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FDP in der Krise:Röslers Rumpelstil

Führungs- und ankerlos rumpelt die FDP ihrem Parteitag entgegen: Hinter den Kulissen rangeln ambitionierte Junge und erfahrene Alte um Macht und Posten. Fraktionschefin Homburger ließ eine Pressekonferenz ankündigen - und dann mit seltsamer Begründung absagen. Über allem schwebt die Frage: Was macht eigentlich der designierte neue Vorsitzende Philipp Rösler?

Thorsten Denkler, Berlin

Es ist ein geradezu jämmerliches Bild, das die FDP eine Woche vor einem der wichtigsten Parteitage ihrer Geschichte abgibt. Am Wochenende soll in Rostock die neue Führung der Partei gewählt werden. Manche fragen sich jedoch verwundert: Führung? Welche Führung?

Gut, Gesundheitsminister Philipp Rösler soll neuer Parteichef werden. Der langjährige Vorsitzende Guido Westerwelle musste Anfang April aufgeben. Spätestens die bittere Kritik, die sich der aus Bonn stammende Westerwelle am Wochenende auf dem Parteitag seiner Landespartei in Nordrhein-Westfalen anhören musste, hätte ihn wohl aus dem Amt gefegt. Die Agenturen melden, es habe "Rücktrittsforderungen, Austrittsdrohungen und einen Beifallstreik" gegeben. Westerwelle wehrte sich mit den Worten: "Ich entschuldige mich für jeden Fehler, den ich gemacht habe. Aber trotzdem, glaube ich, haben wir in den vergangenen zehn Jahren weit mehr richtig gemacht als falsch."

Das klingt schon einigermaßen verzweifelt nach dem Versuch, den Autoren von Geschichtsbüchern noch irgendwie einen positiven Spin mitzugeben. Westerwelle, dessen verbliebener Posten als Außenminister nach wie vor wackelt, will nicht als Gescheiterter abtreten.

Und noch eine vermeintliche Führungskraft hat am Wochenende erleben müssen, dass der Rückhalt im eigenen Landesverband bei weitem nicht so groß ist, wie sie gerne suggerierte. Die wegen ihrer eher kontraproduktiven Ausstrahlung umstrittene Chefin der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, erlebte am Samstag die Quasi-Spaltung ihres einst so stolzen Landesverbandes Baden-Württemberg.

Nach einem Patt von 180 zu 180 Stimmen gegen den umtriebigen aber auch nicht gerade charismatischen Europaabgeordneten Michael Theurer schaffte die Landevorsitzende erst im zweiten Wahlgang die Wiederwahl - denkbar knapp. Mit 199 zu 192 Stimmen erreichte sie nicht mal die absolute Mehrheit - das Gegenteil einer souveränen Titelverteidigung.

Als Flucht nach vorn darf nun gewertet werden, dass Homburger die Neuwahl des Vorstandes der Bundestagsfraktion auf den morgigen Dienstag vorverlegte.

Bezeichnend ist, dass Homburger zunächst eine Pressekonferenz für den frühen Montagnachmittag anberaumte - und dann kurzfristig absagen ließ. Bei dem Auftritt wollte sie eigentlich über den Verlauf einer zweitägigen Klausursitzung berichten. Es war erwartet worden, dass sie dabei klärt, ob sie sich erneut als Fraktionsvorsitzende bewirbt. Ein Fraktionssprecher begründete die Absage mit "terminlichen Gründen" - was auch immer das heißen mag.

Immerhin hat sie erkannt: Die in Umfragen trotz Westerwelle-Abgang stabil unter fünf Prozent verortete FDP braucht nach dem anstehenden Rostocker Parteitag alles, aber keine Personaldebatten mehr. Und mit etwas Glück kann sie es trotz des mauen Ergebnisses als Landeschefin schaffen, auch den Fraktionsvorsitz zu behalten - dann nämlich, wenn sich in der knappen Zeit so schnell kein Gegenkandidat auftreiben lässt.

Sicher ist das allerdings nicht: Es werden einige Namen gehandelt. Bild etwa hatte am Wochenende spekuliert, dass Rainer Brüderle der Fraktionsvorsitz angeboten werden solle, damit der endlich das Wirtschaftsministerium für Rösler räumt. So soll vermieden werden, dass Rösler als FDP-Chef Entlastungen für die Bürger fordert und als amtierender Gesundheitsminister Beitragserhöhungen verkünden muss.

Dass Brüderle von seinem Ressort ablässt, ist eine geradezu abstruse Vorstellung. Der Pfälzer hat sich mit seinem Ministerposten einen Lebenstraum erfüllt und offenbar genug Unterstützung, dass er gerne den Kampf um sein Amt aufnimmt. Alle wissen: Das würde ein hässlicher Kampf werden und Rösler ist nicht stark genug, ihn aufzunehmen.

