Süddeutsche Zeitung

Abstammungsrecht:Mutter und Mit-Mutter

  • Bundesjustizministerin Barley will das Abstammungsrecht an die veränderte Realität anpassen.
  • Es werden weniger Kinder in einer traditionellen Ehe aus Mann und Frau geboren, und die Fortpflanzungsmedizin eröffnet Paaren neue Möglichkeiten.
  • Künftig soll etwa in einer Ehe von Lesben keine Stiefkindadoption mehr nötig sein, um eine Partnerin zur "Mit-Mutter" zu erklären.

Von Robert Roßmann, Berlin

Wer sind die Eltern eines Kindes? Diese Frage war schon früher nicht immer eindeutig zu beantworten. Heutzutage bringt sie aber sogar Juristen regelmäßig an ihre Grenzen. Das traditionelle Familienbild, in dem genetische, rechtliche und soziale Elternschaft zusammenfallen, prägt das deutsche Abstammungsrecht noch immer - aber die Welt der Familien hat sich verändert. Immer weniger Kinder werden in einer Ehe aus Mann und Frau geboren.

Und die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin führen zu Familienkonstellationen, die es früher gar nicht geben konnte - etwa wenn die Mutter, die ein Kind auf die Welt bringt, wegen einer Eizell- oder Embryo-Spende mit dem Kind genetisch gar nicht verwandt ist. Auch die 2017 eingeführte "Ehe für alle" wirft Fragen auf, die das Bürgerliche Gesetzbuch noch nicht ausreichend beantwortet. Dabei hat die Abstammung auf viele andere Bereiche erhebliche Auswirkungen, etwa auf das elterliche Sorgerecht, das Umgangsrecht, den Verwandtenunterhalt oder das Erbe.

Union und SPD haben deshalb in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, wegen der "zunehmenden Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin" und den "Veränderungen in der Gesellschaft" Anpassungen des Abstammungsrechts zu prüfen. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat dazu jetzt einen Reformvorschlag vorgelegt. Sie greift dabei auch auf Ergebnisse des "Arbeitskreises Abstammungsrecht" zurück.

In dem bereits 2015 vom Justizministerium eingesetzten Arbeitskreis saßen Wissenschaftler und Praktiker aus allen betroffenen Bereichen - also nicht nur Juristen, sondern etwa auch Mediziner, Psychologen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe. Mitte 2017 stellten sie ihren Abschlussbericht vor, in dem sie in einigen Punkten einen dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers anmahnten. Dem kommt Barley jetzt nach. Außerdem will die Justizministerin ein Regelungsdefizit abstellen, das es seit der Einführung der "Ehe für alle" im Oktober 2017 gibt.

Bisher gilt die sogenannte Vaterschaftsvermutung, nach der ein verheirateter Mann automatisch rechtlicher Vater der Kinder seiner Frau wird, nicht für lesbische Ehepaare. Dagegen hatte eine Frau geklagt, deren Ehefrau mit Hilfe künstlicher Befruchtung durch Spendersamen ein Kind auf die Welt gebracht hat. Die Klägerin wollte sich daraufhin als "weitere Mutter" ins Geburtenregister eintragen lassen - so wie der Ehemann normalerweise als "Vater" eingetragen wird. Denn nach Paragraf 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuches gilt als Vater, wer "zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist".

Die Stiefkindadoption war bisher der einzige Weg

Das, so forderte die Frau, müsse auch für sie gelten. Der Bundesgerichtshof wies die Klage jedoch im vergangenen Jahr ab. Zum einen spreche der Wortlaut des Gesetzes dagegen, befanden die Richter - dort stehe ja "Vater" und nicht "Mutter". Außerdem sei eine analoge Anwendung des Gesetzes auf Ehen von Lesben nicht zwingend, weil man bei verheirateten Männern ja normalerweise auch ihre biologische Vaterschaft unterstellen könne.

Bislang führt deshalb der einzige Weg, rechtliche Mutter eines in einer "Ehe für alle" geborenen Kindes der Ehefrau zu werden, über die Stiefkindadoption. Dies will Barley jetzt ändern. Der Paragraf 1592 soll deshalb um den Satz ergänzt werden: "Mit-Mutter eines Kindes ist die Frau, die zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist." Die Regelung soll auch für Frauen gelten, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben.

Komplizierter sind die anderen Änderungen, die Barley jetzt vorschlägt - etwa für Kinder, die aus künstlichen Befruchtungen entstehen. Ein Mann, dessen Partnerin im Einvernehmen mit dem Samen eines anderen Mannes befruchtet wird, ist genetisch mit dem entstehenden Kind nicht verwandt. Nach bisher geltendem Recht kann daher - sofern er nicht mit der Mutter verheiratet ist - nicht sichergestellt werden, dass er nach der Geburt die rechtliche Vaterschaft übernimmt. Er hat allerdings durch seine Einwilligung in die künstliche Befruchtung maßgeblich zur Entstehung des Kindes beigetragen.

Barley möchte deshalb nun der Empfehlung des Arbeitskreises Abstammungsrecht folgen. Künftig soll bei einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruchtung mit Spendersamen, der von einer Samenbank zur Verfügung gestellt wurde, die Einwilligung der Mutter und ihres Partners verbunden mit dem Verzicht des Samenspenders auf die Elternrolle "für die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung an die Stelle des natürlichen Zeugungsaktes treten". Der Partner der Mutter kann damit künftig per Gericht als rechtlicher Vater des Kindes festgestellt werden.

Das Zwei-Eltern-Prinzip soll bleiben

Barleys Entwurf erweitert auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. So soll künftig jedem Kind vom vollendeten 16. Lebensjahr an auch gegenüber dem mutmaßlich genetischen Vater oder der mutmaßlich genetischen Mutter eine Klärung der Abstammung zustehen.

Barley sagte, das geltende Abstammungsrecht sei "teilweise nicht mehr zeitgemäß". Mit ihren Vorschlägen wolle sie es reformieren, um den Veränderungen in der Gesellschaft und der Medizin Rechnung zu tragen. Klar sei für sie aber, dass "im Mittelpunkt der Elternschaft" immer die Verantwortung für das Kind stehen müsse. Daher spiele bei all ihren Überlegungen das Wohl des Kindes "eine sehr wichtige Rolle".

Auch deshalb heißt es in Barleys Entwurf: "Wesentlicher Anknüpfungspunkt für die abstammungsrechtliche Zuordnung soll weiterhin die genetisch-biologische Verwandtschaft sein, da sie ein wichtiges Band zwischen Eltern und Kindern darstellt, auch heute noch für die überwiegende Mehrzahl der Familien zutrifft und deshalb als richtiges und stimmiges Kriterium für die Zuordnung von Eltern und Kindern empfunden wird." Im Zweifelsfall würden sich die biologischen Eltern vorrangig für ihr Kind verantwortlich fühlen.

Ebenfalls mit Verweis auf das Kindeswohl will Barley am "Zwei-Eltern-Prinzip" festhalten, obwohl es auch mehr als zwei genetische und soziale Eltern geben könnte - wie etwa nach einer Samenspende. Jedes Kind soll also auch in Zukunft höchstens zwei rechtliche Eltern haben.

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SZ vom 14.03.2019/kit
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