Die Times Bar in Berlin-Charlottenburg ist geschlossen. Das Hotel, in dem die Bar zu finden ist, baut um. Somit wussten Christian Lindner und Wolfgang Kubicki schon seit einiger Zeit, dass sie den Wahlabend nicht wie sonst dort feiern konnten. Ein schlechtes Omen? Zwar hatten sich die beiden eine Alternative überlegt, den China Club, einen teuren Privatclub für Mitglieder am Brandenburger Tor. Aber es war eben nicht mehr die Times Bar, in der der FDP-Parteichef und sein Vize zweimal Wahlergebnisse von mehr als zehn Prozent begossen haben.
Diesmal gibt es nichts zu feiern. Die FDP kommt nur noch auf 4,3 Prozent, verkündet die Bundeswahlleiterin nach Auszählung aller Wahlkreise. Die Partei fliegt damit aus dem Bundestag – schon wieder. Eine wuchtige Niederlage für Lindner, der die Parteiführung nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 übernommen hatte. Lindner kündigte noch am Sonntag an, aus der Politik auszuscheiden.

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Die FDP fliegt wohl aus dem Bundestag. Parteichef Christian Lindner zieht Konsequenzen: Als Reaktion auf das schlechte Wahlergebnis kündigt er am späten Sonntagabend seinen Rückzug aus der aktiven Politik an.
Seine Redezeit in der „Berliner Runde“ der Spitzenkandidaten nutzte Lindner schon mal für einen Nachruf in eigener Sache. Er sei mehr als elf Jahre Vorsitzender der FDP gewesen, sagte er. Tatsächlich war er länger im Amt als Hans-Dietrich Genscher. „Ich habe das immer als ein Privileg und eine besondere Verpflichtung empfunden“, so Lindner. „Ich habe angefangen als Sprecher für Kinder- und Jugendpolitik in Nordrhein-Westfalen“, sagte er. Seine politische Karriere führte ihn „bis hin zum Bundesfinanzminister“.
Lindner hat die FDP aus einer tiefen Krise zu höchsten Umfragewerten geführt. Mit dem Einstieg in die Ampelregierung schien die FDP im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Die Liberalen waren offen für Koalitionen mit allen demokratischen Parteien und saßen wieder in Bundesministerien. Doch die Ampel funktionierte nicht für die FDP. Die Umfragewerte der Partei sanken und sanken. Seit Mai 2022 hat die FDP bei jeder Wahl verloren. Aus vier Landesparlamenten flog sie in der Zeit der Koalition raus.
Wenn er am Montag mit der Politik Schluss mache, scheide er nur mit einem Gefühl aus, sagte Lindner in der Sendung: „Dankbarkeit, große Dankbarkeit“.
Viele Liberale fremdelten zunehmend mit den rot-grünen Koalitionspartnern. Der Druck, die Ampel zu verlassen, stieg. Andere dagegen wollten in der Bundesregierung bleiben und FDP-Projekte durchsetzen. Lindner schaffte es nicht, diesen Konflikt zu lösen, oder er wollte es nicht.
Der Wahlkampf begann für die FDP mit der D-Day-Affäre. Begriffe wie „offene Feldschlacht“ schreckten Wähler ab, die politisch einen anderen Stil wollten und die grundsätzlich für Koalitionen mit SPD und Grünen offen ist. Diese Zielgruppe nahm im Wahlkampf der FDP nur noch eine Randrolle ein, eine Koalition mit den Grünen hatte der FDP-Parteitag sogar einstimmig ausgeschlossen. Die Liberalen setzten auf Wirtschaftsreformen und auf eine härtere Migrationspolitik. Überwiegend stimmte die FDP im Bundestag sogar zusammen mit der Union und der AfD für ein Gesetz, das den Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien stoppen sollte.
Für die Fünf-Prozent-Hürde hat das alles nicht gereicht. Und die Abstimmung mit der AfD machte rund ein Fünftel der Fraktion nicht mit, Lindners Entscheidung verursachte in der Partei ausgerechnet kurz vor der Wahl Streit.

