Philipp Rösler und Daniel Bahr, sind ebenfalls jung und unerfahren. Bahr führt den NRW-Landesverband erst seit November vergangenen Jahres. Bei Gesundheitsminister Rösler ist alles andere als klar, ob er überhaupt Interesse an diesem Karriereschritt hat.

Und was ist mit Wirtschaftminister Rainer Brüderle, dessen Name zur Jahreswende als Übergangsvorsitzender geraunt worden war? Ein Bundesvorstandsmitglied lacht am Telefon laut auf, als er den Namen hört. Ein anderer aus dem Spitzengremium meint lakonisch: "Der hat sich mit seinen Aussagen zum AKW-Moratorium selbst in den Orbit geschossen."

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gilt ebenfalls als chancenlos - die Ikone des linken Bürgerrechtsflügels ist vielen Wirtschaftsliberalen nicht zu vermitteln. Die bayerische FDP-Chefin scheint jedoch bereit, den personellen Umbruch zumindest zu begleiten: Ein Rückzug Westerwelles vom Amt des Bundesvorsitzenden gehöre "in den Kreis unserer Gesamtüberlegungen für ein Personaltableau", sagte sie der Passauer Neuen Presse.

Bleibt also Lindner, dessen Unterstützer sich langsam aus der Deckung wagen. Allen voran Jorgo Chatzimarkakis, Europaparlamentarier und Mitbegründer des Dahrendorf-Kreises, der sich für eine Neuausrichtung der FDP auf grünere Themen einsetzt. Der Europaparlamentarier forderte im Stern Parteichef Westerwelle unverhohlen zum Abdanken auf - zugunsten von Lindner.

Im Gespräch mit sueddeutsche.de begründet er seinen Vorstoß für einen Wechsel an der Spitze: "Es muss jemand Verantwortung übernehmen, der das ganzheitliche liberale Spektrum abdeckt. Christian Lindner kann das", versichert Chatzimarkakis und fügt hinzu: "Er hat den nötigen Mut, den Intellekt und das Herz dazu, um die Partei neu aufzustellen." Die Verengung der Partei unter der Führung Westerwelles auf das "Mantra Steuersenkungen" bezeichnet der Saarländer als "Fehler, der vielen Mitgliedern weh tut".

Chatzimarkakis verlangt deshalb, der Vorsitzende solle noch vor dem offiziellen Parteitag im Mai seinen Rückzug ankündigen: "Wer als Parteivorsitzender Schicksalswahlen verliert, muss als Parteivorsitzender die Konsequenzen ziehen", sagte er dem Magazin Stern. Falls Westerwelle Lindner nicht selbst einlade, seine Nachfolge anzutreten, könnten Dritte als Kandidaten ins Spiel kommen.

Eine Kampfabstimmung gegen Westerwelle, um den Weg freizumachen für Lindner - diese Idee schwebt auch anderen Mitgliedern des Bundesvorstands vor. "Westerwelle ist sehr zäh", sagt einer, der ihn schon lange kennt. Aber ein schlechtes Ergebnis auf dem Parteitag könnte ihn empfindlich treffen. "Vielleicht versteht er dann endlich den Wink mit dem Zaunpfahl und geht," hofft ein anderer Bundesvorstand.

Ob es so weit tatsächlich kommt, ist allerdings fraglich. Westerwelle hat noch immer viele Anhänger in der Partei, viele verdanken ihm seine Karriere. "Bei einer Kampfabstimmung würde ich Westerwelle wählen", sagt etwa Christian Ahrendt, FDP-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern und ebenfalls Bundesvorstand.

Andere wollen sich nicht auf die Personalie Westerwelle festnageln lassen und sprechen wolkig von einem "personellen und inhaltlichen Neuanfang" - so zum Beispiel der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff, der ebenfalls im Spitzengremium sitzt. "Wir müssen in den kommenden Wochen unser Führungsteam verändern. Es muss stärker in allen Landesverbänden verankert sein. Eine Kommandostruktur hilft hier nicht weiter." Im Hinblick auf Lindner sagt Wolff, der Generalsekretär werde "auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen".

In dieselbe Kerbe schlägt der ehemalige Chef der Jungen Liberalen, Johannes Vogel. Er fordert eine "inhaltliche, personelle und koalitionspolitische" Neujustierung. Die "Fixierung auf die Union" müsse ein Ende haben, sagt Vogel, der im Bundestag und ebenfalls im Parteivorstand sitzt. Mit Blick auf das Debakel am Wochenende stellt er fest: "Die alte FDP ist abgewählt worden."

Mehrere Liberale bekümmert es, dass die Partei allein die Union als Machtoption hat. Dabei war es die Freie Demokratische Partei, die über Jahrzehnte das Zünglein an der Waage der deutschen Politik war und sich aussuchen konnte, ob sie den Schwarzen oder den Roten zur Mehrheit verhilft. Guido Westerwelle aber war es, der sozialliberalen Varianten früh eine Absage erteilte und dazu überging, "sozialdemokratisch" als Schimpfwort zu benutzen. Er war es somit, der die Partei fest an der CDU und CSU vertäute. "Fakt ist, dass inzwischen fast jeder mit jedem koalieren kann, nur die FDP nicht", stellt FDP-Vorstand Vogel fest, ohne den angeschlagenen Parteiführer direkt zu kritisieren. Westerwelles potentieller Nachfolger Lindner hingegen hat bereits klar gemacht, die Partei koalitionspolitisch flexibel machen zu wollen.

Westerwelles Spitzenpersonal steht offen in Frage

Unklar ist, was im Falle eines Sturzes mit Westerwelles Getreuen passiert - große Teile der FDP-Führung sind vom Parteichef ausgewählt oder gefördert worden. Auch um ihre Zukunft ist eine heftige Debatte entbrannt, so zum Beispiel um Westerwelles Stellvertreter Brüderle und Cornelia Pieper.

Bremens FDP-Chef Oliver Möllenstädt bringt diplomatisch auf den Punkt, was viele Liberale denken: "Herr Brüderle und Frau Pieper müssen prüfen, ob sie den von ihnen erwarteten Beitrag als stellvertretende Vorsitzende noch leisten können." Allerdings hält Möllenstädt nichts von "Schnellschüssen", wie sie Chatzimarkakis vorschlägt, sondern verweist auf den Parteitag im Mai: "Von der Personaldiskussion ist dann niemand ausgenommen."

Birgit Homburger, Landesvorsitzende der Liberalen in Baden-Württemberg und FDP-Fraktionschefin im Bundestag, gilt ebenfalls als angezählt. Ihre Leistung wird von einigen Vorstandsmitgliedern bemängelt, allen voran von Wolfgang Kubicki, dem FDP-Fraktionschef im Landtag Schleswig-Holsteins. Er machte Homburger "an vorderster Linie mitverantwortlich" für die jüngste Wahlniederlagen. Sie müsse zurücktreten, ebenso wie Pieper, forderte Kubicki im Stern.

Der Fraktionschef der FDP im Stuttgarter Landtag, Hans-Ulrich Rülke, erklärt im Gespräch mit sueddeutsche.de die umstrittene Fraktionschefin für sakrosankt: "Wer an Homburger rüttelt, bekommt es mit der gesamten Südwest-FDP zu tun."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1079291
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/woja/hai
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.