FDP im Wahlkampf:Herr Brüderle macht Witze

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Berlin-Swingers, die Anheizer für den FDP-Fraktionsvorsitzenden. (Foto: Thorsten Denkler)

Lustig sein und Ängste bedienen - FDP-"Spitzenmann" Rainer Brüderle kann das wie kaum ein anderer. Über einen Auftritt an der Basis, so erschreckend wie normal.

Von Thorsten Denkler, Berlin

"Ich glaube, der Bassist ist tot", sagt der Sitznachbar. Hmm, mal sehen. Ha! Da hat sich ein Finger bewegt. Nein, nein, der Bassist der Band lebt offenbar doch. Die Berlin-Swingers spielen ja auch noch ihre Swingmelodien. Eine Rheumadecke strahlt mehr Lebensfreude aus als die Kapelle, die vor Rainer Brüderles Auftritt das Publikum unterhalten. Keines der Mitglieder dürfte jünger sein als der FDP-"Spitzenmann". Und sie geben sich keine Mühe, das zu verbergen.

Ort ist der vierte Stock im Institut français am noblen Kurfürstendamm. Alter Berliner Westen. Gut 150 Menschen sind hergekommen. Gemessen an den 1,8 Prozent, mit denen die FDP bei der Landtagswahl 2011 aus dem Berliner Abgeordnetenhaus geflogen ist, dürften das wohl alle Wähler sein, die im Umkreis von drei Kilometern aufzutreiben waren.

Durchaus unterschiedliche Typen sind unter den Gästen. Gerade bahnt sich ein korpulenter Mann seinen Weg durch die Stehtische, um zu einem freien Stuhl zu gelangen. Um seinen Hals spannt sich eine schwere, goldfarbene Kette, an der wie eine Gondel am Drahtseil ein massiver, dreifingerbreiter Gold-Adler hängt.

Etwas weiter hat eine ältere Dame Platz genommen, goldbehängt und im Haar ein Spur zu viele von diesem Rosa-Ton, den Frauen eines gewissen Alters für top-modern halten. Hinten im Publikum steht noch ein junger Herr, marine-blaues Jackett, grün-weiß gestreifte Krawatte, seidenes Einstecktuch, blau-weiß gestreiftes Hemd. Am Revers eine Deutschlandfahne, die Hände auf einen Regenschirm mit dunklem Holzgriff gestützt. Sein bubenhaftes Gesicht lässt nicht darauf schließen, dass er in Amerika schon Alkohol kaufen dürfte.

"Deutschland geht es gut"

Er könnte zum Fanclub von Martin Lindner gehören, dem Berliner Spitzenkandidaten der FDP. Lindner ist ein Geld-Liberaler alter Schule, der gerne in Talkshows eingeladen wird, weil er das verkörpert, wofür viele die FDP verachten. Lindner dankt den Gästen, dass sie gekommen sind, "die frohe Botschaft des Liberalismus zu hören in diesen harten und schwierigen Zeiten." Und schiebt dann breit lächelnd hinterher: "Deutschland geht es gut."

Show-Time. Es ist Wahlkampf. Wahlkampf an der Basis. So wie ihn viele Politiker gerade auf ihre Art erleben. In Hinterzimmern, auf windigen Marktplätzen, an verlassenen Infoständen. Oder eben hier im vierten Stock des Institut français. In jedem Interview beteuert Brüderle, ihm mache Wahlkampf Spaß. Es fällt schwer, das zu glauben.

FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle
:Glückloses Urgestein

Die FDP hat sich im Wahlkampf auf ihren lautesten Wortführer verlassen. Er ist einer der erfahrensten Akteure in der ansonsten verjüngten Parteispitze, seit 25 Jahren macht Rainer Brüderle Politik. Nun verfehlt die Partei unter ihm wohl den Einzug in den Bundestag - zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Brüderles Laufbahn in Bildern.

