Familienpolitik:Von der Leyen warnt Union vor Comeback der 50er Jahre

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Scheinheiligkeit. Zynismus. Verbale Entgleisungen. Der Streit über die künftigen Krippenplätze gewinnt wieder an Fahrt. SPD-Frau Nahles nennt die Pläne der Familienministerin ein Schminkprogramm. Von der Leyen empfindet die entbrannte Debatte in ihrer Partei "fast schon zynisch".

SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles wirft dem Koalitionspartner im Ringen um eine verbesserte Kinderbetreuung "Scheinheiligkeit" vor. Der "Leipziger Volkszeitung" (Montagsausgabe) sagte Nahles, statt der SPD ihre Vorschläge zur Finanzierung der verbesserten Krippenbetreuung vorzuwerfen, "sollten die erst einmal ihre ideologischen Probleme in den eigenen Reihen klären".

Die SPD-Linke sprach sich bei der Finanzierung "für einen Prioritätenwechsel auf Zeit, beispielsweise für den Zeitraum von fünf Jahren" aus: "Statt das Kindergeld in dieser Zeit zu erhöhen, sollten die so frei werdenden Mittel in den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung gesteckt werden." Wenn die Union diesen Vorschlag als "unsozial" attackiere, wolle sie damit nur ihre eigenen ideologischen Probleme kaschieren. "Die Schminke, die Frau von der Leyen aufträgt, ist sehr dünn", kritisierte Nahles.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) findet es hingegen "fast schon zynisch, wenn einige jetzt so tun, als ob ein freiwilliges Angebot für einen Kinderbetreuungsplatz ein Zwang sei, sein Kind auch dorthin zu geben". Angesichts der hitzigen Debatte über ihren Vorschlag, die Kinderbetreuungsangebote in Deutschland massiv auszuweiten, warnte sie in der "Frankfurter Rundschau" (Montag) vor einem Generationenkonflikt in der Union: "Wir sollten nicht versuchen, die 50er Jahre wieder auferstehen zu lassen im Jahr 2010."

"So etwas kommentiere ich nicht"

Den heftig umstrittenen Vorwurf des Augsburger Bischofs Walter Mixa, sie degradiere mit ihrem Angebot für Kinderbetreuungsplätze Frauen zu Gebärmaschinen, wertete von der Leyen als indiskutabel: "So etwas kommentiere ich nicht." Forderungen nach einem Familiengipfel erteilte die Ministerin eine klare Absage: "Ich halte nichts von dieser Gipfelei." Das Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen bei der Kinderbetreuung ließe sich nicht an einem Vormittag auf einem Gipfel erledigen.

Mixas Kritik schlägt unterdessen weiter hohe Wellen. Der Familienbund der Katholiken in Bayern unterstützte am Sonntag Mixas Position. Die Bedürfnisse der Familien würden derzeit in der Familienpolitik nur soweit erfüllt, wie es den Interessen der Wirtschaft entspreche, erklärte der Landesvorsitzende des Familienbunds, Johannes Schroeter, in München. "Das Ergebnis ist genau die einseitige Fixierung auf mütterliche Erwerbstätigkeit, die Bischof Mixa zu Recht kritisiert."

Mixa hatte seine Kritik in der "Bild"-Zeitung (Samstag) erneuert. Er lehnte es ab, sich für seinen Vorwurf zu entschuldigen, die Ministerin degradiere Frauen zu "Gebärmaschinen". Mixa sagte dem Blatt: "Meine Kritik richtet sich gegen eine Politik, die es einseitig fördert, dass junge Mütter ihre kleinen Kinder kurz nach der Geburt in staatliche Fremdbetreuung geben sollen, statt sich ganz und gar ihren Kindern in den ersten drei Lebensjahren zu widmen." Wer den Müttern diesbezüglich keine Wahlfreiheit zugestehe und dennoch politisch mehr Geburten fordere, der degradiere Mütter, drastisch gesprochen, zu 'Gebärmaschinen'. Mixa wörtlich: "Dabei bleibe ich!"

Der Familienbund der Katholiken in Bayern erklärte, Hintergrund der aktuellen Familienpolitik sei ein im November 2004 von Bundesfamilienministerium und der Bundesvereinigung der deutschen Industrie veröffentlichte Strategiepapier. Erklärtes Ziel dieses Papier sei es, der Wirtschaft trotz schrumpfender Bevölkerung die reichliche Verfügbarkeit von Arbeitskräften zu sichern. Dies solle auch durch eine erhöhte außerfamiliäre Betreuung und den Entzug der materiellen Basis für die familiäre Kindererziehung erreicht werden. Dieses Strategiepapier nehme durch von der Leyens Maßnahmenkatalog mehr und mehr Form an.

Schwabens Junge Liberale forderten Mixa hingegen erneut auf, sich für seine "verbalen Entgleisungen" zu entschuldigen. Insbesondere der Ausdruck "Gebärmaschinen" sei vor dem geschichtlichen Hintergrund inakzeptabel. Mixa solle sich in Zukunft auf die Seelsorge konzentrieren und die Trennung von Staat und Religion respektieren.

"Die Vorschläge gehen zu Lasten von Familien - das kann nicht sein", sagte von der Leyen der Nachrichtenagentur dpa in Hannover. Die SPD will an diesem Sonntag ein Konzept beschließen, mit dem in den nächsten Jahren in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen mehrere Milliarden Euro für eine bessere Kinderbetreuung umgeschichtet werden sollen.

