Süddeutsche Zeitung

Familienpolitik und Kinderbetreuung:Als Dorothee Bär das Betreuungsgeld verurteilte

Dorothee Bär, Vize-Generalsekretärin der CSU, gilt als eiserne Verfechterin des umstrittenen Betreuungsgeldes. Dass sie das vor einiger Zeit mal ganz anders sah, will sie heute keinesfalls als Kehrtwende verstanden wissen. Auf Twitter poltert sie, die alten Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen. Doch ein Blick ins Archiv weckt Zweifel.

Thorsten Denkler, Berlin

Dorothee Bär ist offenbar sauer über eine kleine Passage in der gestrigen SZ. Kein Wunder: Die stellvertretende CSU-Generalsekretärin und familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat derzeit vor allem eine Aufgabe: Sie muss das Betreuungsgeld, Lieblingsprojekt ihres Parteichefs Horst Seehofer, über den Klee loben.

Gestern, als das Gesetz zum Betreuungsgeld in den Bundestag eingebracht wurde, war Bär dort die erste Rednerin. Da kann es ihr nicht schmecken, wenn sie am Morgen mit alten Zitaten konfrontiert wird. In einer umfassenden Chronik der Geschichte des Betreuungsgeldes konnte sie einen ihrer Sätze aus dem Jahr 2007 nachlesen, der ziemlich unmissverständlich lautet: "Ich halte gar nichts von dem Betreuungsgeld."

Der Satz findet schnell seinen Weg in die Twitterwelt, auch SZ-Autoren verbreiten ihn dort. Dorothee Bär, die unter @DoroBaer twittert, reagiert prompt. "Unwahrheiten werden durch mehrmaliges wiederholen nicht wahrer...", schreibt sie. Und setzt noch den Hashtag "#gähn" hinterher.

Das wirft natürlich Fragen auf: "Ist das Zitat nie gefallen? Aus dem Zusammenhang gerissen? Haben Sie sich versprochen?", fragen SZ-Autoren sie auf Twitter. Bär reagiert ungehalten: "Einfach mal meine Tweets dazu von heute lesen. Das würde man Recherche nennen."

Einer @SueWestCom, die es als rückgratlos kritisiert, dass Bär erst gegen, dann für das Betreuungsgeld ist, hält Bär entgegen: "Bewußtes falsch verstehen wollen = dämlich! Wurde schon mehrfach erklärt!" Auch @SueWestCom fragt nach, ob das Zitat denn nicht stimme. Bär antwortet: "Das Zitat vor fünf Jahren lautete, daß ich nichts davon halte, wenn Frau oder Mann dafür ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen!"

Was hat sie denn nun gesagt?

Vielleicht sollte Dorothee Bär noch mal darüber nachdenken, ob sie das so stehen lassen will. Das angesprochene Zitat findet sich im Archiv der Bayerischen Staatszeitung (Bsz). Am 10. August 2007 lässt sich dort nachlesen, was Bär zum Betreuungsgeld zu sagen hat. Hier die vollständige Passage:

"'Ich halte gar nichts von dem Betreuungsgeld', sagte sie der BSZ. Die Prämie diene allein dazu, konservative Wählerschichten ruhig zu stellen, die aushäusige Kinderbetreuung ablehnen, sagte Bär. Die 29-jährige Rechtsanwältin [Anm. d. Redaktion: Frau Bär ist Diplom-Politologin}, selbst Mutter einer einjährigen Tochter, favorisiert die von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) angebotenen Betreuungsgutscheine und reklamiert, hierfür 'viel Zuspruch von der Basis' zu erfahren."

Von einem Zusammenhang mit der Berufstätigkeit der Eltern ist dort nichts zu lesen. Auch nicht übrigens in einem Artikel im Berliner Tagesspiegel vom 7. August 2007. Dort heißt es:

"Auch Dorothee Bär aus dem CSU-Vorstand kritisiert den Entwurf. Sie befürchtet, dass vor allem sozial schwache Familien ihre Kinder zu Hause erziehen werden, damit sie das Betreuungsgeld bekommen. 'Die Kinder aus diesen Familien verpassen dann die hochwertige Erziehung in den Krippen', sagte die CSU-Politikerin dem Tagesspiegel. Der Anspruch auf Betreuungsgeld dürfe nicht an die Bedingung gekoppelt werden, dass die Kinder keine Krippe besuchen, sagte Bär."