Verlierer wählt das Parteivolk ungern

Es soll noch einen anderen Interessenten für den Fraktionsvorsitz geben: Angeblich sondiert auch Haushaltsexperte Otto Fricke seine Chancen, Homburger zu beerben. Die sollen aber dem Vernehmen nach gering sein.

Wahrscheinlicher ist da schon eine Kandidatur des nordrhein-westfälischen Landeschefs Daniel Bahr um den Fraktionsvorsitz. Einfach wäre auch das nicht. In der Fraktion hätte er die jüngeren Kollegen wohl hinter sich. Vor allem aber seinen Freund Phillip Rösler. Manche in der Fraktion haben den Eindruck, Rösler wolle Bahr unbedingt als Fraktionschef durchsetzen. Allerdings nicht offen, wie einige kritisch anmerken, sondern hintenherum. Was sie wenig lustig finden.

Aber nicht alle wollen Homburger loswerden. Bei aller Kritik an ihrer Außenwahrnehmung erkennen viele an, dass sie ihr Kerngeschäft versteht: Sie hält die Fraktion zusammen und gilt als beinharte Verhandlerin im Koalitionsausschuss.

Bis jetzt haben weder Bahr noch Rösler erklärt was sie wollen. Offenbar zögern beide noch. Der ambitionierte Bahr, ein Vertrauter Röslers und des Generalsekretärs Christian Lindner, ist bislang nur Staatssekretär im unpopulären Gesundheitsministerium. Er ginge bei einem offenen Machtkampf um den Fraktionsvorsitz ein erhebliches Risiko ein: Bei einer Niederlage gegen Homburger wäre sein Ziel gefährdet, Parteivize zu werden. Verlierer wählt das Parteivolk ungern. Rösler wiederum will sich nicht die Finger an der wichtigen Personalie verbrennen.

In der Fraktion bemängeln einige am künftigen Parteiboss vor allem eines: Führung. Wenn Rösler ein Personalkonzept vorstellen würde, würde die Fraktion es auch mittragen, sagt einer, der Gewicht hat unter den FDP-Abgeordneten. Egal ob Homburger dabei wäre oder nicht.

Die Fraktion ist die eine Baustelle, auf der Rösler gerade keine glückliche Figur macht. Die andere Feld, das der Niedersachse zu beackern hat, ist die Partei.

Als gesetzt für einen der drei Posten als stellvertretende Parteichefs kann nach derzeitigem Stand nur die Chefin der bayerischen Freidemokraten und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gelten. Die offene Baustelle schwächt Philipp Rösler noch vor seiner Wahl: Denn der wollte längst einen überzeugenden Personalvorschlag gemacht haben. Überzeugend aber ist da nichts.

Schon allein weil Rainer Brüderle jede Neuaufstellung blockiert. Der 65-jährige Parteiveteran will wohl Partei-Vize bleiben. Vor allem, um so sein Ministeramt abzusichern. Neben Bahr hat auch Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn Ansprüche angemeldet. Unklar ist, welche Chancen er hat. Mit Kritik an der Parteispitze hat der Hesse selten hinterm Berg gehalten. In den Parteigremien aber gilt er als großer Schweiger.

Ringen um den Proporz

Dann ist da noch Holger Zastrow, der sächsische Landeschef. Er wird als Wunschkandidat der ostdeutschen Landesverbände genannt, die auch in der Parteispitze repräsentiert sein wollen. Daraus wird aber wohl nichts: Zastrow fällt vor allem durch seine Nibelungentreue zur alten Garde auf. Westerwelle ist für ihn ein Held, Homburger und Brüderle sind in seinen Augen Bestbesetzungen.

Die Baden-Württemberger sähen sich gerne von Dirk Niebel als Parteivize vertreten. Auch er ein treuer Westerwelle-Mann, der zudem noch mit dem Entwicklungshilfeministerium jenes Ministeramt besetzt, das die FDP doch versprochen hatte abzuschaffen. Fast scheint es, als wäre es nötig, ein paar mehr Vize-Posten zuzulassen, damit der Proporz, damit alle Ansprüche befriedigt sind.

Führungsstark jedenfalls wirkt das nicht, was Rösler derzeit abliefert. Wenn er es in den kommenden Tagen weiter so laufen lässt, wird es in Rostock am Wochenende einen Bundesparteitag der Kampfentscheidungen geben.

Demokratiepolitisch mag das wohltuend sein. Nur wird sich dann Rösler mit einem Führungsteam begnügen müssen, das ihm eine zutiefst verunsicherte und gespaltene Partei zusammengewürfelt hat. Nur politische Idealisten vermögen es, darin eine Chance für die FDP zu sehen.

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