FDP: Generalsekretär Christian Lindner:"Wir können uns nicht mit Hauruck-Aktionen befreien"

FDP-Generalsekretär Christian Lindner über fehlende Demut in seiner Partei, Personaldiskussionen und den Versuch, mit neuen Themen zu punkten.

N. Fried und P. Blechschmidt

SZ: Herr Lindner, wissen Sie schon, welcher Landesverband als nächster Guido Westerwelles Rücktritt fordern wird?

FDP-Bundesparteitag

FDP-Generalsekretär Christian Lindner: "Wir wollen mit Guido Westerwelle wieder erfolgreich werden."

(Foto: ag.ddp)

Lindner: Ich sehe nicht, dass überhaupt ein Landesverband den Rücktritt von Guido Westerwelle gefordert hätte. Es gibt eine Einzelstimme aus dem Saarland, die nicht für ihren Landesverband spricht. Der Bundesvorstand hat Ende Juni unserem Vorsitzenden einmütig das Vertrauen ausgesprochen.

SZ: Könnte es sein, dass sich die Einmütigkeit der Klausur nicht bis in die Partei herumgesprochen hat?

Lindner: Zustimmung und Glaubwürdigkeit werden wir nicht binnen weniger Tage und Wochen zurückgewinnen. Auch ich ärgere mich, dass wir nicht mit größerer Demut und Übersicht in den Monaten nach der Bundestagswahl agiert haben. Jetzt sind wir in einer Situation, aus der wir uns nicht mit einer Hauruck-Aktion befreien können.

SZ: Wie sieht denn Ihre Strategie aus?

Lindner: Zuhören. Dazu machen wir Regionalkonferenzen, auf denen wir mit unserer Basis ins Gespräch kommen. Zweitens stehen wir vor einem chancenreichen Herbst. Wir können bei der Neuregelung von Hartz IV, in der Bildungspolitik, bei der Reform der Bundeswehr, durch Steuervereinfachungen und Spardisziplin zeigen, dass es einen Unterschied macht, dass die FDP regiert und nicht eine große Koalition oder Rot-Rot-Grün.

SZ: Ein hartes Stück Arbeit.

Lindner: Wir wollen die Erwartungen erfüllen, die in die FDP gesetzt worden sind. Die Legislaturperiode dauert noch mehr als drei Jahre. Dann muss die Bilanz stimmen.

SZ: Worauf dürfen sich die Bürger denn freuen, etwa bei der Energiepolitik?

Lindner: Rationalität. Die Energiewende hin zu den Erneuerbaren wird teuer und dauert technisch länger, als viele sich erhofft haben. Die Energieversorgung einer Industrienation darf aber nicht auf Wunschdenken gegründet sein. Deshalb erwarte ich eine mittlere Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke. Wir tun das nicht, um die Interessen der Energieerzeuger zu bedienen. Die zusätzlichen Gewinne der Konzerne wollen wir nutzen, um diesen extrem teuren Umstieg für die Stromkunden bezahlbar zu machen.

SZ: Wollen Sie sämtliche Zusatzgewinne der Stromkonzerne abschöpfen.

Lindner: Nein, das wird nicht funktionieren. Wir müssen schauen, welche zusätzlichen Investitionen nötig sind, um hohen Sicherheitsstandards zu genügen. Und die Unternehmen werden eine angemessene Rendite verlangen. Das begrenzt das Volumen der Abschöpfung. Dennoch werden es Milliarden sein.

SZ: Aber es wird eine zusätzliche Abgabe über die geplante Brennelementesteuer hinaus geben?

Lindner: Ja, das Gesamtvolumen wird höher sein. Bei der finanztechnischen Umsetzung ist die FDP offen für vernünftige Lösungen.

SZ: Ein wichtiges Thema ist die Neuregelung von Hartz IV sein. Westerwelle sagt, dass die Diskussion jetzt so läuft, sei Ergebnis liberaler Politik. Können Sie uns das bitte erklären?