Das Konzept sieht unter anderem vor, auf die nächste Kindergeld-Erhöhung zu verzichten sowie Steuerfreibeträge und das Ehegattensplitting zu Lasten kinderloser Ehepaare umzugestalten. "Das Ehegattensplitting zu kappen bedeutet, ältere Ehepaare, die steuertechnisch als kinderlos gelten, im Nachhinein zu bestrafen", sagte von der Leyen. "Und das, obwohl sie ein Leben lang Zeit und Geld in die Kinder investiert haben und nichts fürs Alter zurücklegen konnten." Ungerecht wäre es auch, das Kindergeld nicht wie vorgesehen um sieben Euro zu erhöhen.

"Denn damit würden Eltern mit Schulkindern bestraft, die nichts mehr von der Betreuung unter Dreijähriger haben", sagte die Ministerin. "Von 84 Euro im Jahr kann so manches Schulheft und so mancher Buntstift gekauft werden, und die Eltern brauchen das." Richtig sei der Vorschlag, die durch abnehmende Kinderzahlen frei werdenden Mittel in die Krippenbetreuung zu investieren. "Wir müssen das Geld, das frei wird, weil weniger Kinder geboren worden sind, für das Bildungssystem und die Familie ausgeben."

Allein 2008 würden durch rückläufige Geburtenzahlen bei Schulen und Hochschulen vier Milliarden Euro frei, erläuterte von der Leyen. "Bis 2020 beträgt diese Summe 60 bis 80 Milliarden Euro, dieses Geld muss den Familien zu Gute kommen." Die Förderung der frühkindlichen Bildung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Zur Kritik der Katholischen Kirche und von einigen Unionspolitikern an ihren Plänen zum Ausbau der Kinderbetreuung sagte von der Leyen: "Wir sollten nicht darüber diskutieren, was man mit Kindern nicht darf, sondern uns als Gesellschaft dafür einsetzen, Wege aufzuzeigen, wie man mit Kindern in einer modernen Welt leben kann."

SPD zeigt Einigungswillen

SPD-Fraktionschef Peter Struck zeigte sich sich jetzt in einem dpa-Gespräch zuversichtlich, dass SPD und CDU eine gemeinsame Linie finden werden. "Es geht darum, dass wir Frau von der Leyen helfen müssen bei der Umsetzung auch der Vorstellungen, die sie hat", sagte Struck in Hannover.

Die Bundesfamilienministerin will die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren bis 2013 auf rund 750 000 verdreifachen. "Wir werden möglicherweise eine gemeinsame Konzeption entwickeln. Das hängt davon ab, wie weit Frau von der Leyen die Zustimmung ihrer eigenen Fraktion findet und wie seriös sie die Finanzierung ihrer Vorstellungen unterlegt", erläuterte Struck.

Die umstrittenen Äußerung von Mixa nannte Struck "überhaupt nicht angemessen". Die Ministerin habe im Grunde nur die gesellschaftliche Realität beschrieben, dass viele Frauen sich auch dadurch verwirklichen wollen, neben der Erziehung von Kindern auch einen Beruf wahrzunehmen. "Das ist ein klassisches Thema der SPD. Ich freue mich, dass sich Frau von der Leyen dem angeschlossen hat", sagte Struck. Bischof Mixa hatte gesagt, die Regierungspläne zur Kinderbetreuung setzten Frauen als "Gebärmaschinen" herab.

Bei der Frage, wie sich der Bund am Ausbau der Kinderbetreuung finanziell beteiligen kann, wird derzeit über eine mögliche Änderung des Grundgesetzes diskutiert. SPD-Fraktionschef Struck sagte: "Ich will eine Grundgesetz-Änderung nicht ausschließen, unterstelle aber, dass wir diese Frage auch in der Föderalismuskommission regeln werden." Es gebe Möglichkeiten, dass der Bund Geld direkt an die Gemeinden gebe. "Ob das ohne Grundgesetz-Änderung geht, wird noch zu prüfen sein."

Nach der harschen Kritik katholischer Bischöfe an der Familienpolitik der Bundesregierung hat Brandenburgs SPD- Fraktionschef Günter Baaske eine sachlichere Debatte verlangt. Mit Blick auf Mixa, meinte Baaske, solche Äußerungen seien nicht sehr hilfreich. Zum unionsinternen Streit über die Ausrichtung der Familienpolitik sagte Baaske der Nachrichtenagentur dpa: "Gleichwohl tut mir Frau von der Leyen leid. Die Diskussion, die sie momentan im eigenen Lager erleben muss, ist ja nicht gerade freundlich."

Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, rückte eine Ausweitung der Kinderbetreuung in die Nähe des DDR-Systems. Einen solchen Vergleich lehnte Baaske ab, der in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist. "Es gab ja auch in der DDR keinen Krippenzwang", sagte Baaske. "Eine Krippe ist ja nun wahrlich nicht ein Ort von ideologischer Prägung." Er mahnte für ganz Deutschland ein Familienbild an, das "zukunftsfähig" ist.

Brandenburg verfügt über eine Versorgungsquote von rund 40 Prozent bei den Krippenplätzen für Kinder unter drei Jahren. Er unterstützte klar die Position seiner Partei, "statt Kindergeld-Erhöhungen das Geld lieber in die Betreuung zu stecken". Was Sachleistungen wie Kinderbetreuung angehe, stehe Deutschland international hinten.

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