Das Egale ist in diesem Fall nicht egal. Die FDP sitzt in Bremen wieder in der Bürgerschaft; das spielt eigentlich keine große Rolle, weil das an den politischen Verhältnissen dort wenig ändert. Zwar hat Rot-Grün bei der Wahl am Sonntag einen schweren Dämpfer erlitten, aber Bremen wird bleiben, was es immer war: eine rot-regierte und -dominierte Stadt.
Die FDP-Prozente in Bremen sind deswegen prickelnd, weil sie Auskunft geben über den Stand des Projekts Lazarus: Die FDP versucht die Auferstehung, nachdem sie 2013 mit Karacho aus dem Bundestag geflogen ist und 2014 bei allen drei Landtagswahlen scheiterte. Das Wiedererweckungsprojekt ist noch am Anfang; es gibt gewisse Lebenszeichen; aber es wird noch etliche erfolgreiche Landtagswahlen brauchen, bis die sich zu einer gewissen Gewissheit verdichten.
Die Zeit der Peinlichkeiten ist vorbei
Im Herbst 2017 zeigt sich dann, ob der FDP gelingt, was den Grünen 1994 und der PDS 2005 gelungen ist: der Wiedereinzug in den Bundestag nach vierjähriger Auszeit. Bislang lässt sich nur so viel sagen: Die Zeit, in der die FDP vielen Wählern, auch früheren Anhängern, nur noch als peinliche Partei galt, ist vorbei. Das ist nicht viel, aber ein Beginn. Für koalitionsarithmetische Rechnereien - wozu könnte die FDP nach 2017 auf Bundesebene gut sein? - reicht er schon aus. Dass es diesen Anfang gibt, dass also das Projekt Lazarus nicht einfach lächerlich ist, das ist erstens dem agilen FDP-Chef Christian Lindner zu danken, zweitens der chaotisierenden AfD, drittens der butterweichen großen Koalition, viertens dem Zeitablauf - der gnädig die stümperhaft-traurigen jüngsten Jahre der FDP vergessen und sie aufgehen lässt in einer sehr viel längeren respektablen Geschichte.
Das Lazarus-Projekt beflügelt die Spekulationen darüber, wie eine nächste Bundesregierung aussehen könnte. Der nächste Bundestagswahlkampf wird von der Koalitionsfrage dominiert werden, gerade weil es ein Wahlkampf ohne Koalitionsaussagen sein wird. Weder Union noch SPD, Grüne und die Lazarus-Partei haben ein Interesse daran, sich festzulegen.
Die große Koalition Merkel/Gabriel war und ist eine Koalition des Übergangs, aber niemand weiß, wohin der Übergang führt; und an der Verlängerung des Übergangs hat auch kaum jemand Interesse. Die CDU/CSU wird suggerieren wollen, die SPD liebäugele mit den Linken, um das zu machen, was theoretisch auch jetzt schon ginge: Rot-Rot-Grün. Aber die Gabriel-SPD macht das nicht, nicht 2017.
Ohne FDP gibt es keine Ampel
Die einzige nicht ganz irreale Kanzleroption für Sigmar Gabriel ist 2017 die Ampel, die Koalition aus SPD, FDP und Grünen; aber ohne FDP gibt es halt keine Ampel. Gabriel hat also, ohne es einzugestehen, ein Interesse am Gelingen des Projekts Lazarus. Und die Merkel-Union hat, ohne es zu bekennen, ein Interesse an den Grünen. Die Grünen wiederum haben kein Interesse daran, sich schon im Wahlkampf festzulegen. Sie können ja, wie sich in den Bundesländern zeigt, mit jedem.
In dieser Situation gewinnt die nächste Bundespräsidentenwahl ihren Reiz. Sie steht im Frühjahr 2017 an, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Tritt Joachim Gauck zur Wiederwahl an, was derzeit keiner weiß (wohl nicht einmal er selbst), wird er mit allergrößter Mehrheit wiedergewählt werden. Koalitionspräferenzen lassen sich aus einer solchen Allparteien-Gauck-Koalition natürlich nicht destillieren. Wenn Gauck aber mit Rücksicht auf sein Alter auf die zweite Amtszeit verzichtet, wird es spannend. Dann wird die Erinnerung an 1969 wach, als mit der FDP-gestützten Wahl von Gustav Heinemann (SPD) zum Bundespräsidenten der Machtwechsel hin zur sozialliberalen Koalition von Willy Brandt eingeleitet wurde.
Projekt Lazarus, Projekt Methusalem
Aber so übersichtlich wie 1969 sind die Konstellationen heute nicht. Merkel wird nicht die große Karte ausspielen und eine Grüne zur Bundespräsidentin machen wollen; das passte nicht in ihre Strategie, alle Koalitionsmöglichkeiten offenzulassen. Und Gabriel? Er wird eine überparteiliche Kandidatin präsentieren, um möglichst viele Stimmen aus den anderen Parteien zu gewinnen. Aber auf eine überparteiliche Kandidatin wird sich die Union, mitten im Wahlkampf, nicht einlassen. Sie wird eine CDU-Frau nominieren - diesmal wohl doch Ursula von der Leyen, die gegebenenfalls keine Präsidentin der Herzen, aber die Präsidentin einer nicht patriarchalen Gesellschaft wäre.
Aus einer solchen Konkurrenz der Präsidentschaftskandidatinnen könnte sich allerdings eine heute noch nicht absehbare Koalitionsdynamik entwickeln, die der Merkel-CDU unlieb wäre. Der Druck auf Gauck, vor allem aus der CDU/CSU, erneut anzutreten, wird also steigen; die Union wird ihn am Portepee fassen. Das wäre dann nicht ein Projekt Lazarus, sondern das Projekt Methusalem.