Familienpolitik:Die Politik hinkt den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher

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Dass beispielsweise beide Elternteile zu gleichen Teilen arbeiten und sich um die Kinder kümmern, ist unter Müttern und Vätern inzwischen genauso beliebt wie das traditionelle Modell des hauptsächlich oder alleinverdienenden Vaters.

(Foto: picture alliance / Christian Cha)

Familien sehen sich heute mit ganz anderen Erwartungen konfrontiert als früher. Die Politik hat einiges getan, um diesem Paradigmenwechsel gerecht zu werden. Genug aber ist das nicht.

Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

In einer Demokratie ist es für die Politik zwingend, die Nähe zum Bürger zu suchen, also die eigene Agenda mit der Bedürfnisstruktur der Menschen abzugleichen. Schon alleine, um nicht in einer politischen Blase vom Boden der Tatsachen abzuheben. Nicht immer ist das, was sich beim Abfragen von Wählerwünschen als populär entpuppt, das Richtige für die gesamte Gesellschaft. Siehe Brexit. Oft aber fördert diese Art der Tuchfühlung mit den Bürgern ein ganz anderes Ärgernis zutage: dass die Politik nämlich den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt, zum Teil seit vielen Jahren.

Nirgends wird das so deutlich wie in der deutschen Familienpolitik. Dass beispielsweise beide Elternteile zu gleichen Teilen arbeiten und sich um die Kinder kümmern, ist unter Müttern und Vätern inzwischen genauso beliebt wie das traditionelle Modell des hauptsächlich oder alleinverdienenden Vaters. Väter sehen sich heute mit ganz anderen Erwartungen konfrontiert als ihre eigenen Väter eine Generation zuvor: Sie sollen Windeln wechseln, da sein, das weinende Baby nachts durch die Wohnung tragen, beruflich notfalls zurückstecken und die Karriere der Frau mit ermöglichen. Und immer mehr Väter sollen das nicht nur, sondern wollen es auch.

Die Politik hat mit Krippenausbau und Elterngeld in den vergangenen Jahren einiges getan, um diesem Paradigmenwechsel gerecht zu werden. Genug aber ist das nicht. Trotzdem wird die nächste Elterngeldreform, so muss man die Andeutungen von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) wohl deuten, wieder keine Anhebung der Vätermonate mit sich bringen.

Tristesse herrscht beim Thema Ganztagsbetreuung in der Grundschule

Obwohl Studien und das Alltagserleben vieler Mütter und Väter zeigen: Die gesetzlichen Vorgaben zur Anzahl der Partnermonate sind nach wie vor das beste Argument der Väter, um mit ihren Elternzeitwünschen dem Chef gegenüberzutreten. Schön ist das zwar nicht, aber die Unternehmenskulturen und vorherrschenden Geschlechterstereotypen ändern sich nun mal leider nur sehr langsam - was es den Vätern erschwert, mehr als das gesetzlich notwendige Minimum an familienbedingter Auszeit zu verlangen.

Tristesse herrscht zudem beim Thema Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Es gibt einige Bundesländer, in denen der Hort nach dem Unterricht längst eine Selbstverständlichkeit ist. Anderswo aber ist es mitnichten so. Der gesetzliche Anspruch auf einen Ganztagsbetreuungsplatz für das eigene Grundschulkind kommt jedoch erst 2025. Vermutlich brauchen die Länder diesen Puffer, weil viele noch nicht mal eine Idee davon haben, wo sie die Cafeteria für die Mittagsverpflegung hinstellen sollen. Das aber ist keine Entschuldigung, sondern ein Armutszeugnis.

Als Fortschritt muss es in dieser Sache ja nun schon gelten, dass Bund und Länder sich offenbar darauf geeinigt haben, was unter "Ganztagsbetreuung" überhaupt zu verstehen ist. Nämlich acht Stunden am Tag, an fünf Tagen in der Woche, inklusive Ferien - mit Ausnahme von vier Wochen Schließzeiten. Ja, das ist ein Fortschritt. Doch für dieses Schneckentempo ist der gesellschaftliche Wandel zu rasant.

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