Lindner: Soziale Verantwortung bemisst sich nach unserer Auffassung nicht an der Höhe der Sozialetats oder wohlfeiler Rhetorik, sondern an den konkreten Lebens- und Aufstiegschancen von Menschen. Im Herbst geht es um höhere Zuverdienstgrenzen, um bessere Förderung von Kindern, um bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt und um die Frage, wie wir die Hartz IV-Sätze dynamisieren können. Hartz IV wird einen anderen Charakter bekommen: nicht Stilllegungsprämie, sondern aktivierende Sozialleistung.

Eindimensionale FDP

SZ: Warum musste Westerwelle sich dann mit der Dekadenzdiskussion selbst so schaden?

Lindner: Da ist viel verzerrt und verdreht worden. In der Sache ist das damals schon unsere Position gewesen, die ich jetzt noch einmal dargestellt habe.

SZ: Ein anderes Problem der FDP ist doch, dass ihr mit dem Steuerthema ein Alleinstellungsmerkmal abhanden gekommen ist.

Lindner: Eines unserer Alleinstellungsmerkmale sind faire Finanzbeziehungen zwischen Bürger und Staat. Das ist nicht nur eine Frage der Steuerentlastung, sondern auch der Haushaltsdisziplin und der Steuervereinfachung. Im Übrigen ist die FDP die einzige Partei, die sich noch der Ordnungspolitik verpflichtet fühlt. Siehe Opel.

SZ: Also hat sich die FDP zu eindimensional gezeigt?

Lindner: Wir haben zu lange gebraucht, um uns über einen Prioritätenwechsel, der durch die Euro-Krise erforderlich wurde, klar zu werden. Wir hätten eher erkennen können, dass die Entlastungsdiskussion zunächst weniger wichtig ist als die Entschuldung der öffentlichen Haushalte. Finanzkompetenz bleibt weiter unser Thema. Wir werden das Steuersystem vereinfachen und die von allen anderen Parteien geforderten Steuererhöhungen vermeiden. Entlastungen streben wir für später an. Wir bekommen ein Energiekonzept. In der Bildungspolitik müssen wir die neuen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern diskutieren. Wir reformieren Hartz IV, wir bekommen einen vernünftigen Arbeitnehmerdatenschutz, wir haben ein neues Afghanistan-Konzept, wir setzen die Wehrpflicht aus - wenn wir das bis zum Jahresanfang durchgesetzt haben, dann ist das eine respektable Bilanz.

SZ: Wird Westerwelle dann noch Parteivorsitzender und Außenminister sein?

Lindner: Ich halte von den Forderungen nach Trennung der beiden Ämter gar nichts. Das Gewicht der FDP im Kabinett und in der Koalition würde geschwächt. Wir wollen mit Guido Westerwelle wieder erfolgreich werden. Unsere Minister und unsere Fraktionsvorsitzende arbeiten daran. Und ich fordere auch die Landespolitiker der FDP auf, dazu beizutragen, dass die FDP wieder über Themen wahrgenommen wird und nicht über Personaldiskussionen.

SZ: Es fällt auf, dass Westerwelles Verteidiger zwar immer auf den Erfolg bei der Bundestagswahl verweisen, aber nicht auf seine Verdienste seither.

Lindner: Das fiele mir für den Außenminister leicht. Dass wir gegenwärtig in der FDP und in der Koalition insgesamt in einer schwierigen Lage sind, kann nicht allein beim Parteivorsitzenden deponiert werden. Alle unsere Entscheidungen sind von Parteitagen, vom Bundesvorstand und von der Bundestagsfraktion getroffen worden.

SZ: Warum färbt es dann nicht auf Westerwelle und die FDP ab, wenn die Bilanz im Auswärtigen Amt so gut ist?

Lindner: Das wird noch Zeit brauchen. Andere hatten auch Höhen und Tiefen. Er hat das Stehvermögen. Und er braucht die Solidarität seiner Partei.

SZ: Was denken Sie, wenn Sie als künftiger Vorsitzender gehandelt werden?

Lindner: Das ist keine ernsthafte Diskussion. Mit 31 Jahren habe ich als Generalsekretär mehr als genug Verantwortung. Ich habe zudem den Auftrag, das neue Grundsatzprogramm vorzubereiten. Ich leiste meinen Beitrag dazu, dass die FDP unter der Führung von Guido Westerwelle wieder erfolgreich wird.

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