Seit Tagen wird in Washington ständig ein Begriff verwendet, den bislang vor allem Experten für Außenpolitik und autokratische Staaten kannten. Es geht um den "deep state", also eine verborgene Kooperation von Bürokraten, Geheimdiensten und Militär, um demokratisch gewählten Politikern ihren Willen aufzuzwingen. Und im Ernstfall greift der "Staat im Staat" auch ein.
Als Beispiele werden meist drei Länder genannt. In der Türkei putschte das Militär mehrmals, um das säkulare Erbe von Staatsgründer Atatürk zu schützen. In Pakistan finden Wahlen statt, aber der Geheimdienst ISI und die Armee sind die entscheidenden Machtfaktoren in dem mit dem Nachbarn Indien verfeindeten Land. Und auch in Ägypten ist das Militär daran interessiert, den Status quo zu erhalten, in dem es weite Teile der Wirtschaft kontrolliert (mehr bei Foreign Policy).
Für erzkonservative Republikaner drohen den USA ähnliche Zustände. "Wir reden von einem gerade entstehenden deep state, der von Barack Obama angeführt wird. Das müssen wir verhindern", sagte der Abgeordnete Steve King aus Iowa der New York Times. Ex-Präsidentschaftskandidat Newt Gingrich raunt, dass Trump einem "feindlichen System" gegenüberstehe. Gingrich ist überzeugt, dass diese "bürokratische Strukturen" auch bereit seien, Gesetze zu brechen, um die eigene Macht zu sichern.
Eine Erklärung für alle Widerstände
Der Zauber der "deep state"-Theorie ist leicht zu sehen: Mit ihr lässt sich alles erklären. "Wenn man Ineffizienz rechtfertigen soll, dann liegt es am Widerstand der Bürokraten. Wenn ein Vorschlag nicht durchsetzbar ist, dann ist weder schlechte Organisation oder ein schlechtes Konzept schuld, sondern der 'deep state'", erklärt der Türkei-Experte Soner Çağaptay dem Atlantic.
Bestes Beispiel ist Trumps erster Muslimen-Bann, der wegen der Kombination "stümperhafte Ausführung + fehlende Koordination mit Ministerien + fragliche Rechtsgrundlage" vor diversen Gerichten scheiterte. Anstatt dies einzugestehen, sucht man die Schuld anderswo (etwa bei "sogenannten Richtern", die angeblich politisch motiviert sind).
Rechte Talkradio-Moderatoren wie Rush Limbaugh oder Mark Levin klagen seit Tagen, dass Angehörige des "deep state" hinter all den Enthüllungen über das Innenleben der Trump-Regierung stehen. Die Idee, dass sich Beamte an die Presse wenden, weil ihre Vorgesetzten für Argumente nicht zugänglich sind, passt natürlich nicht in ihre Argumentation. Auf Webseiten wie Breitbart News, dessen Ex-Chef Steve Bannon nun Berater im Weißen Haus ist, findet sich der Begriff in Dutzenden wütenden Artikeln - etwa in einer Städtetour durch Washington ("Hier verstecken sich die Widerständler des Staates im Staat").
Sean Hannity, der unbeirrbarste Trump-Verteidiger bei Fox News, redet momentan fast ausschließlich über dieses Thema. Für ihn und manche seiner Gäste (exemplarisch dieses Interview mit Talkradio-Moderatorin Laura Ingraham) belegt die jüngste Wikileaks-Enthüllung nicht nur, dass der "Staat im Staat" völlig außer Kontrolle geraten ist - möglicherweise habe sich die CIA als russische Hacker ausgegeben und die Computer der Demokraten durchsucht, so die Theorie.
Bisher hat US-Präsident Trump nicht von "deep state" gesprochen, doch als eifriger Konsument konservativer Medien wird ihm der Begriff bekannt sein - und das entsprechende Denken passt zu ihm, weil er eigene Fehler für unmöglich hält und Entschuldigungen als Versagen ansieht. Wie bei allen Verschwörungstheorien sind Belege nicht zwingend nötig: Zeigt deren Abwesenheit doch nur, wie gefährlich der Gegner ist.
Der "tiefe Staat" fügt sich zudem gut ins Weltbild von Steve Bannon, der Chaos positiv sieht und als Ziel ausgegeben hat, den "administrativen Staat" zu zerstören. (Die Figur Bannon bringt Liberale weltweit dazu, nach Erklärungen und Modellen zu gieren, die für sie schaurige Lage einzuordnen und zu erklären.)