Süddeutsche Zeitung

FDP entfacht neue Steuerdebatte:Der Steuer-Tinnitus der Liberalen

FDP-Generalsekretär Christian Lindner prescht vor und fordert: Steuersenkungen! Am liebsten sofort! Der Koalitionspartner reagiert zurückhaltend, denn die Haushaltsrisiken sind trotz wachsender Steuereinnahmen enorm. Wenn es wieder nichts wird mit der Entlastung, dann hat die FDP ein ernsthaftes Problem.

Thorsten Denkler, Berlin

Menschen mit einem Tinnitus hören ein immer gleiches Geräusch. Ein Klingeln, einen Pfeifton, ein Rauschen oder Klacken. Das ist ziemlich nervig. In der Regel entsteht der Tinnitus nur im Kopf des daran Leidenden. Es gibt aber auch den objektiven Tinnitus, der auf eine echte Geräuschquelle zurückzuführen ist. Und es gibt den politischen Tinnitus. Meister darin sind die Liberalen. Der Tinnitus, den die FDP verbreitet, besteht aus zwei Wörtern: Steuern senken.

Der Steuern-senken-Tinnitus hat etwas an Lautstärke verloren in den vergangenen zwei Jahren. Irgendwann musste auch die FDP eingestehen, dass die Weltwirtschaftskrise vielleicht nicht der passende Zeitpunkt ist, um Steuern zu senken.

Jetzt aber geht es hörbar wieder los. Allen voran dreht der junge FDP-Generalsekretär Christian Lindner den Lautstärkeregler gerade ordentlich hoch. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt, die Debatte darüber zu führen, sagte Lindner am Morgen im Deutschlandfunk.

Der Grund: Die unerwartet hohen Steuereinnahmen dank der guten Konjunkturlage. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, dass Arbeitnehmer bei Lohnerhöhungen deutlich mehr in der Tasche hätten, sagt Lindner.

Noch vor der Sommerpause will die FDP sich mit der Union grundsätzlich auf Steuersenkungen verständigen, damit diese "noch in dieser Legislaturperiode" umgesetzt werden könnten, versprach Lindner auch gleich den Zuschauern des ARD-Morgenmagazins.

Deutlich wird daran: Die FDP will jetzt endlich "liefern", wie der neue FDP-Parteichef Philipp Rösler nach seiner Wahl auf dem Rostocker Parteitag im Mai versprochen hat. Und Generalsekretär Lindner ist offenbar aufgerufen, argumentativ den Druck zu erhöhen: Angeblich profitiere der Staat stärker vom Aufschwung als die Bürger. Das sei nicht richtig, weshalb die Bürger jetzt entlastet werden müssten.

Ob das mit dem Liefern allerdings klappt, steht in den Sternen. Wenn es zu Steuersenkungen kommt, wird es sie nicht in der aktuellen Wachstumsphase geben. Lindner ist entsprechend vorsichtig mit Prognosen. Irgendwann in der laufenden Legislaturperiode sollen Steuersenkungen beschlossen werden. "Dass in dieser Legislaturperiode die Gesetzgebung noch wirksam werden sollte, das ist für uns klar", sagt Lindner.

Konsolidierung des Haushalts hat Vorrang

Dabei war das Thema eigentlich vorerst abgeräumt. Union und FDP hatten sich vor geraumer Zeit darauf verständigt, dass jetzt erst mal die Konsolidierung der Haushalte anstehe. Auch jetzt sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe in einem Streitgespräch mit Lindner in der Welt am Sonntag: "Steuersenkungen auf Pump wären definitiv keine bürgerliche Politik."

Lindner hält dagegen und fragt: "Wie sollten bürgerliche Parteien den Haushalt konsolidieren? Indem sie dem Bürger mehr Geld aus dem Portemonnaie nehmen? Das geschieht gerade, denn im Aufschwung haben wir Rekord-Steuereinnahmen."

Als wichtigstes Bollwerk der Unionsseite gegen die Steuersenkungsphantasien der Liberalen steht Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Mit dem steht die versammelte Führungsriege der FDP auf Kriegsfuß, weil er sie regelmäßig auflaufen lässt. Seit Monaten warten sie vergeblich darauf, dass er endlich die längst versprochene Kommission einsetzt, die die Mehrwertsteuer reformieren soll.

Lindner würde Schäuble deshalb am liebsten zum gefügigen Finanzdienstleiter am Staate degradieren. Die Entscheidung über Steuersenkungen werde von den Partei- und Fraktionsvorsitzenden getroffen, warnt er. Schäuble werde dann "mit Sicherheit" die möglichen Spielräume dafür reservieren. Gut möglich, dass Schäuble und auch Kanzlerin Angela Merkel ein etwas anderes Verständnis von der Rolle des Finanzministers haben.

Zumal längst nicht entscheiden ist, dass es die angeblichen Spielräume für Steuersenkungen überhaupt gibt.

Risiken bleiben bestehen

Richtig ist: Die Steuereinnahmen fallen höher als erwartet aus. Im Mai sind sie im Vergleich zum Vorjahresmonat um zehn Prozent gestiegen. Doch in der Rechnung fehlen die Risiken für den Bundeshaushalt. Allein zur Eurorettung steht die Bundesregierung mit mehr als 200 Milliarden Euro in der Verantwortung.

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verlangt vom Bund noch erhebliche Einsparungen. Auch die Länder dürften deswegen von Steuersenkungen nicht begeistert sein. Sie müssen ihre Neuverschuldung bis 2020 auf null reduzieren. Da wird jeder Euro gebraucht. Echte Spielräume kann es eigentlich nur dann geben, wenn der Staat die Steuern senken kann, ohne neue Schulden aufnehmen zu müssen.

Lindner aber hofft offenbar, dass der Druck auch in der Union zunehmen wird. Auch CDU und CSU hätten schließlich ihren Wählern eine Entlastung versprochen. Die FDP werde das Thema jedenfalls "forcieren". Wenn Lindner aber Pech hat, dann nützt das alles nichts, dann steht die FDP am Ende wieder mit leeren Händen da. Sollte das passieren, kann die FDP gleich ihre Koffer packen und die Koalition verlassen. Manche in der Union warten nur darauf.

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