FDP-Generalsekretär Lindner im Gespräch:"Die Werte der FDP sind unter hämischer Kritik verschüttet"

Die FDP kämpft gegen schlechte Umfragewerte. Doch Generalsekretär Christian Lindner gibt sich zuversichtlich: Ein Gespräch über die Piraten, warum die Liberalen strikt gegen die Einführung von Euro-Bonds sind - und über den Mitgliederentscheid, den sich die Partei in einer schwierigen Phase zumutet.

Thorsten Denkler

Christian Lindner ist seit Dezember 2009 Generalsekretär der FDP, doch obwohl es während seiner Amtszeit stetig mit der Partei bergab ging, gilt der 32-Jährige als einer der wenigen Hoffnungsträger der Liberalen. Im Interview spricht er über die Fehler der Vergangenheit, die Strategie der neuformierten FDP und die Aussichten bei den nächsten Bundestagswahlen.

Abgeordnetenhauswahl Berlin - FDP

FDP-Generalsekretär Christian Lindner setzt darauf, dass die Liberalen bei der Wahl in Schleswig-Holstein den Trend der schlechten Wahlergebnisse brechen werden.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Lindner, Sie sind jetzt bald zwei Jahre Generalsekretär der FDP. Viele hielten Sie für den Retter der Partei. Im Frühjahr hätten Sie Parteivorsitzender werden können. Jetzt ist es Philipp Rösler. Wie viel Zeit verbringen Sie damit, ihn für das Amt zu schulen?

Christian Lindner: Er hat meine Unterstützung und braucht von niemandem Schulung. Philipp Rösler ist Parteivorsitzender in einer Zeit, die auch für jeden anderen schwer wäre. Für jeden. Deshalb war uns allen klar, dass die neue Führung Zeit braucht, um Vertrauen wiederzugewinnen.

sueddeutsche.de: Seit Röslers Wahl sind bald neun Monate vergangen - eine kleine Ewigkeit im politischen Geschäft. Und immer noch ist die FDP im tiefsten Umfragekeller. Wie viel Zeit bleibt ihm noch?

Lindner: Wir haben uns im Mai für die Bundestagswahl 2013 personell aufgestellt. Nicht nur Philipp Rösler an der Spitze von Partei und Regierungsmannschaft ist neu, sondern auch Rainer Brüderle an der Spitze der Fraktion. Die beiden zusammen sind die engste Führung der FDP. Das ist die von uns gewünschte Kombination von neuen Ideen und Themen mit jahrzehntelanger Erfahrung.

sueddeutsche.de: Sicher, dass das die Aufstellung für 2013 ist? Rösler wird undementiert mit den Worten zitiert: "Ihr Schicksal ist mein Schicksal." Gemeint war Wolfgang Kubicki. Ist Rösler weg, wenn der seine Wahl in Schleswig-Holstein im kommenden Frühjahr vergeigt?

Lindner: Sie, die Journalistin, die das behauptet hat, und ich - wir waren alle nicht dabei bei diesem Vier-Augen-Gespräch. Was soll ich da kommentieren?

sueddeutsche.de: Anders gefragt: Ist Schleswig-Holstein die nächste Schicksalswahl für die FDP?

Lindner: Die Wahl hat zweifelsohne eine besondere Bedeutung für die FDP. Wir haben jetzt einen Dreisprung vor uns. Die FDP wirkt derzeit zerstritten. Mit dem Mitgliederentscheid zum Euro-Stabilitätsmechanismus ESM schaffen wir erstens noch vor Weihnachten Klarheit und Geschlossenheit. Wir haben dann zweitens unser Drei-Königs-Treffen im Januar, bei dem wir unser Profil schärfen können: Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Toleranz. Und dann kommt die Wahl in Schleswig-Holstein, bei der wir den Trend der letzten Wahlen brechen.

sueddeutsche.de: Wie soll das gehen mit einer Partei, die als Marke "verschissen" hat, wie Kubicki drastisch aber zutreffend formuliert hat?

Lindner: Das war wohl als derber Ausdruck seiner Sorge gemeint. Wolfgang Kubicki ist dort der Spitzenkandidat. Der einzige kantige und bekannte Typ unter den Spitzenkandidaten in Schleswig-Holstein. Das wird was, weil die FDP Grundüberzeugungen vertritt, die von vielen Menschen geteilt werden.

sueddeutsche.de: ... ja, drei Prozent in den Umfragen.

