Familien-Streitgespräch:"Meine SPD erinnert mich manchmal an eine griechische Tragödie"

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Für immer SPD? Heinrich Führmann, 74, und seine Enkeltochter Franziska Schmidt, 17 (Foto: Daniel Hofer)

Die SPD entscheidet, ob sie die große Koalition mit der Union will oder nicht. Die Frage entzweit die Partei - und auch manche Familie. Ein Streitgespräch zwischen Großvater und Enkelin.

Interview von Lars Langenau und Benedikt Peters

Sie kommen zu zweit zum Gespräch, gehen dicht nebeneinander, lächeln sich an. Heinrich Führmann, 74, und seine Enkeltochter Franziska, 17, stehen sich nahe, keine Frage. Politisch aber verläuft zwischen den beiden ein Riss. Es ist der gleiche Riss, der gerade durch die ganze SPD verläuft. Soll die Partei eine erneute Koalition mit der Union eingehen, obwohl ihr das zuletzt geschadet hat? Oder soll sie in die Opposition, auch wenn Deutschland dann ein politisches Erdbeben droht? Gewissheit gibt es erst am Sonntagmorgen, dann soll das Ergebnis des Mitgliederentscheids vorliegen. Führmann, früher Gewerkschafter und Sozialdemokrat seit Willy Brandts Zeiten, hat völlig andere Vorstellungen als Franziska, die seit 2016 in der Partei ist, bald studieren will und andere junge Leute für Politik begeistern will. Beide engagieren sich im Ortsverein in Garching. Und in einem sind sie sich einig: Sie machen sich Sorgen um ihre SPD.

Herr Führmann, Frau Schmidt, Sonntag wissen wir, wie der Mitgliederentscheid der SPD ausgeht. Wie sehen Sie das, soll die Groko kommen?

Franziska Schmidt: Auf keinen Fall. Ich habe mit Nein gestimmt, aus verschiedenen Gründen. Einige in unserer Partei behaupten, wir könnten die neue Groko jetzt nicht ablehnen, weil wir in den Umfragen so schlecht dastehen. Aber wir stehen jetzt doch gerade so schlecht da, weil wir so lange mit CDU und CSU regiert haben. Wenn wir das jetzt einfach wieder machen, dann sacken wir nur noch weiter ab.

Heinrich Führmann: Ich sehe das nicht so, auch wenn ich großen Kummer mit meiner SPD habe, die mich manchmal an eine griechische Tragödie erinnert: Was auch immer man macht, es ist verkehrt. Aber das hilft doch nichts. Die Menschen in Deutschland haben gewählt, die Politiker haben einen Auftrag. Wir können jetzt nicht so lange wählen, bis das Ergebnis passt. Politik zu machen heißt auch, Verantwortung zu übernehmen.

Franziska Schmidt: Wir haben doch von Anfang an gesagt: Wir gehen in die Opposition. Dann waren eben Grüne, Gelbe und Schwarze am Zug, und das hat nicht funktioniert. Jetzt sollen wir wieder diejenigen sein, die aufräumen müssen, und wir werden zum Buhmann gemacht. Das finde ich nicht fair. Das Problem ist doch: Die SPD hat gar keine klaren Kanten mehr. Wir sind schon so mit der CDU/CSU im Einklang, dass kein eigenes Profil mehr da ist. Das kann man in der Regierung meiner Meinung nach nicht ändern.

Heinrich Führmann: Jetzt "Nein" zu sagen, würde viel zu viele Unwägbarkeiten mit sich bringen. Und letztlich ist doch bei den Koalitionsverhandlungen ein Paket herausgekommen, in dem es viele gute, sozialdemokratische Inhalte gibt. Das muss man der Parteiführung lassen, egal, wie man zu den einzelnen Personen steht. Vieles ist zwar nur als Absichtserklärung formuliert, manchmal ein bisschen schwammig, "das wollen wir", "das gehen wir an". Aber wir sollten der Parteiführung jetzt eine Chance geben, das Beste daraus machen. Und dann schauen wir zur Halbzeit der Legislaturperiode, wie weit sie dabei gekommen sind.

SPD-Streitgespräch Heinz Führmann, 74, und seine Enkeltochter Franziska (Foto: Daniel Hofer)

Braucht es die SPD überhaupt noch?

