Süddeutsche Zeitung

FDP im Wandel:Andere Bilder, andere Sätze

In den letzten Jahren stand vor allem einer für die FDP: der Vorsitzende Christian Lindner. Doch den jüngsten Parteitag prägte vor allem seine neue Generalsekretärin Linda Teuteberg.

Von Stefan Braun

Am Ende des Parteitags in Berlin ist für Christian Lindner die Welt wieder in Ordnung. Es gibt keinen Streit mehr und keine weiteren Geschäftsordnungsdebatten. Stattdessen sind seine Ziele erreicht worden. Die Partei will die Abschaffung des Enteignungsartikels im Grundgesetz erkämpfen; sie hat sich in der Klimapolitik für einen Fokus auf den Emissionshandel ausgesprochen. Und sie hat beim Thema Frauenförderung die Linie der Parteispitze bestätigt, im Bemühen um mehr Frauen in der Partei und ihren Führungspositionen die Quote abzulehnen. Kurz gefasst: Für Lindner ist die Sache gut ausgegangen. Also sitzt er am Sonntagmittag sehr zufrieden auf der Parteitagsbühne. Sein Lächeln soll wohl heißen: Ich kann mich sehen lassen.

Auf eines allerdings verzichtet der Parteichef. Und das vermittelt plötzlich den Eindruck, als sei die Welt der FDP doch eine andere geworden. Am Ende dieses Parteitags geht nicht der oberste Vorsitzende ans Mikrofon. Es ist seine neue Generalsekretärin. Und wie die 38-jährige Brandenburgerin Linda Teuteberg ohne Attitüde und kraftstrotzende Geste Adieu sagt, wirkt sie ganz anders als ihr Parteichef.

Kein Kampfauftrag und kein politischer Marschbefehl, den die Neue den eigenen Leuten mit auf den Weg gibt. Stattdessen bedankt sie sich bei allen, die dabei waren, von den Tontechnikern bis zu den Hallenbetreibern, und fügt unprätentiös hinzu: "Auf Wiedersehen, auf eine gute Zusammenarbeit, habt einen guten Heimweg." Für alle, die die FDP in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, ist das nichts anderes als ein Kulturbruch. Und das passt gar nicht schlecht zu diesem Berliner Parteitag, denn selten in den vergangenen sechs Jahren haben andere die Bilder geprägt - und nicht der Parteichef.

Das gilt für die zuweilen garstig bis giftig geführte Debatte über die Frage, wie die Partei für Frauen attraktiver werden möchte; es gilt für den Konflikt um einen Stellvertreterinnenposten, der die Siegerin wie eine Verliererin aussehen ließ; und es gilt für den Auftritt der neuen Generalsekretärin. Zur Überraschung vieler hatte Lindner die außerhalb ihrer Partei bis dahin weithin unbekannte Bundestagsabgeordnete Mitte April für dieses Amt nominiert.

Teutebergs erste größere Rede am Samstag deutete an, dass sie nicht nur zu einer wichtigen Mitstreiterin des Parteichefs werden könnte, sondern in Stil und Tonlage schon jetzt wie eine Alternative aussieht. Die gut 660 Delegierten spendeten ihr während und nach ihrer 30-minütigen Rede derart viel Beifall, dass man den Eindruck bekommen konnte, die Partei wolle sie, die bereits seit acht Jahren dem FDP-Vorstand angehört, demonstrativ ins Herz schließen.

Fürs Erste kann Lindner das gefallen; immerhin ist er es, der sie an seine Seite geholt hat. Sollte ihm daraus Konkurrenz erwachsen, müsste der Parteichef erst noch beweisen, dass er auch das aushält.

Dabei war ihre Rede keineswegs ein Feuerwerk neuer Ideen. Es gelang der 38-Jährigen aber zu zeigen, dass sie die drei Buchstaben FDP nicht dauernd und demonstrativ und besonders laut vor sich hertragen muss, sondern wie selbstverständlich liberal denkt und das auch vorlebt. Sie hat bislang nichts Künstliches und nichts Überdrehtes. Und sie vermittelt keineswegs den Eindruck, dass sie schon jetzt und überhaupt am besten wüsste, was für die Republik und die Menschen und überhaupt alle der beste Weg ist.

Besonders deutlich wurde das, als Teuteberg über die bevorstehenden Wahlen in Ostdeutschland sprach. So beklagte die gelernte Rechtsanwältin, dass viele andere Parteien gerade mit "altväterlichen Versprechungen" Wahlkampf machen würden. Dabei wollten die meisten Menschen im Osten "keine Sonderbehandlung und keine milden Gaben", sondern einfach nur "das Gleiche wie die ganze Republik" erhalten, sagte die Brandenburgerin, die in Königs Wusterhausen geboren wurde. Die Menschen in Ostdeutschland nämlich hätten selten andere Probleme als die Menschen im Rest des Landes. Sie würden nur "früher, schneller, deutlicher" mit diesen Problemen konfrontiert werden. Angesichts dessen sei es nicht hilfreich, wenn man die Unterschiede herauskehre. Stattdessen müsse man für alle von Krisen Gebeutelten neue Ziele entwerfen.

