Familienpolitik in Deutschland:Wohlstandsfalle Kind

Ausflug nach Berlin

Das Bild der klassischen Familie stammt noch aus der Zeit des Wirtschaftswunders und hat mit der Realität heute nur noch wenig zu tun.

(Foto: dpa)

Frauen in Deutschland sind mindestens so gut ausgebildet wie Männer, haben oft bessere Jobs - bis zum ersten Kind. Dann arbeitet der Vater umso mehr, für die Mutter platzt der Traum vom Wiedereinstieg in den Beruf. Der Staat reagiert mit Almosen wie dem Betreuungsgeld. Dabei sollten alle Familienmitglieder ihre Potenziale entfalten können.

Ein Kommentar von Carsten Matthäus

Familie ist ein wunderbares Wahlkampfthema. Man kann mit sonorem Ton die Probleme von Müttern und Kindern anprangern. Man kann das Versagen der Regierenden beklagen. Man kann dabei sehr väterlich und mütterlich klingen. Das geht so gut, weil die Gesellschaft immer noch an einem romantischen Familienbild klebt, das zwar für Sonntagsreden taugen mag, den real existierenden Familien aber die Luft zum Atmen nimmt.

Eine Mutter, ein Vater, zwei bis drei Kinder, gelassen und glücklich in einem Häuschen oder einer geräumigen Stadtwohnung, mit genug Zeit füreinander und einem putzigen Haustier. Dies ist keine normale Familie, dies ist ein Idyll, das in Deutschland überhaupt erst seit der Wirtschaftswunderzeit möglich ist.

Davor mussten sich Familien in deutlich größeren Verbänden organisieren, weil man früher starb, einen Bauernhof zu bewirtschaften hatte oder ums nackte Überleben kämpfte. Kinder liefen im Alltag eher mit, als dass sie Mittelpunkt sein konnten. Mit steigendem Wohlstand konnte man sich zwar vom Netzwerk der Großfamilie befreien, war aber nun eben auch auf sich selbst gestellt. Weil es deutschen Sehnsüchten entsprach, entstand das heute noch gerne konservierte Familienbild mit dem arbeitenden Patron, der nützlichen Hausfrau und den artigen Kindern.

Die Position der Hausfrau ist nicht mehr sicher

Inzwischen ist in Deutschland einiges passiert: Frauen sind mindestens so gut ausgebildet wie Männer, sie haben sogar teilweise die besseren Jobs - bis sie das erste Kind kriegen. Nur nützliche Hausfrau zu sein, kann ihnen schon deshalb nicht mehr genügen, weil diese Position nicht mehr so sicher ist wie früher: Der Mann kann seinen Job verlieren, die Ehe kann zerbrechen. Außerdem bekommen Frauen ihre Kinder heute später als einst. Haben sie bis dahin schon den ersten gut dotierten Job erreicht, verlieren sie nicht nur Geld, sondern auch einen Lebensentwurf.

Anders gesagt: Die Wohlstandsfallhöhe nimmt bei Familiengründung zu. Die Rechnung beim klassischen Familienmodell für junge Eltern ist erschütternd: Zwei Verdiener plus ein Kind ergeben einen Verdiener und eine vorübergehend oder nachhaltig Erwerbsunfähige.

Die Leistungsträger-Familie ist keine Idylle

Was tun Familien in Deutschland? Alle arbeiten, was das Zeug hält. Der Familienernährer, in der Regel der Vater, arbeitet besonders hart und viel, damit er auch ja Karriere macht - und enteilt nebenbei seiner Partnerin gehaltsmäßig so weit, dass ihr beruflicher Wiedereinstieg dagegen finanziell zur Lachnummer wird.

Der Staat macht es mit seinen finanziellen Trostpflastern nur noch schlimmer. Kindergeld, Betreuungsgeld und Ehegattensplitting mögen Bedürftigen helfen - für das berufliche Engagement aller anderen sind sie Gift. Die Daheimgebliebene, in der Regel die Mutter, arbeitet zu Hause ebenfalls wie besessen, weil sie ja ihrem Mann den Rücken freihalten muss und die Kinder besonders gut geraten sollen, wenn man schon so viel investiert hat. Kein Wunder, dass auch die Kinder solcher Eltern angesichts dieses Erwartungsdrucks gestresster sind als früher.

Eine Idylle ist diese Leistungsträger-Familie sicher nicht. Sie braucht keine Almosen, sie braucht vor allem die Chance, dass alle Mitglieder ihre Potenziale entfalten können. Vordringlich ist es, den Druck aus dem Familienkessel zu nehmen. Unternehmen könnten Familienernährer darin unterstützen, mehr für ihre Familie da zu sein. Eine sinnvolle Idee wären flexible Arbeitszeitmodelle, besonders für Väter. Nur wenn der Vater gelernt hat, einen Haushalt mit Kind zu führen, bekommt die Frau beruflich eine echte zweite Chance. Noch wichtiger ist es, Frauen wieder schnell in ihren Beruf zu bekommen, falls sie das wollen. Wenn eine Gesellschaft das ernst meint, dann muss sie nicht nur mehr Krippenplätze organisieren, sondern für Betreuungssicherheit sorgen, die bis in die Schulzeit der Kinder hineinreicht.

Kinderauszeit als Sabbatical

Diese Aufgabe muss nicht nur der Staat wahrnehmen, es müssen auch private und von Unternehmen getragene Kooperationsformen entstehen, um den Bedarf zu decken. Man könnte Mitarbeiterinnen die Kinder-Auszeit zudem dadurch versüßen, dass man sie in ein längeres Sabbatical einbettet: in eine Eltern-Pause, in der es auch weiterhin ein (abgesenktes) Gehalt gibt. Diese Zeit könnte mit Fortbildungen und Mitarbeitertreffen durchzogen sein, in denen für eine qualifizierte Betreuung der Kinder gesorgt ist. So wäre es den Müttern vielleicht auch nach längerer Pause möglich, nicht wie zweite Wahl auszusehen.

Nur dann, wenn Paare das Gefühl bekommen, dass ihre Rechnung auch mit Kindern aufgehen kann, werden sie mehr Kinder bekommen und starke Familien gründen, die kein Zerrbild einer romantischen Idylle sind.

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