Von Carina Huppertz

Sein Wasserglas fällt ihm fast vom Pult, neben dem immer noch bewegungs- aber jetzt auch lautlos die Band in ihrer schwarzen Bühnen-Kleidung mit orangenen Krawatten steht. "Weingläser halten besser", witzelt er. Schon hat er die Leute auf seiner Seite. Darauf warten sie, auf den lustigen Brüderle, den König der Zoten, den Meister des gepflegten Herrenwitzes. Sie bekommen, was sie wollen.

Wenn die Franzosen glauben, sie könnten früher in Rente gehen, dann werden die Deutschen denen die Differenz nicht bezahlen "damit die früher in der Sonne liegen könne!", pfälzert er.

Überhaupt die Franzosen, diese Sozialisten. Da ist er ja genau richtig hier im Institut français. Bei der Bundestagswahl, das gehe es um eine Einstellung, um "geistige Haltungen", sagt Brüderle. Um die Wahl zwischen "bürgerlicher Haltung und der Kopie des französischen Modells" mit seinen horrenden Spitzensteuern und Staatsozialismus, wie Brüderle das gerne ausdrückt.

FDP-Mann Rainer Brüderle bespielt auch die kleinen Bühnen. (Foto: Thorsten Denkler)

Wieder ein Witz: "Freiheit Gleichheit, Brüderlichkeit" zitiert er den Schlachtruf der französischen Revolution. "Schon damals Brüderlichkeit!" Kunstpause. Brüderle lächelt. Er weiß, dass der Satz sitzt, der jetzt kommt. "Obwohl ich nicht dabei war." Die Leute lachen. So wollen sie ihren Rainer.

Natürlich muss auch krachend eingedroschen werden auf die anderen, auf die Grünen vor allem, Lieblingsfeinde der Liberalen. "Weil se uns für zu blöd halte, eigenverantwortlich über unser eigenes Geld zu entscheide!" Und die ganzen Verbote! Der Veggie-Day kommt Brüderle wie gerufen. "Das ist unerträglich. Die Künast kann esse was se will! Morgens, middags, abends! Mir schiet-e-gal!" Der Rest geht im Applaus und Gejohle unter.

Die Grünen rückt er in die Nähe von Sozialisten und Kommunisten - vor denen haben nämlich Liberale offenbar eine Heidenangst. Eine Vermögenssteuer, das sei Enteignung. Wenn es für Schwarz-Gelb nicht reicht, dann kommt rot-rot-grün, ganz sicher. Mit "Gabriel als Kanzler, Trittin als Finanzminister und Gysi als Außenminister." Die Troika des Schreckens. "Eine solche Bundesregierung will ich nicht", brüllt er jetzt. Gemessen am Applaus wollen seine Zuhörer das auch nicht.

Reimen kann Brüderle auch

Oder der Eis-Witz. Der grüne Trittin habe mal versprochen, der Öko-Strom werde die Menschen nicht mehr kosten als eine Kugel Eis im Monat. "Heute könne se dafür die ganze Eiskarte rauf- und runterbestellen!" Das kommt an.

Reimen kann Brüderle auch: "Fällt den Sozis etwas ein / muss es eine neue Steuer sein / Wer ist mit dabei / die grüne Partei."

Am Schluss liefert Brüderle noch eine Anleitung zum FDP-Wählen. Er empfehle dringend das Programm der Grünen zu lesen und neben die eigene Gehaltsabrechnung zu legen. Das sei eine "Anleitung zum Unglücklichsein".

Dann gibt es für jeden Wein und Brezeln auf Kosten der FDP. Die Berlin-Swingers swingen noch ein wenig, so starr und steif wie zuvor. Der Trompeter und Frontmann immerhin hat ab und zu geklatscht und genickt, während Brüderle sprach.

Der FDP-Spitzenmann muss weiter zum nächsten Termin. Wenn es wieder so ein Auftritt ist, werden ihn ähnliche Menschen erwarten. Er wird ähnliche Witze machen. Und sie werden funktionieren. Unterhalte die Leute und bediene ihre Ängste. So schlicht ist Wahlkampf.

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