Grüne und FDP:Zwischen Anziehung und Abstoßung

Christian Lindner und Robert Habeck

So einträchtig sitzen der grüne Parteichef Robert Habeck (links) und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner nur selten nebeneinander. Viel lieber liefern sie sich verbale Kämpfe.

(Foto: Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa)
  • Einerseits möchte die FDP mit der Reibung an den Grünen und deren angeblichem Verbotsfimmel die eigene Anhängerschaft mobilisieren und im städtischen Milieu punkten.
  • Andererseits möchte die FDP durchaus Offenheit für einen neuen Jamaika-Anlauf signalisieren.
  • Annäherung gibt es bereits - sowohl in der Zusammenarbeit beim Digitalpakt als auch bei regelmäßigen Treffen in Berliner Bars.

Von Michael Bauchmüller und Daniel Brössler, Berlin

Als Christian Lindner kürzlich im Bundestag sprach, konnte kurzfristig der Eindruck entstehen, er habe sich im Parlament geirrt. Der FDP-Chef redete über eine Grünfläche am Berliner Westkreuz, das Tempelhofer Feld und die Elisabeth-Aue im Bezirk Pankow, wo jeweils Bauprojekte nicht zustande gekommen seien. "Alleine in Berlin gehen 11 000 nicht gebaute Wohnungen auf das Konto der Verhinderer von Bündnis 90/Die Grünen", gipfelte Lindners Ausflug in die Berliner Lokalpolitik. Der FDP-Chef braucht eine Antwort auf den Höhenflug der Grünen. Nun glaubt er, sie gefunden zu haben.

Der Berliner Betrieb ist reich an komplizierten Beziehungskisten, doch die grün-liberale gehört dabei zu den kompliziertesten. Während der schließlich von Lindner gestoppten Jamaika-Verhandlungen hatten die FDP-Leute den fast schon vertrauten Umgang einiger Grüner mit den Christdemokraten misstrauisch beäugt. Die danach stetig steigenden Umfragewerte der grünen Konkurrenz erklärte Lindner spitz damit, dass die Grünen geschickt ihr Wesen als Verbotspartei verschleierten. "Cremig" nannte er das.

Seit Grünen-Chef Robert Habeck gesagt hat, notfalls müsse enteignet werden, wenn Eigentümer brachliegender Grundstücke weder bauen, noch an die Stadt verkaufen wollten, ist es aus Lindners Sicht aber vorbei mit der Cremigkeit. Habeck habe sich "an die Spitze der Bewegung" für Enteignungen gesetzt, rief er im Bundestag. Die Grünen definierten sich eben "als linke Partei, die für planwirtschaftliche Verfahrensweisen offener" ist, meint der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann.

Die Zeichen scheinen also auf Angriff zu stehen, doch die Dinge liegen komplexer. Während sich Lindner und Habeck in den vergangenen Monaten wie in der Talksendung "Anne Will" per Du schon mal verbal an die Gurgel gegangen sind, liefen auch Entkrampfungs- und Annäherungsübungen. Einerseits will die FDP mit der Reibung an den Grünen und ihrem angeblichen Verbotsfimmel die eigene Anhängerschaft mobilisieren und im städtisch-liberalen Milieu punkten. Andererseits möchte sie durchaus Offenheit für einen neuen Jamaika-Anlauf signalisieren. Zusammen schrieben etwa Lindner sowie die grünen Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um Zusammenarbeit beim Digitalpakt und der dafür notwendigen Grundgesetzänderung anzubieten. Der Vorstoß hatte Erfolg.

Auch menschlich näherten sich Liberale und Grüne an. Alle zwei, drei Monate treffen sich ein gutes Dutzend Abgeordnete beider Fraktionen in der Bar Lebensstern im Westen Berlins zum Plausch. Von der FDP gehört Konstantin Kuhle, bis 2018 Chef der Jungen Liberalen, dazu und auch Stefan Ruppert, einer der Geschäftsführer in der Fraktion. Auf grüner Seite sind die Europapolitikerin Franziska Brantner dabei und Vize-Fraktionschef Konstantin von Notz. Zuletzt traf man sich am Mittwoch. Die Stimmung soll gut gewesen sein und völlig unberührt vom Schlagabtausch im Plenum.

Unmerklich nähern sich FDP und Grüne zudem ausgerechnet in der brisanten Klimapolitik an. Die FDP will bei ihrem Bundesparteitag Ende April "Grundzüge liberaler Klimapolitik" beschließen. Der Antrag des Bundesvorstands definiert die Klimapolitik, typisch FDP, über die Freiheit - und klingt gerade dadurch sehr grün. Denn die Freiheit erschöpfe sich "nicht im Hier und Heute, sondern verlangt weltweit und für alle künftigen Generationen Einsatz". Schließlich schränkten ökologische Altlasten "die Handlungsmöglichkeiten und damit die Chancen künftiger Generationen ein". Wer so argumentiert, muss mit Klimaschutz Ernst machen.

Die Partei setzt dabei, typisch FDP, auf den Markt: Vor allem technologischer Fortschritt soll die Emissionen senken. Damit der Fortschritt auf die Beine kommt, wollen die Liberalen den kompletten CO₂-Ausstoß deckeln - also auch jenen von Heizungen oder Autos. Über einen Handel mit Emissionsrechten würde dann der Klimaschaden einen Preis bekommen. Heiz- und Kraftstoffe würden teurer, ihr sparsamer Einsatz reizvoller. Die Einnahmen wiederum sollen auch den Verbrauchern zugutekommen, etwa über Steuersenkungen oder eine pauschale Auszahlung.

Angriff und Annäherung laufen bei Grünen und FDP derzeit parallel

Die Grünen nähern sich gerade einem ähnlichen Konzept, nur aus einer ganz anderen Richtung. Sie wissen, dass gute Umfragewerte noch keine guten Wahlergebnisse garantieren. Die Anmutung einer Partei, die nur über Gängelung und Verbote agiert, können sie da nicht gebrauchen. Auch für sie wäre ein CO₂-Preis ein guter Ausweg. Und gegen dessen Ausrichtung am Pariser Klimaabkommen, wie die FDP es fordert, können sie auch nichts haben.

Wer regieren wolle, müsse "konkrete Antworten geben", schrieb FDP-Veteran und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki in einem offenen Brief an seinen früheren Koalitionskollegen aus Schleswig-Holstein, den "lieben Robert" Habeck. Die Menschen könnten erwarten, "dass Du erklärst, wie sich Deine Solidarität mit 'Fridays for Future' konkret politisch umsetzen lässt - sozial verträglich, in einem demokratischen Gemeinwesen, in einem Rechtsstaat".

So laufen Angriff und Annäherung bei FDP und Grünen derzeit parallel. Man gehe "sachlich" miteinander um, sagt Geschäftsführer Marco Buschmann, aber wenn sich Konflikte zeigten, sei das doch gut: "Damit sich jeder seine Lieblingspartei aussuchen kann."

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