Franziska Schmidt: Es braucht die SPD, solange sie gegen Missstände kämpft und sich um Themen kümmert, die das breite Volk betreffen. Es gibt doch noch viel zu tun, zum Beispiel bei Bildung und Arbeit. Das interessiert mich besonders, da ich bald mein Studium als Grundschullehrerin aufnehmen möchte. Manche Lehrer, werden von September bis Juli eingestellt, im August hast Du keinen Job, und dann werden sie vielleicht wieder eingestellt. Gegen solche Befristungen muss man etwas tun. Oder in der Pflege: Die alten Leute fühlen sich allein gelassen. Es braucht die SPD, weil sich andere Parteien zu wenig für so etwas interessieren, denen ist die Wirtschaft wichtiger.

Heinrich Führmann: Da stimme ich zu. Die sozialdemokratische Grundidee ist ja, die Unternehmer wirken zu lassen, aber nicht darauf zu warten, dass auch etwas für die Arbeitnehmer abfällt. Da braucht es ein Korrektiv. Das sorgt letztlich dafür, dass die Menschen menschenwürdig leben können.

Warum steht die SPD dann so schlecht da?

Heinrich Führmann: Die Partei hat es nicht geschafft, sich an die heutige Zeit anzupassen. Uns ist ja die Kernklientel, die Arbeiter, verloren gegangen. Nicht weil die uns nicht mehr mögen, sondern weil es einfach weniger Arbeiter gibt. Das hat meiner Meinung nach die SPD nicht richtig wahrgenommen und nur sehr ungenügend darauf reagiert. Sie müsste jetzt Antworten finden auf so wichtige Dinge wie die veränderte Arbeitswelt. Man müsste mal Philosophen dazu holen und eine wirklich breite Debatte beginnen, damit endlich einmal die ganze Gesellschaft diskutiert. Stichwort Digitalisierung: Jeder spricht davon, kaum einer weiß, was damit wirklich gemeint ist, es geht ja nicht nur um den Glasfaserausbau. Sondern eben um die Veränderung der gesamten Arbeitswelt. Ich glaube, die Menschen empfinden es als hohl, da nur so Floskeln zu hören. Oder bei der Rente. Auch da müssen wir endlich Antworten finden, wie sie in Zukunft finanziert werden soll.

Ist die SPD vielleicht einfach zu alt, zu verstaubt?

Franziska Schmidt: Finde ich nicht. Zugegeben, die FDP wirkte im Wahlkampf cooler. Christian Lindner hat das schlau gemacht, die hatten das beste Wahlvideo. Ich fand das auch mit am ansprechendsten für junge Generationen. Im Vergleich war unsere Kampagne nicht gut. Sie hätte konkreter sein müssen, statt immer nur zu sagen: Gerechtigkeit hier, Gerechtigkeit da. Wir müssen viel ändern, aber als alt und verstaubt würde ich uns nicht bezeichnen. Die Jusos sind sehr aktiv, das sieht man ja auch gerade in der Debatte um die Groko. Es treten ja auch gerade viele junge Mitglieder ein.

Vor nicht ganz einem Jahr wurde Martin Schulz als SPD-Chef gewählt. Können Sie sich die folgende Achterbahnfahrt erklären, an dessen Ende sein Rückzug aus der Politik steht?

Heinrich Führmann: Bei seiner Wahl mit 100 Prozent fing mein Problem mit meiner Partei an. Das Ergebnis hat mich regelrecht erschüttert, weil ich damit das Ende der SPD gesehen habe. Die hatten Erwartungen in einen Menschen, die er gar nicht erfüllen konnte. Dass gestandene Parteifunktionäre, trunken vor Glück, nicht gemerkt haben, wen sie da eigentlich gekürt haben: Einen hervorragenden Europapolitiker, der plötzlich ein noch besserer Kanzlerkandidat werden sollte. Ich habe sehr schnell seine Überforderung gesehen, weil er plötzlich völlig verändert aufgetreten ist. Dann wurde er schlecht beraten und konnte den Wahlkampfslogan Gerechtigkeit nicht mit Inhalt füllen. Er wurde immer mehr verunsichert und machte einen Fehler nach dem anderen. Erst keine Groko, dann doch, erst nie in ein Kabinett unter Merkel, dann doch. Es hätte bereits am Tag seiner Wahl zum Parteichef jemand aufstehen müssen, dagegen stimmen oder sich zumindest enthalten müssen.

Franziska Schmidt: Er war ein Glücksfall für das Euro-Parlament, aber überhaupt nicht gefestigt in der Bundespolitik.

Und nun wird alles gut mit Andrea Nahles als seiner Nachfolgerin?