Um das zu erreichen, möchte Teuteberg überdies einen Weg beschreiten, der bislang in der FDP alles andere als üblich gewesen sein dürfte: "Wir wollen verstehen, warum Menschen Veränderungen nicht als neue Chance, sondern als nächste Sturmflut empfinden." Solche Sätze machten Teutebergs Auftritt so außergewöhnlich, und das nicht zuletzt, weil ihre Ausführungen ganz anders daherkommen als die üblicherweise sehr selbstbewussten Sätze des Parteichefs.

Noch auffälliger wurde Teutebergs neue Rolle durch eine Posse, die ausgerechnet ihre Vorgängerin Nicola Beer in ein unglückliches Licht rückte. Schon im Vorfeld war bekannt geworden, dass die EU-Spitzenkandidatin der Liberalen unbedingt stellvertretende Parteichefin werden wollte. Die Folge: Eine andere Stellvertreterin würde ihren Platz frei machen müssen. Um den Parteitag vor einer komplizierten Abstimmung zu schützen, verzichtete die durchaus beliebte Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf eine Kandidatur und wurde dafür frenetisch gefeiert. Beer dagegen erhielt ohne Gegenkandidatin gerade mal 58 Prozent - und wirkte wie die große Verliererin. Was sich am Sonntag prompt fortsetzte, als Beer zur Europarede ausholte. Allenfalls die Hälfte der Delegierten hörte zu. Und als Beer endete, erhoben sich die meisten nicht aus Begeisterung, sondern pflichtschuldigst. Selten hat eine Partei vier Wochen vor einer wichtigen Wahl derart demonstrativ gezeigt, wie gering ihre Sympathie für die eigene Spitzenkandidatin ausfällt.

Die wichtigsten Beschlüsse

Die FDP nutzte den Parteitag, um Positionen in Politikbereichen abzustecken, in denen die Liberalen programmatischen Nachholbedarf hatten. So verabschiedeten die Delegierten einen Antrag, der unter anderem die Offenlegung von Verdienstunterschieden zwischen den Geschlechtern in Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern fordert. Zudem will die FDP analog zum Mutterschutz eine zehntägige Auszeit für den Partner oder die Partnerin der Mutter schaffen.

Beim Klimaschutz setzt die FDP vor allem auf technologische Innovation und Marktwirtschaft. "Nur in der intelligenten Verzahnung von Ökologie und Ökonomie findet diese Transformation nachhaltigen Rückhalt in der Bevölkerung und kann gelingen", heißt es in einem Antrag, der beschlossen wurde. Ziel sei, das Wirtschaftswachstum vom Treibhausgas-Ausstoß zu entkoppeln. Als "zentrales Leitinstrument" sieht die Partei den Emissionshandel, also mit Rechten zum Ausstoß des Treibhausgases CO2.

Die FDP rief zudem zur Teilnahme an der Europawahl auf. Im Wahlkampf fordert die FDP unter anderem eine Europäische Armee, eine stärkere gemeinsame Asylpolitik, ein Ende des "Wanderzirkus" des EU-Parlaments zwischen Brüssel und Straßburg sowie Teilnahme an Austauschprogrammen mit anderen europäischen Staaten für alle Schülerinnen und Schüler.

dpa

Angesichts dessen dürfte es für die Stimmung wichtig gewesen sein, dass der Parteitag wenigstens so begann, wie es sich viele erhofft hatten: kraftstrotzend. Selbstbewusst. Und dafür war natürlich der Parteichef zuständig. Mit scharfen Angriffen gegen die Grünen startete Lindner am Freitag und geißelte deren Sympathie für Enteignungen. Vom "Bauen statt Klauen" redete er. "Wir garantieren das private Eigentum", erklärte Lindner und suggerierte damit ganz bewusst, dass die Grünen das Eigentum sehr grundsätzlich infrage stellen würden.

Nicht viel anders klang Christian Lindner in der Klimadebatte. Hier sprach der Parteivorsitzende von einem "ökologischen Autoritarismus" und verwahrte sich quasi gegen alle Versuche, mit gesetzlichen Auflagen ökologische oder klimapolitische Ziele erreichen zu wollen. Und weil er weiß, dass viele in der Gesellschaft mittlerweile anders denken könnten, hob Lindner hervor, wie wichtig es sei, gerade jetzt, wenn es einsam werde, standhaft zu bleiben. Man dürfe sich nicht "abhängig machen vom Applaus des Tages"; schlimm sei allenfalls, "für nichts mehr zu stehen".

So entschlossen das klingen sollte: An dieser Stelle erinnerte Lindner in seiner Kampfes-Rhetorik ausgerechnet an jene alte Parteiführung, die er nach dem Absturz 2013 ablöste.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4424906
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.04.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.