Süddeutsche Zeitung

FDP-Chef Westerwelle:Der Gehetzte

Lesezeit: 2 min

Absturz in den Meinungsumfragen, Demütigungen von der Union: FDP-Chef Guido Westerwelle sehnt sich nach den unbeschwerten Tagen in der Opposition - und irritiert seine liberalen Anhänger.

Peter Blechschmidt

Sie loben Joachim Gauck, aber in diesem Lob steckt eine gehörige Portion Missfallen am eigenen Vorsitzenden. Mitunter klingt es so, als würde der rot-grüne Präsidentschaftskandidat zum Katalysator für den Frust in der FDP. Seit Monaten gärt es in der Partei, vieles kommt zusammen: der Absturz in den Meinungsumfragen; der Abschied vom Versprechen, die Steuern zu senken; das Gefühl, von Bundeskanzlerin Angela Merkel ein ums andere Mal vorgeführt zu werden; die Demütigungen des netten Gesundheitsministers Philipp Rösler durch die CSU. Und für all das macht das Parteivolk seinen Vorsitzenden zumindest mitverantwortlich.

Guido Westerwelle ist angeschlagen. In diesen Tagen kann man einem FDP-Vorsitzenden und Außenminister begegnen, der mit grauem Gesicht und rot geränderten Augen von Termin zu Termin hetzt und dabei den Zuschauern weismachen will, er sei auf gutem Weg. Der die Riesenkonflikte in der Koalition kleinredet, und die Risiken bei der Wahl des Bundespräsidenten am 30. Juni verharmlost. "Die Nerven liegen blank", sagt ein langjähriger Mitstreiter, der sich zu Westerwelles Freunden zählt. So deprimiert habe er den FDP-Chef zuvor nur zu Zeiten der Möllemann-Affäre 2002 erlebt, als der damalige nordrhein-westfälische Landesvorsitzende mit antisemitischen Ausfällen und Steuertricksereien die Liberalen an den Rand des Abgrunds manövriert hatte.

Gelegentlich kann man bereits einen Guido Westerwelle erleben, der über den Unterschied zwischen dem unbeschwerten Schwadronieren als Oppositionspolitiker und den drückenden Lasten der Verantwortung sinniert. So hart hat sich der 48-Jährige das Regieren offenbar nicht vorgestellt. Inzwischen räumt er auch Fehler ein. Er habe anfangs zu sehr aufs Tempo gedrückt, sagt Westerwelle im kleinen Kreis. "Wir wussten, es kommt der Sommer, aber wir haben schon im Januar die Badehose angezogen." Vertrauten sagt er auch, er habe zu stark auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen geschielt und den Zeitpunkt verpasst, als eine Abkehr von den Steuersenkungsplänen längst geboten gewesen wäre. Eine Trennung von Parteivorsitz und Ministeramt kommt für Westerwelle aber nicht in Frage.

Die Parteimitglieder in den Kreisverbänden schwanken zwischen der Enttäuschung über gebrochene Wahlversprechen und dem Frust darüber, dass die FDP als unsoziale Klientelpartei beschimpft wird. Die Parteiführung dringt bei den eigenen Leuten mit ihren Erklärungsversuchen kaum noch durch. In Hessen fordert der Kreisverband Limburg-Weilburg einen Sonderparteitag, "um für die Zukunft der FDP existentielle Fragen sowohl in programmatischer als auch in personeller Hinsicht zu erörtern". In Bayern macht der ehemalige Landtagsabgeordnete Dietrich von Gumppenberg mobil gegen "Fehler in der Führungsriege". Dazu gehöre, so Gumppenberg, die "mangelnde Bereitschaft, Fehlentscheidungen der Vergangenheit zu korrigieren".

Bestes Beispiel für die wachsende Kluft zwischen Westerwelle und seiner Partei ist die Kür des niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff zum Präsidentschaftskandidaten der Koalition. Nicht nur wegen der Kürze der Zeit, sondern auch als Signal der Handlungsfähigkeit war eine schnelle Entscheidung geboten. Und ein eigener FDP-Kandidat hätte keine Chance gehabt; vielmehr hätte seine Nominierung die Koalition weiter beschädigt. An der Basis aber, vor allem in Ostdeutschland, verfangen diese rationalen Argumente nicht. Hier überwiegen die Emotionen.

Als Parteichef wurde Westerwelle politisch schon oft für tot erklärt. Bisher hat er auch deshalb überlebt, weil es weder einen Königsmörder noch einen Ersatzkönig gab. Das ist immer noch so. Die oft als Hoffnungsträger genannten, wie Rösler oder der neue Generalsekretär Christian Lindner, sind loyale Westerwelle-Gefolgsleute. Doch in der Politik hat Loyalität auch ihre Grenzen. Wenn - was weiterhin unwahrscheinlich ist - Wulff es nicht ins Präsidentenamt schafft, wäre dies wohl das Ende der Koalition. Und vermutlich auch das von Westerwelle als Parteichef.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.958502
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.06.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.