Heinrich Führmann und seine Enkeltochter Franziska stehen sich nahe. (Foto: Daniel Hofer)

(beide schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und lachen)

Franziska Schmidt: Oh je. Sie hat zwar als Arbeitsministerin in der Groko gute Arbeit geleistet, ist aber meines Erachtens keine Führungsperson. Sehr viele Menschen haben Probleme mit ihr und fühlen sich nicht von ihr vertreten. Mir geht es genauso.

Warum fühlen Sie sich nicht von ihr vertreten?

Franziska Schmidt: Sie präsentiert sich mit ihrem Schreien oft als zu aggressiv, zwar reißt sie manche mit ihren Reden mit, aber sie schreckt auch ebenso viele ab. Ich würde sie nicht wählen als Parteichefin.

Wer wäre besser?

(Schweigen)

Kevin Kühnert?

Franziska Schmidt: Nein, der ist als Juso-Chef gut, aber noch nicht dazu bereit, eine ganze Partei zu führen.

Heinrich Führmann: Nahles wirkt auch auf mich marktschreierisch und wenig vertrauenswürdig. Mich stört das auch in anderen Bereichen: Die vertreten zwar die richtigen Positionen, aber müssen ständig ihr Verhalten entschuldigen und korrigieren. Ich halte sie für nicht fähig, Impulse zu geben, die andere davon überzeugen, in der SPD mitzumachen.

Sollte es denn über diesen Posten eine weitere Abstimmung geben?

Heinrich Führmann: Nein, das sollen die Delegierten machen.

Franziska Schmidt: Sehe ich genauso.

Wen wünschen Sie sich im neuen Führungskreis?

Heinrich Führmann: Zur Hälfte neue junge Leute und dazu erfahrene Menschen, die vermittelbar sind, wie Thomas Oppermann, Natascha Kohnen, Barbara Hendricks, Manuela Schwesig, Ralf Stegner und andere, die bislang noch daneben stehen.

In Frankreich und in den Niederlanden sind die Sozialdemokraten unter zehn Prozent gerutscht. Macht Ihnen das Angst?

Heinrich Führmann: Angst nicht, aber Sorge. Die SPD muss ganz schnell wach werden und schauen, wo sie sich in der Gesellschaft verortet. Und sie muss Kante zeigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Sozialdemokratie dann auch wieder eine Chance hat.

Einer von Ihnen wird am Sonntag enttäuscht. Wie geht es dann für Sie in der SPD persönlich weiter?

Franziska Schmidt: Ich werde nicht austreten, nur weil die Mehrheit sich anders entscheidet, als ich das gern hätte. Ich werde mich dann weiter in der Kommunalarbeit engagieren.

Heinrich Führmann: Bei einem Austritt würde ich mich anti-demokratisch fühlen. Unsere Gesellschaft wächst auch an Rückschlägen, deshalb werde ich auf jeden Fall in der SPD bleiben. Ich werde gerade auch in Bayern in der SPD bleiben, denn sonst tritt der übermächtigen CSU hier doch keiner mehr ans Schienbein - auch wenn wir hier kaum mehr erreichen können.

Heinrich Führmann ist seit 43 Jahren SPD-Mitglied, zum 40-Jährigen bekam er diese Urkunde. Einen Austritt kann er sich nicht vorstellen. (Foto: Daniel Hofer)

Gibt es überhaupt einen Punkt, an dem Sie austreten würden?

Heinrich Führmann: Ich stand schon oft kurz davor, mein Parteibuch zurückzugeben. Konkret bei der Agenda 2010, weil ich damals die harten Einschnitte für die Arbeitnehmer nicht verstanden habe. Heute habe ich dazu eine andere Position, weil die SPD vieles daran überprüft und verändert hat. Ein zweiter Punkt war das Handelsabkommen TTIP und das würdelose Lavieren von Sigmar Gabriel in dieser Frage. Gerade weil die SPD aber meine Grundwerte vertritt, habe ich es mit dem Austritt dann doch immer wieder gelassen. Ich kann mir eigentlich keinen Grund vorstellen, außer dass sie sich in eine undemokratische Partei verwandeln würde.

Franziska Schmidt: Für die Agenda 2010 war ich noch zu jung, und muss gestehen, dass ich mich damit bis heute noch nicht richtig auseinandergesetzt habe. Aber einen Austritt kann ich mir nur vorstellen, wenn die SPD nicht mehr meine Werte vertritt oder ich mich mit den Werten der SPD nicht mehr identifizieren kann.

Kühnert sagt: "Aus der SPD tritt man nicht aus, sondern stirbt raus".

Heinrich Führmann: Und in unserer Familie vererben wir die Parteibücher.

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