Lindner: Um Ihr Gedächtnis aufzufrischen: Bei der letzten Bundestagswahl waren es fast 15 Prozent. Diese Menschen wollten Leistungsgerechtigkeit für die arbeitende Mitte. Die wollten einen handlungsfähigen, aber schlanken Staat. Deren Überzeugungen haben sich nicht verändert. Die sind nur enttäuscht. Deshalb ist schätzungsweise mehr als ein Drittel von denen, die uns bei der Bundestagswahl 2009 ihre Stimme gegeben haben, heute bei den Nichtwählern. Sie fühlen sich nicht angesprochen von einer CDU, die sich mehr Gedanken über Frauenquote und Mindestlöhne macht, als über Energiepreise und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Sie fühlen sich nicht angesprochen von einer SPD, die auf ihrem Parteitag gleichzeitig Steuer- und Generationengerechtigkeit abwickeln wird. Sie gehen auch nicht zu den Grünen, der Besserwisser-Partei mit hängenden Mundwinkeln und erhobenem Zeigefinger. Niemand drückt da das Politikverständnis durch die ganze Person besser aus als Renate Künast. Und die Piraten haben Hoffnungen mobilisiert, die sie jetzt aber bereits enttäuschen.

sueddeutsche.de: Aber offenbar wollen die Menschen eben auch nichts mehr mit einer FDP zu tun haben, die ihre Wahlversprechen nicht einhalten kann.

Lindner: Die Leute, die uns 2009 gewählt haben, haben das vor allem wegen geteilter Werte getan. Freiheit, Verantwortungsgefühl, Leitungsbereitschaft, Neugier und Toleranz. Bei der FDP sind diese Werte gegenwärtig unter Krisenmanagement und hämischer Kritik verschüttet, aber nicht verloren. Die werden wir nach und nach wieder freilegen.

"Wir haben Fehler gemacht"

sueddeutsche.de: Wollen die Wähler in Wahrheit nicht, dass die FDP endlich das liefert, was sie ihnen versprochen hat?

Lindner: Wir haben ja in diesem Interview noch nicht über Themen sprechen können. Nehmen wir wegen des Piraten-Parteitags die Bürgerrechte: Wir haben den Grundsatz Löschen statt Sperren durchgesetzt und Internet-Zensur verhindert. Beim Staatstrojaner haben wir mit dem Chaos Computer Club gezielt und konkret auf Änderungen gedrungen, während die Piraten nur mit der Schrotflinte reflexhaft Rücktritte gefordert haben. Wir sorgen dafür, dass die Sicherheitsgesetze nicht weiter zu Lasten der Privatsphäre verschärft werden. Auf Initiative der FDP kommt mit der Stiftung Datenschutz jetzt stattdessen ein Instrument, mit dem wir die Rechte der Nutzer auch gegenüber privaten Anbietern im Netz stärken. Die SPD robbt dagegen gerade in Richtung Vorratsdatenspeicherung. Das zeigt: Es macht einen Unterschied, dass genau wir mitregieren.

sueddeutsche.de: Als Herr Rösler versprach, er werde jetzt liefern, meinte er vor allem Steuersenkungen. Da ist die Flanke immer noch offen. Kann die FDP wieder wählbar werden, ohne dieses Versprechen deutlich spürbar einzulösen?

Lindner: Diese Flanke halte ich gar nicht mehr für offen. Erstens liegt die Priorität doch inzwischen darauf, den Staat aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte zu befreien. Da machen wir große Fortschritte. Steinbrücks Finanzplanung unterbieten wir um über 100 Milliarden Euro bis 2013. Zweitens haben wir trotzdem eine ordentliche Entlastung für den Mittelstand erkämpft. Wenn man von der Kindergelderhöhung, über die sinkenden Sozialabgaben bis zum jetzt geplanten Abbau der kalten Progression alles zusammenrechnet, dann wird eine vierköpfige Familie mit zwei Durchschnittsverdienern 2013 im Vergleich zu 2009 gut 1200 Euro mehr in der Kasse haben. Und drittens klären sich doch jetzt die Alternativen. SPD und Grüne wollen so drastisch die Steuern erhöhen, dass bereits qualifizierte Leute wie die Oberärztin im Krankenhaus, der Ingenieur oder der Handwerksmeister mehr als 50 Prozent ihrem Einkommen an den Staat abgeben müssen. Mehr abgeben, als man behalten darf - das ist ein Anschlag auf die Leistungsgerechtigkeit.

sueddeutsche.de: Und trotzdem sagen die Menschen nicht: Juchhe, auf zur FDP! Woran liegt es?

