Süddeutsche Zeitung

FDP in der Krise:Guidos Erbe

In Zeiten großer Krise erkennt die FDP: Steuersenkungen zu versprechen reicht nicht. Jetzt wollen sich die Liberalen ein neues Programm geben. Spiritus Rector ist aber nicht Parteichef Westerwelle.

Peter Blechschmidt und Claus Hulverscheidt, Berlin

Die Zeichen der Zeit waren unübersehbar. "Wir wollen eine Neuausrichtung der FDP", sagt die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Birgit Homburger. Parteichef Guido Westerwelle kündigt an, die Liberalen müssten "jetzt liefern". Generalsekretär Christian Lindner will gar die Feuilletons das Staunen lehren, indem "wir einen Liberalismus diskutieren, ohne das Wort Steuersenkung in den Mund zu nehmen".

Was in der FDP angesichts miserabler Umfragewerte und vernichtender Kritik in den Medien schon seit langem gärt, wird mittlerweile auch offen ausgesprochen: Als bloße Steuersenkungspartei und als Anhängsel der Union wird die Partei nicht überleben. Homburger findet das Urteil über die angebliche Eindimensionalität der Liberalen zwar ungerecht, räumt aber ein, dass die Partei mit vielen Themen jenseits der Steuerpolitik bislang "nicht durchgedrungen" sei. Das soll sich nun ändern, auch wenn, so Homburger, das "nicht heißt, dass wir jetzt alles über Bord werfen".

Das Zauberwort heißt Programmdiskussion. Sie soll am übernächsten Wochenende bei einer Klausur des Partei- und des Fraktionsvorstandes Fahrt aufnehmen. Spiritus Rector ist Lindner, der schon vor seiner Berufung Anfang des Jahres ein neues Grundsatzprogramm als überfällig angemahnt hat. Im vorigen Jahr wollte die Parteiführung das Thema wegen des Bundestagswahlkampfs nicht anpacken, Westerwelle soll sogar wütend auf das Ansinnen reagiert haben. Nun aber hat es durch die Entwicklung der letzten Wochen zusätzliche Dringlichkeit erhalten.

"Es geht um die systematische Erweiterung unseres Themenfeldes", sagt ein Mitglied der Parteiführung. "Es geht um die Frage: Was ist politischer Liberalismus heute?" "Wir wollen das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung, von Staat und Bürgern neu justieren - das soll das Aushängeschild der FDP werden", beschreibt ein Spitzenmann die selbst gestellte Aufgabe. Es solle deutlich werden, dass Freiheit nach Ansicht der FDP nicht nur Freiheit der Märkte, sondern auch die Freiheit des Einzelnen bedeute, sich zu entwickeln und seine Verantwortung in der Gesellschaft wahrzunehmen. Dafür gelte es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, und die seien wirtschaftliches Wachstum, Arbeitsplätze und gesunde Staatsfinanzen.

"Wir wollen definieren, was freiheitliche Politik angesichts neuer Herausforderungen bedeutet", sagt Homburger, und Lindner assistiert, das Profil der FDP müsse deshalb nicht grundsätzlich neu beschrieben werden. Ökonomische Vernunft, soziale Gerechtigkeit und eine Balance zwischen Staat und Privat seien von jeher die Positionen der FDP gewesen, und dabei müsse es auch bleiben.

Dass sich die FDP in die Ecke der reinen Steuersenkungspartei überhaupt hinein manövriert hat, ist nach Aussage führender Fraktionsmitglieder der Oppositionsrolle zu Zeiten der großen Koalition geschuldet. "Wir mussten klar erkennbar sein, um uns von Schwarz-Rot abzugrenzen", sagt ein Mitglied des Fraktionsvorstands. "Das Ergebnis ist aber, dass wir heute in der Steuerpolitik so klar erkennbar sind, dass uns jegliche Flexibilität abhanden gekommen ist." Für eine Regierungspartei sei das ständige eindimensionale Eintreten für Steuersenkungen und die Absage an jede Art von Steuererhöhungen aber schlichtweg zu wenig. "Die Menschen erwarten von einer Regierungspartei auf klare Fragen klare Antworten und keine Oppositionsphrasen, und sie haben das Gefühl, dass wir diese Antworten nicht geben", sagt ein anderer führender Liberaler.

Gerade für viele jüngere Fraktionsmitglieder ist das auch deshalb ärgerlich, weil sich die Forderung nach einer großen Steuerreform mit ein wenig mehr Flexibilität und Kreativität womöglich doch noch hätte umsetzen lassen. So hätte die Koalition beispielsweise die Steuersätze im mittleren Bereich deutlich absenken und zur Finanzierung im Gegenzug den Spitzensteuersatz, die Kapitalertragsteuer oder den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für viele Produkte anheben können. Mit ihrem kategorischen Nein zu jeder Art von Steuererhöhungen machte es die FDP-Führung Kanzlerin Angela Merkel jedoch leicht, das Thema zumindest vorerst zu beerdigen.

"Das ist auch ein Generationenproblem", heißt es in der Fraktionsführung. Während sich viele jüngere Funktionsträger, darunter Homburger, Lindner, Gesundheitsminister Philipp Rösler und dessen Staatssekretär Daniel Bahr, von der Parteiführung eine pragmatischere Politik wünschen, stellt sich mancher der Altvorderen beharrlich quer. Vor allem Hermann Otto Solms, der einstige Fraktionschef, der bei der Verteilung der Ministerposten allen angeblichen Absprachen zum Trotz leer ausging, blockiert dem Vernehmen nach alles, was auch nur nach Steuererhöhung riecht. "Niemand will die Programmatik der FDP aufgeben, aber manche sind immer noch in der Programmatik der neunziger Jahre verhaftet", sagt ein Abgeordneter. Auch Westerwelles häufig noch schriller Ton sei der Sache eher abträglich.

Doch jetzt will man sich der Zukunft zuwenden. Homburger nennt drei Schwerpunkte der künftigen Programmatik: Zum ersten den Bereich Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Durch bessere Rahmenbedingungen sollen mehr Arbeitsplätze entstehen, die Finanzmärkte sollen an die Kandare genommen werden, und auch der Abbau der kalten Steuerprogression sei nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.

Den zweiten Schwerpunkt sollen Bildung und Forschung bilden. Dabei soll nicht diskutiert werden, wie viel Geld ausgegeben werden kann, sondern vor allem, wie damit bessere Ergebnisse erzielt werden können. Ein Stichwort dabei ist frühkindliche Bildung.

Als dritten Bereich nennt Homburger die Bürgerrechte, lange Zeit ein Markenzeichen der FDP. Mit dem Internet sei ein weites Feld hinzugekommen, auf dem die Wahrung der Bürgerrechte eine ganz neue Bedeutung gewonnen habe.

Programmdiskussionen brauchen ihre Zeit. Nur so können sie die Parteimitglieder mitnehmen und in die Öffentlichkeit wirken. Dabei macht die Tagespolitik nicht Halt, und wenn es weiter so streitig zugeht in der Koalition, werden auch im Tagesgeschäft profilschärfende Antworten notwendig sein. Eine Parole haben die Liberalen schon ausgegeben. Mit Blick auf die Demütigungen ihres Ministers Rösler durch die CSU heißt es jetzt: "Wer einen unserer Minister angreift, der greift uns alle an."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.960542
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.06.2010/woja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.