Süddeutsche Zeitung

Familiennachzug:Ohne Recht und Moral

Wie Berlin Europas Richter und das Wohl von Familien missachtet.

Von Bernd Kastner

Familien! Kinder! Wie wichtig und wertvoll sie sind, davon reden Politiker aller drei Regierungsparteien gerne und oft. Das aber sind hohle Phrasen, wenn es um Flüchtlingsfamilien geht. Vor gut einem halben Jahr hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, dass junge, anerkannte Flüchtlinge auch dann ihre Eltern nachholen dürfen, wenn sie während des Asylverfahrens volljährig werden. Die Richter entschieden, dass es auf den Tag ankommt, an dem sie Asyl beantragen; sind sie da minderjährig, haben sie einen Anspruch auf Familiennachzug.

In Deutschland aber hängt das Schicksal vieler Familien davon ab, wie rasch ihr Asylantrag bearbeitet wird. Liegt er so lange im Amt, bis der Geflüchtete volljährig ist, sagt die Bundesregierung: Pech gehabt, du bleibst getrennt von deinen Eltern, und sei es für immer. So war es bisher, so ist es noch. Berlin missachtet die obersten europäischen Richter und das elementare Bedürfnis von Familien, zusammenzusein. Dabei sagt der EuGH, dass dieser Anspruch "nicht in das Ermessen" einzelner Staaten gestellt ist.

Ein Rechtsstaat ist keine Lotterie. Das Recht der Familien darf nicht davon abhängen, wie fix oder langsam eine Behörde arbeitet. Die Regierung Merkel täte gut daran, sich zu besinnen. Sie hat den Europäischen Gerichtshof zu respektieren und Familien zu schützen.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2018
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