Lindner: Weil wir Fehler gemacht haben, die Vertrauen gekostet haben. Außerdem wird leider oft weniger über Inhalte und mehr über Personen und Umfragen gesprochen.

sueddeutsche.de: Nicht ohne Grund: Erst gibt es so viel Streit, dass der Parteivorsitzende kaum zum Schlichten kommt. Jetzt kabbeln Sie sich um den richtigen Weg in der Euro-Rettung.

Lindner: Wir muten uns in einer schwierigen Phase so eine Debatte zu, weil es uns um Europa geht. Mehr als 3000 Parteimitglieder wollen diesen Mitgliederentscheid. In einem sind wir uns alle einig: Die FDP will ein Europa der Stabilität, der klaren Regeln und des Wettbewerbs. Kontrovers debattiert wird über das konkrete Krisenmanagement. Frank Schäffler sagt einfach Nein zu allem. Das wäre der vorsätzlich herbeigeführte Zusammenbruch von Staaten, Banken und Realwirtschaft. Wir wollen dagegen Brandmauern, weil wir den Zeitraum für politische und wirtschaftliche Anpassung in Europa realistisch einschätzen.

"Euro-Bonds lösen die Probleme der der Schuldenstaaten nicht

sueddeutsche.de: Setzt sich der Initiator des Entscheides, Frank Schäffler, durch, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die Fraktion stimmt doch für den ESM. Dann zerreißt es die Partei. Oder sie stimmt gegen den ESM. Dann war es das mit Schwarz-Gelb.

Lindner: Bitte keine Dramatik. Die Basis der FDP ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Es geht auch um die Frage, welchen Einfluss die FDP auf die Gestaltung des erneuerten Europas hat. Frank Schäffler will die FDP vergleichbar mit der Linkspartei positionieren: orthodoxe Inhalte, die aber nie in der operativen Politik umgesetzt werden. Dazu darf es nicht kommen. Rainer Brüderle hat betont, dass die Abgeordneten ihrem Gewissen verpflichtet sind. Der Mitgliederentscheid geht mit Gewicht in die persönliche Meinungsbildung ein, ein imperatives Mandat lässt das Grundgesetz aber nicht zu.

sueddeutsche.de: Die Brandmauern um Griechenland werden mit jedem Euro-Gipfel höher: Erst sollen 440 Milliarden reichen, dann eine Billion Euro. Jetzt scheint selbst das nicht mehr genug. Warum nicht gleich Euro-Bonds?

Lindner: Mit den von SPD und Grünen geforderten Euro-Bonds wäre Silvio Berlusconi noch im Amt. Einheitszinsen entlasten nämlich die Politik von Reformen und schmerzhaften Lernprozessen. Euro-Bonds lösen damit nicht die strukturellen Probleme der Schuldenstaaten.

sueddeutsche.de: Dass die Europäische Zentralbank massenhaft Schrottanleihen aufkauft auch nicht. Da erscheinen geregelte Euro-Bonds als bessere Alternative, bei der die EZB ihre Unabhängigkeit behält.

Lindner: Beide Lösungen gefallen mir nicht. Die unabhängige EZB muss sich aus der Finanzierung der Staaten zurückziehen. Mit den Rettungsschirmen haben wir inzwischen bessere Instrumente.

sueddeutsche.de: Die SPD trifft sich ab diesem Sonntag zu ihrem Bundesparteitag in Berlin. Was erwarten Sie, außer den steuerpolitischen Beschlüssen?

Lindner: Vor allem freue ich mich auf das Schaulaufen der drei Kandidaten-Kandidaten Steinbrück, Steinmeier und Gabriel. Ich bin gespannt, wie die Stones sich angesichts der ja weiter fortgesetzten Abwicklung der Agenda 2010 in ihren Reden winden werden. Gerhard Schröder hat heute ja in erfrischender Klarheit die Steuererhöhungspläne der SPD als falsch gebrandmarkt. Wenn die SPD den Linksruck vollzieht, der sich jetzt abzeichnet, und einer der Stones wird Kanzlerkandidat, dann sind die Parallelen zu Helmut Schmidt unverkennbar. Schmidt hat allerdings erst in seiner Amtszeit die Unterstützung seiner Partei verloren. Steinbrück oder Steinmeier hätten dagegen schon als Kandidaten ihre Partei programmatisch nicht mehr hinter sich.

sueddeutsche.de: Wen hätten Sie denn von den Dreien am liebsten?

