Kinder, die unter prekären Verhältnissen bei Alleinerziehenden oder in komplexen Patchwork-Familien aufwachsen, leiden besonders unter der Armut. Das zeigt eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI), die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Belastung dieser Kinder äußert sich in emotionalen Problemen, Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit, Verhaltensproblemen und Konflikten mit Freunden und Gleichaltrigen. Nach Einschätzung der Studienleiterinnen werden die Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise und die damit einhergehenden finanziellen Probleme in ihren Familien die Situation dieser Kinder weiter verschärfen. Die Sozialwissenschaftlerin Alexandra Langmeyer fordert daher unter anderem, die Notbetreuung in der Corona-Krise auch auf belastete und bedürftige Kinder auszuweiten. "Da sollte man flexibler sein", so Langmeyer.
Wie wirkt sich die finanzielle Situation einer Familie auf das Wohlbefinden und das Verhalten der Kinder aus? Das untersuchten Langmeyer und ihre Kollegin Valerie Heintz-Martin anhand der Studie "Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten". Für die Stichprobe wurden mehr als 12 000 Kinder oder ihre Eltern befragt und die Ergebnisse unter Berücksichtigung des international anerkannten Family Stress Models ausgewertet. Anhand dieses Modells kann gezeigt werden, wie sich Armut und finanzielle Sorgen auf die Qualität von Elternbeziehungen auswirken und wie diese wiederum das Wohlbefinden der Kinder beeinflusst.
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Ausgangsbeschränkungen, kaum Kontakt zu Freunden, zu wenig gute Aufklärung: Besonders für ängstliche Kinder ist das Leben in der Corona-Krise sehr belastend.
Jedes fünfte Kind in Deutschland ist arm oder von Armut bedroht. Diese Kinder sind statistisch gesehen häufiger krank und sozial isoliert, haben weniger gute Noten in der Schule und langfristig schlechtere Perspektiven als Kinder aus gut situierten Familien. Dabei ist Geld alleine der Studie zufolge für Kinder häufig gar nicht so wichtig. Solange sie in einem intakten Umfeld leben, fühlen sie sich wohl und vermissen wenig. Doch materielle Armut ist meist folgenreich: Finanzielle Sorgen belasten die Eltern, setzen sie unter Druck, schaffen Konflikte in der Beziehung, so die Forschungsergebnisse - und derart belastete Eltern sind selten unterstützende Eltern. "Wenn Eltern ihren Alltag als überfordernd erleben, können sie ihre Kinder meist nicht mehr angemessen erziehen und unterstützen", sagt Langmeyer. Alleinerziehende, aber auch getrennte Elternteile in neuen Beziehungen seien davon besonders häufig betroffen.
"Wertschätzend sein, sein Kind anleiten und unterstützen, Diskussionen konstruktiv austragen: Das geht oft nicht mehr, wenn man ohnehin mit den Nerven am Ende ist", sagt Langmeyer. Solche Eltern könnten auch mal laut werden oder zuschlagen. Generell ist die Angst groß, dass angesichts der Ausgangsbeschränkungen durch die Corona-Krise die Aggressivität in Familien zunimmt, was sich in häuslicher Gewalt äußern könnte. Vor allem wenn in kleinen Wohnungen und neben existenziellen Sorgen wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit die Kinder dann auch noch nerven, haben diese ein Problem. Und in armen Patchwork- oder Alleinerziehenden-Familien sind die Kinder ohnehin auffälliger: Heintz-Martin zufolge sind die sogenannten "mitgebrachten" Stiefkinder in komplexen Patchwork-Familien - wo die Eltern ein weiteres, gemeinsames Kind bekommen haben - von Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit, Verhaltensproblemen oder Konflikten mit Freunden und Gleichaltrigen besonders betroffen.
Die Studienautorinnen fordern daher nicht nur generell eine bessere finanzielle und steuerrechtliche Unterstützung von Ein-Eltern- und Stieffamilien, sondern auch flexible Arbeitsverhältnisse sowie ein dichtes Netz alltagserleichternder Infrastruktur. Eine direkte Unterstützung von Kindern aus belasteten Trennungsfamilien ermöglichten außerdem Projekte, in denen die persönlichen Ressourcen der Eltern und auch der Kinder für die Bewältigung der familiären Belastungen und der Armut gefördert werden. "Solche gezielten Unterstützungsangebote können nicht nur Leid von den betroffenen Kindern abwenden, sondern auch psychosoziale Folgekosten vermindern", betonen die Studienautorinnen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) versucht zwar, solche Unterstützungsprojekte aufrechtzuerhalten, doch nicht überall kann das gewährleistet sein. Wenn die Projekte nun wegen der Corona-Krise geschlossen würden, dann sei das eine weitere Belastung in solch sowieso schon belasteten Familienstrukturen, so Langmeyer. Sie hätten ohnehin oft nur kleine Wohnungen, kaum Rückzugsraum, die Spielplätze seien zu, aber auch niederschwellige Angebote vor Ort, wo man einfach mal hingehen und sich Rat oder Hilfe holen könne. Und oft hätten solche Familien auch kein Auto, um einfach mal rauszufahren, in den Wald oder ins Grüne. Ihnen müsse in der Krise besonders geholfen werden, um Schlimmeres zu verhüten.