FDP: Ärger um Christian Lindner:Der Fehlschuss des Generals

Angeblich hat die FDP in den Atomverhandlungen mit der Union rechtliche Bedenken geäußert. So behauptet es jedenfalls FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Dieser Darstellung widersprechen nicht nur die Koalitionspartner - sondern auch zwei führende Liberale, die ebenfalls dabei waren.

Thorsten Denkler, Berlin

Wenn Aussage gegen Aussage steht, dann muss in der Regel einer gelogen haben. So hart würde das FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle natürlich nicht sagen. De facto aber hat er an diesem Morgen nichts anderes getan. Brüderle besteht darauf: In der letzten und entscheidenden Sitzung des Koalitionsausschusses zum Atomausstieg habe er "nicht vernommen, dass rechtliche Bedenken vorgetragen worden sind".

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Er ist der Shootingstar der FDP: Der erst 32 Jahre alte Generalsekretär Christian Lindner.

(Foto: dapd)

Jetzt steht seine Aussage gegen die des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner. Der hatte am Dienstag öffentlich erklärt: "Wir haben davor gewarnt und hätten für dieses Risiko gerne Vorsorge getroffen. Aber die Bundeskanzlerin und insbesondere der bayerische Ministerpräsident haben dargelegt, dass sie keine rechtlichen Bedenken haben." Deshalb, so Lindners Argument, gingen die möglichen Schadensersatzforderungen der Energiekonzerne auf das politische Konto von Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer.

Das ist schon starker Tobak, wenn der Generalsekretär einer Regierungspartei zwei Tage nach der entscheidenden Sitzung die gemeinsamen Beschlüsse derart konterkariert. Regelrecht befremdlich aber wirkt es, wenn dann andere FDP-Kollegen, die in der Sitzung dabei waren, einen völlig anderen Eindruck von der Zusammenkunft vermitteln als der eigene Generalsekretär.

Schranken für den Jungstar

Lindner erweckte den Eindruck, die FDP sei in der juristischen Frage geschlossen aufgetreten. Justizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aber, von Amtswegen oberste Juristin der Liberalen, erklärt an diesem Mittwoch, das Gesetzespaket sei unbedenklich. Und kurze Zeit später legt Brüderle nach, er habe von solchen Bedenken nichts mitbekommen. So deutlich ist der junge Hoffnungsträger Lindner noch nicht in seine Schranken gewiesen worden.

Es geht um die auch für einige FDP-Frontleute überraschende und schwer zu verdauende Einigung der Kanzlerin mit den Ländern vom vergangenen Freitag. Die hatten sich unisono für einen gestaffelten Ausstieg aus der Atomkraft ausgesprochen. Merkel hat widerstandslos mitgemacht. Für jedes einzelne AKW soll nach diesem Stufenplan ein festes Abschaltdatum festgelegt werden.

Die Energiekonzerne fürchten nun Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe, weil ihre gesetzlich festgelegten Reststrommengen so kaum noch vollständig produziert werden könnten. Für sie kommt der schwarz-gelbe Ausstiegsbeschluss damit einer Quasi-Enteignung gleich.

Lindner erweckt jetzt den Eindruck, die FDP-Seite habe im Koalitionsausschuss genau dieses Problem dezidiert angesprochen. Die FDP habe dort darauf hingewiesen, "dass die Klagen der Energiekonzerne nicht chancenlos sind". Doch angeblich hätten weder Merkel noch Seehofer auf die FDP gehört.

Möglicherweise gab es aber gar nichts zu hören, weil die Bedenken gar nicht vorgetragen worden sind. So zumindest lässt sich Brüderle verstehen.

FDP-Sprecher beteuert liberale Eintracht

Ein FDP-Sprecher versucht am Mittagabend, den Eindruck der Zwietracht innerhalb der Liberalen zu zerstreuen: Die Liberalen hätten bei den Verhandlungen über den beschleunigten Atomausstieg stets "auf eine verfassungsrechtliche vertretbare Ausgestaltung geachtet". Das Ergebnis sei ein "Kompromiss, der liberale Akzente enthält" und darauf habe der Generalsekretär zu Recht hingeweisen.

Lindners Motiv für den Frontalangriff gegen die Koalitionspartner dürfte klar sein: Schon am Freitag hatten sich die Spitzen von CDU, CSU und FDP im Kanzleramt getroffen, um sich über den Kompromiss mit den Ländern zu besprechen. FDP-Chef Philipp Rösler soll da noch versucht haben, den Stufenplan zu verhindern. Gelungen ist ihm das - wie so vieles in den Atomverhandlungen - nicht.

Stattdessen haben interessierte Kreise - vermutet wird die CSU - durchsickern lassen, Rösler habe Fachreferenten aus den Ministerien dazuholen wollen, um deren Expertise zum Thema Stufenplan einzuholen. Merkel soll ihn mit dem Satz abgebügelt haben: "Hier tragen nur Minister vor." Was wohl für allgemeine Heiterkeit bei CDU und CSU aber zu immensem Ärger bei der FDP geführt hat.

Gut gedacht, schlecht gemacht

Lindner suchte nach einer möglichen Retourkutsche und ersann die Idee, der Union die Schuld für mögliche Regeresszahlungen an die Atomkonzerne in die Schuhe zu schieben.

Gut gedacht, schlecht gemacht, heißt es jetzt aus der FDP-Bundestagsfraktion. Was die Frage aufwirft, weshalb Lindners angeblicher Fauxpas von einigen Liberalen so genussvoll aufgespießt wird? Womöglich sollen Linder die Flügel gestutzt werden, damit er bei seinem Höhenflug nicht zu schnell aufsteigt. In der Öffentlichkeit gilt er ohnehin schon als der Mann, der nur deshalb nicht Parteichef wurde, weil er noch nicht wollte. Darum ist es Rösler geworden.

Von Lindner wird jetzt verlangt, dass er endlich seine Rolle als Generalsekretär wahrnimmt und "FDP pur" vertritt, wie Brüderle sagt. Das heißt auch: Ausbau der Abteilung Attacke. Sowohl gegen die Opposition als auch - wenn es sein muss - gegen die Koalitionspartner. Dieser Rolle hat sich Lindner bisher standhaft verweigert. Der 32-Jährige gefällt sich eher in der Rolle des liberalen Vordenkers. Verbalschlachten liegen ihm nicht.

Wenn dies jetzt ein Versuch gewesen sein soll, es mal anders zu machen, dann ging der Schuss nach hinten los. Wie sagte Brüderle am Mittwochmorgen: "Wir sind alle der Wahrheit verpflichtet." Sollte im Koalitionsausschuss kein Liberaler und auch sonst niemand rechtliche Bedenken geäußert haben, was die Aussagen von Brüderle und Leutheusser-Schnarrenberger nahelegen, dann sollte Lindner am Wahrheitsgehalt seiner Aussagen noch arbeiten.

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