Lindner: Das ist mir egal. Für mich hat das nur einen gewissen Unterhaltungswert, wie die Partei sich immer weiter von der Agenda 2010 entfernt und Steinbrück und Steinmeier das zu verdecken versuchen. Diese Verrenkungen finde ich einfach ulkig. Erfolg jedenfalls haben sie damit nicht, wenn ich mir die schwachen Umfragewerte der SPD anschaue.

sueddeutsche.de: Immerhin hat die SPD seit 2009 um sieben Prozent zugelegt. Die FDP ist brachial auf drei Prozent abgestürzt.

Lindner: Verteidigen Sie nur die SPD. Die hat aber nicht davon profitiert, dass die Regierungskoalition im Zuge der Bewältigung einer Euro-, Schulden- und Banken-Krise in Umfragen verloren hat. Und in der Mitte der Legislaturperiode ist in der Regel der demoskopische Hochpunkt für die Opposition, der Tiefpunkt für die Regierung.

sueddeutsche.de: Ist vielleicht gar nicht die FDP alleine, sondern der Liberalismus insgesamt in der Krise?

Lindner: Das kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil brauchen wir liberale Lösungen. Der Ordoliberalismus ersetzt nämlich einerseits das freie Spiel der Kräfte an den Finanzmärkten durch eine Ordnung klarer Regeln. Die müssen auf private Haftung und Transparenz der Geschäfte hinauslaufen. Da stellt er sich der amerikanischen Politik des Laissez fair entgegen. Andererseits warnen Liberale davor, wenn aus klaren Regeln eine Kultur der Reglementierung, der Verbote und der politischen Besserwisserei wird. Also Maß und Mitte.

sueddeutsche.de: Vielleicht sind die Menschen einfach damit überfordert, wenn sie sich nach dem undurchschaubaren Riester-Renten-Dschungel jetzt im Dickicht der private Pflegeversicherungen orientieren sollen - von ihnen nach ihrem Gesundheitsminister "Pflege-Bahr" genannt.

Lindner: Da haben Sie aber ein außerordentlich pessimistisches Bild von den Menschen. Die sind doch nicht millionenfach schutzbedürftige und uninformierte Mündel, die nur darauf hoffen, dass Sigmar Gabriel, Claudia Roth und Gregor Gysi für sie entscheiden. Außerdem ist die private Vorsorge im demographischen Wandel unvermeidlich.

sueddeutsche.de: Und doch gehen sie lieber zu den Piraten. Auch die treffen sich an diesem Wochenende zu ihrem Bundesparteitag. In Berlin haben die Piraten die FDP degradiert: FDP 1,8 Prozent, Piraten 8,9 Prozent. In bundesweiten Umfragen liegen die Piraten satt über der Fünf-Prozent-Hürde. Die FDP ebenso satt darunter. Was haben die, was Sie nicht haben?

Lindner: Wir scheuen den Wettbewerb mit den Piraten nicht. Weder in der Netzpolitik noch in andere Politikbereichen. Es fällt mir ohnehin schwer, die Piraten inhaltlich dingfest zu machen. Die Partei hat zum Beispiel merkwürdige Vorstellungen, wenn es um geistiges Eigentum geht. Das geht von Umsonst-Mentalität bis hin zur Internet-GEZ. Das ist eine Mischung aus Anarchie und Kultursozialismus. Und wer soll das jetzt beschlossene bedingungslose Grundeinkommen bezahlen? Rente ab Geburt funktioniert nicht.

sueddeutsche.de: Vielleicht sind das die Themen, die die Menschen gerade mehr interessieren als ihr Pflege-Bahr.

Lindner: Es spricht eher gegen die Piraten, dass sie sich mit solchen Fragen nicht beschäftigen. Für mich ist das Thema Pflege eine der zentralen Fragen unserer Gesellschaft - wie wollen wir in einer alternden Gesellschaft menschenwürdig mit unseren Alten umgehen? Und wie finanzieren wir das? Das betrifft jeden von uns.

sueddeutsche.de: Also Parole: Keine Angst vor den Piraten!

Lindner: Na, ich betrachte es schon als eine Bedrohung, wenn der derzeitige Bundesvorsitzende der Partei sagt, er wolle Bundesinnenminister werden. Da ist mir sogar noch ein CSU-Mann unter Kontrolle der FDP lieber.

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