FDP-Hoffnung Christian Lindner:Sie nannten ihn Bambi

Führt er die FDP in eine bessere Zukunft? Christian Lindner wird von vielen in der Partei als neue Hoffnung bejubelt - und als Westerwelle-Nachfolger gehandelt. Er predigt einen "mitfühlenden Liberalismus" und will die Partei sozialliberal aufstellen. Genau deshalb misstraut die mächtigste Gruppe innerhalb der FDP dem Jungspund.

Thorsten Denkler, Berlin

Christian Lindner kennt sich aus mit Kampfkandidaturen. 1998, mit gerade 19 Jahren, schafft er es so in den Landesvorstand der FDP in Nordrhein-Westfalen. Und zwei Jahre später ergattert er so den 19. Listenplatz für die Landtagswahl, die ihn unverhofft ins Parlament spült.

Free Democrat (FDP) Secretary-General Lindner is pictured during an interview with Reuters in Berlin

Ist er reif für das Amt, das einst von Theodor Heuss, Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher geprägt wurde? Für viele Liberale ist Christian Lindner der beste Kandidat für die Nachfolge von Guido Westerwelle.

(Foto: REUTERS)

Diesmal aber geht es um mehr. Diesmal geht es um das Amt des Parteivorsitzenden der einst so stolzen Freien Demokratischen Partei Deutschlands. Das ist kein Amt, das sich in einer Kampfabstimmung erobern ließe. Zumindest nicht gegen einen zwar angeschlagenen aber noch lange nicht wehrlosen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle.

Christian Lindner ist noch jung, 32 Jahre alt ist er Anfang Januar geworden. Auf der Berliner Bühne ist er erst seit der Bundestagswahl 2009 präsent. Und doch scheinen ihm viele in der Partei zuzutrauen, das Amt des Vorsitzenden übernehmen zu können, das einst von Theodor Heuss, Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher geprägt wurde.

Lindner, so sagen sie, sei ein politisches Naturtalent. Sowohl rhetorisch, strategisch wie intellektuell brillant. Ein Ruf, den sich Lindner hart erarbeitet hat. 1995 tritt er der FDP bei, ein Jahr später ist er Landeschef der liberalen Schüler in NRW. Bereits im Bundestagswahlkampf 1994 harrt er in Fußgängerzonen neben Plakaten aus mit der Aufschrift: "FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt." Es ist der Tiefpunkt der Selbstaufgabe der FDP. Die FDP muss selbstbewusster werden.

In dem Jahr wird Guido Westerwelle Generalsekretär der Partei. Auch er lässt früh erkennen, dass sich die FDP nicht an die CDU ketten darf. Mit ihm muss sich Lindner auf einer Wellenlänge gefühlt haben.

Der aggressive wie erfolgreiche Wahlkampf von Landeschef Jürgen W. Möllemann brachte Lindner 2000 in den NRW-Landtag. In dem Wahlkampf ließ Möllemann Hitler plakatieren. Dazu der Satz: "Wenn wir nicht schnell für mehr Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selber welche." Das brachte der Partei völlig überraschend 9,8 Prozent ein. Lindners eigentlich aussichtsloser Listenplatz reichte plötzlich völlig. Das Prinzip Eigenständigkeit hatte Erfolg.

Unter Möllemann will Lindner groß werden, bietet sich an, für Wissenschaft und Forschung zu sprechen. Ein klassisches Landesthema. Möllemann lässt ihn abblitzen, nennt ihn "Bambi". Ein Spitzname, den er erst mit seinem Wechsel nach Berlin loswird. Was wohl auch daran liegt, dass sich Lindner bis dahin hauptsächlich mit Kindergartenpolitik beschäftigen musste.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zeigte sich beeindruckt von Lindner. Nach dessen erster Rede vor dem Hohen Haus sagte Lammert: "Hätte man mir nicht ausdrücklich mitgeteilt, dass dies Ihre erste Rede im Parlament ist, ich wäre nicht darauf gekommen." Bambi nennt ihn heute keiner mehr.

Das Gegenmodell zu Westerwelle

Zu seinem Erfahrungsschatz gehört auch ein gescheiterter Versuch als Unternehmer Karriere zu machen. Etwa zeitgleich mit dem Einzug in den Landtag von NRW gründete er die Internet-Firma Moomax. 17 Monate später sind mehr als eine Million Euro öffentliches Fördergeld verbrannt. Lindner steigt aus, bevor Moomax Insolvenz anmeldet.

FDP-Vorstand: Westerwelle soll Parteivorsitz an Lindner abgeben

Applaus für den Förderer und Vorsitzenden: FDP-Generalsekretär Christian Lindner (r.) und Guido Westerwelle auf dem Kölner Parteitag der Liberalen im April 2010.

(Foto: dapd)

Er konzentriert sich fortan auf sein eigentliches Talent, die Politik. FDP-Landeschef Andreas Pinkwart macht ihn 2004 zu seinem Generalsekretär. Lindner, der an der Uni Bonn Politikwissenschaften, öffentliches Recht und Philosophie studierte, nutzt das Amt, um sich Gedanken über eine neue Ausrichtung der Partei zu machen. Er spürt, dass die Fokussierung auf Steuern und Wirtschaft der FDP irgendwann schaden wird. In verschiedenen Papieren bringt er den Begriff Fairness in die Partei ein. Es geht plötzlich um "mitfühlenden Liberalismus", darum, den Begriff der Solidarität mit freiheitlichem Gedankengut zu füllen. Lindner will die Partei sozialliberal aufstellen. Mit den übermächtigen Steuersenkern kann er wenig anfangen.

Westerwelle wird auf den redegewandten Jungspund aufmerksam und macht ihn 2009 zum Generalsekretär der Bundespartei. Schon sein erster Auftritt beim Dreikönigstreffen der Liberalen Anfang 2010 wird umjubelt. Auf dem Kölner Parteitag im April 2010 wählen ihn mehr als 95 Prozent der Delegierten. Schon damals hätten ihn einige lieber gleich zum Parteichef gemacht.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass Lindner ausbügelt, was der Parteichef verbrochen hat. Als Westerwelle Hartz-IV-Empfänger mit spätrömischer Dekadenz in Verbindung brachte, bemühte sich Lindner dies als Anstoß für eine notwendige Debatte darzustellen. Es sind verkehrte Rollen: Westerwelle macht Krawall, Lindner der Generalsekretär, ist für den Ausgleich da, besänftigt Medien und Parteivolk, schreibt Papiere - und präsentiert sich so als Gegenmodell zum amtierenden FDP-Chef.

Gut möglich, dass er der Richtige für das Amt ist. Jung ist er, aber er ist nicht unerfahren. Sicher ist nur: Eine Kampfkandidatur wird es nicht geben. Nicht gegen Westerwelle. Erst wenn der sich freiwillig zurückzieht und Lindner vorschlägt, ist der Weg frei. Ansonsten wäre nicht sicher, ob Lindner jetzt schon die Unterstützung in der Partei hätte, die er braucht, um Chef zu werden und zu bleiben.

Vor allem mit seiner Idee, jetzt alle acht alten Atommeiler für immer abzuschalten, hat er sich bei denen keine Freunde gemacht, ohne deren Unterstützung es in der FDP nicht geht. Die Wirtschaftliberalen sind eine große Macht in der Partei. Sie sehen Lindners Talent. Aber sie sehen auch, dass er in wichtigen Punkten ihren Interessen diametral entgegensteht.

Übernimmt Lindner ohne deren klaren Rückhalt die Parteispitze ist der nächste Führungsstreit programmiert.

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