Wenn es um das dramatische Element in ihrem Bündnis geht, hat die Ampel in den drei Jahren ihres Bestehens stets verlässlich geliefert. So verlässlich, dass mittlerweile jeder neue Zusammenstoß ein Déja-vu-Erlebnis auslöst. Auch zum Auftakt dieser Sitzungswoche liegen sich Grüne und FDP wieder in den Haaren, schuld ist ein Klassiker der grün-gelben Konfliktwelt: die Steuerpolitik.
Dabei war zunächst nicht viel passiert. Am Montag gab Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner zwei Berichte in die Ressortabstimmung, den zur Steuerprogression und den zum Existenzminimum. Klingt nach Routine und wäre es auch, wenn die Berichte nicht die finalen Zahlen für Lindners geplante Entlastungen bei der Einkommensteuer enthielten: das „Steuerfortentwicklungsgesetz“, das seit geraumer Zeit im Bundestag liegt. Mit ihm will Lindner den Grundfreibetrag, die Kinderfreibeträge und die Eckwerte in der Einkommensteuer an die Inflation anpassen – und zwar so, dass am Ende die „kalte Progression“ ausgeglichen wird.
Von Lindners Ausgleich der kalten Progression profitieren nur gewisse Einkommen
Ohne diesen Ausgleich würde schon ein Gehaltsplus, das nur die Preissteigerung ausgleicht, zu einer höheren Steuerlast führen – obwohl die Betroffenen sich real gar nicht mehr leisten können. Lindner und die FPD finden das ungerecht, die meisten Grünen und Teile der SPD aber sträuben sich jedes Jahr aufs Neue gegen den Ausgleich der kalten Progression. Der Grund: In absoluten Zahlen werden diejenigen am stärksten entlastet, die am meisten verdienen und deshalb die meisten Steuern zahlen. Relativ zum Verdienst gesehen, profitieren dagegen besonders die mittleren Einkommen.
Und tatsächlich: Gleich Montagabend machte die Nachricht die Runde, dass die Grünen dem Lindner-Entwurf einen Platz auf der Tagesordnung des Bundestags verweigern. Im Finanzministerium sorgte das für große Empörung. Lindner beschloss, nun ebenfalls etwas zu blockieren, nämlich den geplanten Kabinettsbeschluss zur Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen. Die sollen entsprechend den üblichen Formeln erhöht werden, was zu sinkenden Nettogehältern führt.
Lindner hatte das Vorhaben eine Weile blockiert, weil er den Automatismus dahinter infrage stellte. Am Montagmorgen hatte er eigentlich eingelenkt – bis zu der Sache mit dem Steuergesetz. Danach hieß es aus Ministeriumskreisen, eine Anpassung der Beitragsbemessungsgrenzen sei für sie „an die vollständige Beseitigung der kalten Progression gebunden“. Erst wenn hier Klarheit im Bundestag bestehe, „lassen wir die entsprechende Bestimmung im Kabinett passieren“.
Es ist also mal wieder unübersichtlich, wer gerade wen blockiert. Johannes Vogel, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, findet: Beide blockieren, aber die anderen haben angefangen. Ihm fehle das Verständnis dafür, dass „wegen einer Blockade der Grünen-Fraktion“ das Steuerfortentwicklungsgesetz nicht auf der Tagesordnung des Bundestags stehen werde.
So tief sind die Gräben vielleicht gar nicht
Sehr wohl aber habe er Verständnis dafür, dass der Finanzminister im Gegenzug die Anpassungen der Beitragsbemessungsgrenzen blockiere. Sonst würden stärkere Belastungen beschlossen, bevor die „notwendigen Entlastungen“ bei den Steuern durch den Bundestag gekommen seien. „Das geht so nicht“, sagte Vogel vor der Sitzung seiner Fraktion.
Die Grünen sehen das erwartungsgemäß anders. Dass Lindner die Verordnung zu den Beitragsbemessungsgrenzen am Montagabend erst freigegeben, seine Zustimmung am nächsten Morgen aber wieder zurückgezogen habe, sei „kein verlässliches Regieren“, kritisierte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch. Fraktionschefin Britta Haßelmann wies darauf hin, dass spätestens zum 1. November Klarheit bestehen müsse zu der aufgehaltenen Verordnung. Deshalb sei es „so wichtig und notwendig“, dass Lindner seine Blockade „endlich aufgibt“.
Während Grüne und FDP sich noch frontal gegenüberstanden, deutete sich schon am Dienstag zwischen den Zeilen an, dass die Gräben womöglich gar nicht so tief sind. Haßelmann etwa wehrte sich gegen die Darstellung, grundsätzliche Vorbehalte gegen den Ausgleich der kalten Progression zu haben. „Ich habe gar kein Problem“, sagte sie. Kollege Vogel von der FDP gefiel das – genau wie ihre Aussage, die Grünen wollten das Steuerfortentwicklungsgesetz so schnell wie möglich abschließen.