Der letzte Satz ist interessant, weil das Betreuungsgeld nach den aktuellen Plänen explizit daran gekoppelt ist, dass die Kinder keine mit staatlichem Geld geförderte Krippe besuchen dürfen, wohl aber bei Großeltern, Nachbarn oder anderen privaten Betreuern untergebracht werden können.

Am 12. September 2007 wird Bär gegenüber dem Rheinischen Merkur noch einmal besonders deutlich:

"Die CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär kritisierte das Betreuungsgeld scharf. Damit sei 'dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet', sagte sie der Wochenzeitung Rheinischer Merkur. Nach dem bayerischen Entwurf könnten auch Frauen die Leistung in Anspruch nehmen, die arbeiten. Sie warnte die eigene Partei auch vor einer Blockade des Krippenausbaus. Damit gefährde die CSU ihr Bild als moderne Familienpartei, 'das wir gerade erst mühsam aufgebaut haben'."

Ihr Satz auf Twitter, sie halte nichts davon, "wenn Frau oder Mann" für das Betreuungsgeld "ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen", findet sich in den zugänglichen Archiven nicht.

Er fällt auch nicht in den Pressemitteilungen von Dorothee Bär, die auf den Seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bis Anfang 2007 archiviert sind. Zum Betreuungsgeld äußert sich sie da erstmals am 17. November 2011 unter der Überschrift: "Betreuungsgeld wird kommen". Fettgedruckt erscheint dort dieser Satz: "Der Staat darf nicht nur diejenigen Familien unterstützen, die ihre Kinder betreuen lassen, sondern muss auch jene fördern, die ihre Kinder zu Hause erziehen."

Stattdessen finden sich in andere Passagen, die es schwer machen, an die feurige Kämpferin für das Betreuungsgeld zu glauben. Etwa diese hier aus der Welt, vom 17. Februar 2007:

Bär, die sich selbst konservativ nennt, weiß um die Ablehnung, die es in Teilen der Bevölkerung dagegen gibt, dass Mütter früh in den Beruf zurückkehren. "Sehr viele meinen noch immer, ein Kind gehöre in den ersten drei Jahren ausschließlich zur Mutter." Dabei sei es "erwiesen, dass es Kindern nicht schadet, wenn sie schon vor ihrem dritten Geburtstag in den Kindergarten kommen", ist die CSU-Politikerin überzeugt.

Oder diese aus der Abendzeitung vom 16. Februar 2007:

Für den CSU-Bundestagsabgeordneten Norbert Geis hat die Kinderkrippe "nur Ersatzfunktion". "Am besten entwickeln sich Kinder in einer Familie, in dem ein Elternteil zuhause beim Kind bleibt", so Geis zur AZ. Seine Fraktionskollegin Dorothee Bär, selbst Mutter einer kleinen Tochter, sieht das ganz anders: "Kindern tut es gut, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein, das sehe ich an meiner Tochter." Sie sei der Ministerin dankbar für ihren Vorstoß, sagt Bär zur AZ. "Dieses Familienbild, das jetzt von den Traditionalisten beschworen wird, hat es doch noch nie gegeben. Jede Bauersfrau hat früher auf dem Feld mitgeholfen. Auch heute kann eine Mutter nicht 24 Stunden am Stück ihr Kind bespaßen."

Vielleicht hängt ihr Sinneswandel ja mit ihrem Posten als stellvertretender Generalsekretärin der Christsozialen zusammen. Seit Bär im Februar 2009 von Seehofer in ihr neues Amt berufen wurde, lobt sie das Betreuungsgeld wo sie kann, kritische Äußerungen finden sich nur vorher. Aber da einen Zusammenhang erkennen zu wollen, ist natürlich reine Spekulation.

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