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Die Union ist der deutliche Wahlsieger, trotz ihres zweitschlechtesten Ergebnisses aller Zeiten. Die Ampel wurde abgestraft, die politischen Ränder legen zu. Was das für die Regierungsoptionen bedeutet: eine Analyse in Daten und Grafiken.
Christian Lindner ist im Wahlkampf 46 Jahre alt geworden, er könnte nun eine zweite Karriere in der Privatwirtschaft anstreben. Er gilt dort als gut vernetzt, mit Dax-Vorständen schreibt er SMS, heißt es. Bevor Lindner Minister wurde, hielt er jede Menge bezahlte Vorträge. Dass er sich einen Job vorstellen kann, der besser bezahlt ist als der des Politikers, hatte er im Wahlkampf schon durchblicken lassen. „In dunklen Momenten während der letzten zehn Jahre habe ich auch schon mal gedacht: Ach, wie wäre es, eine Karriere zu haben mit weniger Ärger, mehr Zeit und nicht unbedingt weniger Einkommen“, sagte er RTL. In einer Youtube-Sendung gab er mal an, er verdiene derzeit „ungefähr 6000 Euro netto im Monat“. Das soll nach seinen Wünschen in Zukunft wohl deutlich mehr werden. Auch privat ändert sich bei Lindner bald einiges, er und seine Frau erwarten ein Kind.
Neben Lindner kündigte auch sein Stellvertreter Kubicki an, sich aus der Politik zurückzuziehen. „Ich werde in diesem Fall nicht mehr die Kraft haben, der FDP dann in den kommenden vier Jahren weiterzuhelfen“, sagte er am Sonntag, als die Hochrechnungen schon eindeutig waren. „Dann ist für mich politisch Schluss“, sagte er dem Flensburger Tageblatt.
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Für die Instandsetzung der Infrastruktur soll ein Sondervermögen mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden, für Investitionen in die Verteidigung soll die Schuldenbremse gelockert werden, teilen die Parteien mit.
Mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag verliert die FDP nicht nur eine Bundestagsfraktion, sondern ein politisches Kraftzentrum. Die Partei ist stark von der Bundestagsfraktion geprägt. Anders als CDU/CSU und SPD kann sie nicht auf starke Landesregierungen zurückgreifen, sie ist nur noch in Rheinland-Pfalz* und Sachsen-Anhalt jeweils der kleinste Koalitionspartner. Die gelbe Prominenz saß nahezu vollständig in der Bundestagsfraktion, die nun Geschichte ist.
Abgeordnete haben ein Einkommen und Mitarbeiter, in der außerparlamentarischen Opposition wird liberale Politik wieder zum Ehrenamt. Die FDP verliert durch das Ausscheiden aus dem Bundestag also gewaltige Ressourcen. Ihr bleiben aber immerhin noch Landtagsfraktionen in den traditionell wichtigen Landesverbänden Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Schleswig-Holstein. Auch im Europaparlament gibt es FDP-Abgeordnete.

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Friedrich Merz hat den klaren Auftrag, eine Regierung zu bilden. Das könnte nur ziemlich kompliziert werden. Keine guten Voraussetzungen, um dem Sturm zu begegnen, der gerade in der Welt tobt.
Lindner prägte den Kurs der Partei stark, manche Liberale sagen: zu stark. In einem autobiografischen Buch schrieb Lindner: „Die FDP will straff geführt werden, aber es nicht merken“, laut ihm ein Zitat von Otto Graf Lambsdorff. Eine Folge dieses Führungsstils: Lindner hinterlässt keinen offensichtlichen Nachfolger. Die Parteigremien tagen am Montag. Im Mai findet dann ein Parteitag statt. Der könnte dann eine neue Führung beschließen.
*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand irrtümlich an dieser Stelle Hessen, richtig ist Rheinland-Pfalz. Wir haben das im Text korrigiert.