Süddeutsche Zeitung

FDP:Drauf gepfiffen

Demut nach dem Jamaika-Aus? Nicht beim Parteichef der Liberalen. Beim Dreikönigstreffen seiner Partei propagiert Lindner einen Generationswechsel in der deutschen Politik - ähnlich wie in Frankreich.

Von Mike Szymanski, Stuttgart

Ist das tatsächlich Christian Lindner? Es ist der Vorabend zum Dreikönigstreffen. "Bunter Abend" heißt die Zusammenkunft bei den Liberalen in der Schwabenlandhalle, früher einmal war das ein Ball. Längst geht es legerer zu. Die Tische aber sind festlich eingedeckt. Ein Mann steht im Foyer und fällt auf: Graue Turnschuhe, graue Stoffhose, T-Shirt und Strickjacke. Nicht, dass ein falscher Eindruck aufkommt: Alles sitzt bestens und ist fein aufeinander abgestimmt. Erster Gedanke: Wer hat denn hier seinen Sohn mitgebracht, der das Treffen nicht kennt? Zweiter Gedanke: Wenn sich Lindner so betont locker macht, hat er sich vorher doch bestimmt etwas dabei gedacht.

Hat er. Die Auflösung kommt dann später, als er sich mit Journalisten zum Gespräch zurückzieht. Alle sitzen auf Stühlen. Nur er hockt lässig auf einer Tischkante, das linke Bein vorgeschoben. Die Kameras bleiben aus, es wird offener als sonst geplaudert, denn dies hier ist keine Pressekonferenz. Das Motto des Dreikönigstreffens 2018 lautet: "Neue Generation Deutschland". In dem Gespräch mit Lindner geht es auch um ein Interview, das der Grünen-Politiker Robert Habeck, der Parteichef werden möchte, kürzlich der Bild gegeben hatte. Darin machte er an erster Stelle die "mangelnde Autorität" der Kanzlerin für das Scheitern der Jamaika-Gespräche verantwortlich, und dann erst die FDP. Und Lindner? Pfeift - was so viel wie "wow" bedeuten soll. Habeck sitzt für eines der Fotos zu dem Interview übrigens auf dem Tisch.

Wenn er sich so betont locker macht, hat er sich bestimmt etwas dabei gedacht

Am Dreikönigstag dann ist Lindner äußerlich wieder ganz der Alte. Er trägt bei seinem Auftritt in der Staatsoper Anzug. Der Parteichef hat gerade die Hosenbeine glatt gestrichen und erhebt sich aus einem schwarzen Sessel, der auf der Bühne steht. Er trägt sein Mikrofon am Kopf, wie ein Entertainer. So ist das heute in seiner neuen FDP. Wer die neue Generation Deutschland verkörpert, ist spätestens jetzt klar, auch wenn die Partei die Definitionsarbeit noch nicht völlig abgeschlossen hat: Generalsekretärin Nicola Beer etwa sagt, auch ihre Eltern, jenseits der 80, stünden dafür, weil sie immer noch für dieses Land "fieberten". Es geht um eine Kopfsache.

Wer nicht mehr dazu gehört, wird auch schnell klar: Angela Merkel, mit ihrer Politik, mit ihrem Ansatz zu regieren. Die Jamaika-Sondierungen haben dem ohnehin angeknacksten Verhältnis den Rest gegeben. In der FDP waren sie der Auffassung, Union und Liberale würden bei den Gesprächen die Grünen zu sich ins Boot holen. Aber schnell bekamen sie den Eindruck, Merkel bemühe sich mehr um die Grünen als um die FDP. "Isch over", ruft Lindners Vorredner Michael Theurer, Chef der Südwest-FDP und Gastgeber des Dreikönigstreffens in den Saal, in Anlehnung an die Worte des früheren Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Auch Lindner arbeitet sich an der Kanzlerin ab: Man könne eine Gesellschaft "mit Ambitionslosigkeit unterfordern", reibt er ihr an einer Stelle hin. An anderer sagt er, die CDU sei unter Merkel überhaupt keine konservative Partei mehr. Deutschland sieht er vor einer Zeitenwende und wirft den Blick nach Frankreich, wo ein junger Präsident die politische Landschaft gerade umwälzt.

Lindner denkt die Politik schon ohne Merkel. Er hat Politiker wie Robert Habeck von den Grünen, Jens Spahn und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther bei der CDU, Alexander Dobrindt bei der CSU im Kopf, wenn er an die "neue Generation" denkt. Mit Menschen wie ihnen will er Politik machen.

Lindner denkt die Politik schon ohne Merkel - und revanchiert sich auch bei Partei-Veteranen

Seine Partei hat den Prozess der Erneuerung schon hinter sich. Nachdem sie 2013 - nach vier Jahren als Juniorpartner der Union - aus dem Bundestag geflogen war, hat Lindner die FDP mit seiner Mannschaft komplett neu aufgebaut. Er hat ganz unten anfangen müssen. Daraus erklärt sich die Vehemenz und Härte, mit der er jetzt für Erneuerung eintritt. Er kann es auch schwer ertragen, wenn ihm die Veteranen der FDP dreinreden. Die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat vor dem Dreikönigstreffen angesichts der Konkurrenz durch die AfD im Parlament vor einem Rechtsruck gewarnt, einer Jamaika-Koalition nachgetrauert, die Verunsicherung in der FDP angesprochen und gesagt, dass die FDP in der Opposition nicht viel erreichen könne.

Lindner revanchierte sich in Stuttgart. Die Gäste erinnerte er daran, dass die FDP in der Zeit von Leutheusser-Schnarrenberger in Umfragen auf drei Prozent abgestürzt sei. Alte FDP eben. Hätte die FDP Jamaika nicht auf den letzten Metern platzen lassen, würde Lindner an diesem Ort womöglich das Regierungsprogramm präsentieren. So aber beschäftigt sich die Partei an diesem Tag über weite Strecken mit sich selbst. Dennoch ist das Dreikönigstreffen der FDP 2018 nichts für Bescheidene. Das Nein seiner Partei zum Bündnis bezeichnet er als "Investition in die Glaubwürdigkeit". 12 362 neue Mitglieder hat die Partei 2017 aufgenommen, mit Einnahmen von mehr als sechs Millionen Euro nach Angaben ihres Schatzmeisters das erfolgreichste Spendenjahr seit ihrer Gründung verzeichnet. Niemand solle mehr glauben, die FDP sei ihr natürlicher Partner. Lindner macht nichts weniger als einen Politikwechsel zur Bedingung für künftige Regierungsbeteiligungen der FDP. In Stuttgart bekommt er dafür minutenlang Applaus. In Bayern und in Hessen werden in diesem Jahr neue Landtage gewählt. Vielleicht kommt es sogar im Bund zur Neuwahl, wenn SPD und Union nicht zusammenfinden. Lindner verspricht nicht den Erfolg, aber den Nervenkitzel. Der sei bei der FDP "eingebaut".

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SZ vom 08.01.2018
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