Kernenergie:Stresstest für die Ampel

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Lindner: "In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren." (Foto: IMAGO/Chris Emil Janssen/IMAGO/Chris Emil Janßen)

FDP-Chef Christian Lindner verlangt einen Weiterbetrieb der drei deutschen Atomkraftwerke bis mindestens 2024. So will er den Strompreis senken. Aufruhr in der Koalition ist programmiert.

Von Daniel Brössler, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Es ist ein Ergebnis, das eigentlich für Klarheit sorgen soll. Am Abend will Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin das Ergebnis des zweiten Stresstests für die Stromversorgung präsentieren. Auf dieser Grundlage soll die Entscheidung fallen über den Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen deutschen Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus. Doch schon jetzt ist klar: Die Frage wird zum Stresstest für die Koalition. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner hat im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung klargestellt: Die FDP will den Weiterbetrieb auf jeden Fall - unabhängig vom Ergebnis der von Habeck präsentierten Prüfung, in der es primär darum geht, ob Netzausfälle ohne die Atomkraftwerke zu befürchten sind.

"In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren. Das ist aus meiner Sicht ein wirtschaftspolitischer Stresstest, der neben dem energiepolitischen Stresstest auch eine Rolle spielen muss", sagte Lindner am Montag. Es spreche allerdings auch "viel dafür, dass zur Netzstabilität die drei Atomkraftwerke weiterbetrieben werden sollten". In der Ampelkoalition bahnt sich damit ein massiver Konflikt an.

Sowohl Grüne als auch SPD sind bislang allenfalls zu einem zeitlich eng umrissenen Streckbetrieb bereit, sollte der Stresstest dies nahelegen. Auf die Frage, ob er auch ohne Empfehlung des Stresstestes für den Weiterbetrieb aus wirtschaftlichen Gründen plädiere, antwortete Lindner: "Exakt." In der Koalition müsse man über das Thema sprechen und eine Bewertung vornehmen. "Mein Rat an uns ist, die physikalischen Fragen der Netzstabilität und die wirtschaftlichen Fragen des Energiepreises gemeinsam zu bewerten", sagte er.

Seine Koalitionspartner warnte Lindner davor, einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung zu ignorieren: "Wir müssen auch erkennen, dass in der Bevölkerung eine ganz große Mehrheit inzwischen der Meinung ist, dass übergangsweise die Kernenergie einen wichtigen Beitrag leistet. Die Menschen haben Sorgen." Vor allem nimmt Lindner die Argumentation der Grünen ins Visier, wonach es anders als beim Gas beim Strom keinen Mangel gebe. "Unsere Städte sind jetzt schon dunkel. Gleichzeitig wird uns gesagt, wir hätten kein Stromproblem. Das leuchtet mir nicht ein", kritisierte er.

"Wir sollten nicht zu wählerisch sein, sondern alles ermöglichen, was uns physikalisch und ökonomisch das Leben leichter macht", forderte der FDP-Chef. Genutzt werden müsse "alles von der Exploration heimischer Öl- und Gasvorkommen, die inzwischen wirtschaftlich sind angesichts der Weltmarktpreise, den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke bis mindestens in das Jahr 2024 hinein über die Mobilisierung aller Kapazitäten bei der Kohle bis hin zu allen Farben des Wasserstoffes". Auch damit dürfte Lindner vor allem bei den Grünen für Aufruhr sorgen.

Doch auch bei der SPD ist mit wenig Begeisterung zu rechnen. Alle Argumente gegen die Nutzung der Atomenergie seien "unverändert richtig", sagte SPD-Chefin Saskia Esken am Montagmittag nach Beratungen der Parteispitze. Die SPD sei bereit, die letzten Meiler zeitlich begrenzt am Netz laufen zu lassen, sollte sich dies als notwendig herausstellen, sagte sie. Ein Streckbetrieb, "der nur über wenige Wochen und Monate ja nur gehen würde zur Sicherung der Versorgungssicherheit, dem haben wir zugestimmt". Wenn der Stresstest das jetzt ergebe, "dann sind wir auch einverstanden, wenn das gemacht wird".

Lindner warnte indes vor einer Isolation Deutschlands in der Energiepolitik. "Es geht ja nicht nur um uns. Es geht auch im Europa", hob er hervor. Berücksichtigt werden müsse auch die gegenwärtige "Knappheit beim Strom auch wegen der ausgefallenen französischen Kernkraftwerke und weil die Kohle bei uns nicht schnell genug wieder ans Netz kommt".

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