Falsche Terrorgeständnisse:"Ich war beim IS. Ihr könnt mich nicht abschieben"

Prozess gegen mutmaßliche Unterstützer ´Islamischer Staat"

Das Gebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf ist stark gesichert. Dort läuft der Prozess gegen einen angeblichen Terroristen.

(Foto: Maja Hitij/dpa)
  • Jedes zweite von insgesamt 1200 Verfahren wegen Terrorverdachts im vergangenen Jahr stellten Ermittler ein.
  • Häufig ist der Grund, dass Verdächtige falsche Geständnisse abgelegt hatten.
  • Auch den geplanten Anschlag auf die Düsseldorfer Altstadt im Jahr 2016 soll ein Syrer erfunden haben, weil er offenbar hoffte, dadurch in Europa bleiben zu können.

Von Arne Hell, Lena Kampf und Ronen Steinke, Düsseldorf

Im Juni 2016 nimmt die Polizei drei Männer fest, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Sie sollen Terroristen sein. Ihr Plan, in der Düsseldorfer Altstadt eine große Zahl von Menschen zu ermorden, ist angeblich sehr konkret. Die Anklage beschreibt es so: Zwei Terroristen wollten sich in die Luft sprengen, weitere Täter sollten an den Ausgängen der Altstadt mit Maschinengewehren auf flüchtende Menschen schießen. Der Auftrag soll direkt von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kommen.

Der Verdacht allerdings geht auf einen einzigen Zeugen zurück: Der Syrer Saleh A., angeblich der Kopf der Terrorzelle, hat sich den Behörden selbst gestellt, wie auf dem Silbertablett. Am 1. Februar 2016, morgens um halb zehn, ist er in einer Polizeiwache in der Pariser Rue de Clignancourt aufgetaucht und hat sich selbst und andere bezichtigt. Düsseldorf, so scheint es damals, ist nur knapp einer Katastrophe entgangen, die vergleichbar gewesen wäre mit den Anschlägen von Paris.

Seitdem redet dieser Zeuge immer weiter. Zunächst mit Polizisten, seit 49 Verhandlungstagen auch mit den Richtern des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Saleh A., 30, Sohn eines Arztes, aufgewachsen in Gaza, ist charismatisch, erzählt flüssig und hat auf viele Fragen eine Antwort. So hat es gedauert, bis Zweifel aufkamen.

Mehr als zwei Jahre sind vergangen, zwei Jahre, in denen die Polizei anfangs mit enormem Aufwand A.s angebliche Mitverschwörer ausforschte, die Ermittlungskommission "Anbieter" der Düsseldorfer Kripo belauschte sie über Monate. Zwei Jahre, an deren Ende selbst die Ankläger überzeugt zu sein scheinen, dass A.s Geschichte über weite Strecken erfunden war. Eine zynische Märchenstunde.

Inzwischen steht dieser Fall als mahnendes Beispiel für ein Problem, dem Terror-Ermittler immer öfter begegnen. Sehr viele ihrer Nachforschungen enden mit einer Einstellung. Bei jedem zweiten von insgesamt 1200 Verfahren im vergangenen Jahr war dies der Fall. Einer der häufigsten Gründe ist, dass sich Personen im Asylverfahren selbst bezichtigen, mit dem IS zu tun zu haben, und sich dies als falsch herausstellt. Es ist ein auf den ersten Blick widersinniges Verhalten. Umso aufmerksamer analysieren die Ermittler die Motive.

Es liege nicht an kulturellen Unterschieden, dass solche Geständnisse besonders hinterfragt werden müssten, sagt der Chef des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, Burkhard Körner. "Maulheldentum kennen wir auch aus der rechtsextremen Szene. Auch dort erfinden manche Extremisten Taten, die sie angeblich begangen haben, um sich in ihrer Szene wichtig zu machen." Beim Islamismus aber sei es oft schwieriger, erfundene Geständnisse von echten zu unterscheiden, "weil die Motive für Lügen hier zahlreicher sind".

Einer hoffte, das BKA würde ihn aus Pakistan herausholen

Manche Männer hofften schlicht, in Deutschland bleiben zu können, sagt der Richter Thomas Sagebiel, er leitet die Staatsschutzkammer am Frankfurter Oberlandesgericht. Seiner Erfahrung nach würden immer wieder Syrer oder Iraker versuchen, sogenannte Nachfluchtgründe zu schaffen. "Einige sagen: Ich war beim IS, dann bin ich desertiert. Also könnt ihr mich nicht abschieben, denn bei einer Rückkehr droht mir die Rache meiner früheren Kampfgenossen."

Der Wuppertaler Emrah E. galt dafür bislang als prominentestes Beispiel: Er hatte sich im November 2010 telefonisch aus Pakistan als "Herr Schmitz" beim Bundeskriminalamt (BKA) gemeldet. E. teilte mit, dass seine Gruppe vorhabe, das Reichstagsgebäude zu erstürmen. Später, vor Gericht, zog er die Geschichte zurück. Er sei nie ein Terrorplaner gewesen, nur ein Hochstapler. Er habe einfach gehofft, das BKA werde ihn aus Pakistan herausholen.

Als jüngst vor dem Hamburger Oberlandesgericht ein mutmaßlicher Terrorplaner aus Syrien, Mohammed A., 27, alle Prozessbeteiligten überraschte, indem er am letzten Prozesstag alles gestand - da glaubten ihm die Richter zwar. Es blieb aber bei diesem Problem: Wenn die vermeintlichen Beweismittel weit entfernt im Nahen Osten liegen, kommt es stark auf die Deutung von Aussagen an.

"Ich habe mir das wirklich alles ausgedacht"

Dass nun der angebliche Chef der Düsseldorfer Terrorzelle Saleh A. eine windige Gestalt ist, war den Ermittlern schon in Paris im Februar 2016 aufgefallen. In den ersten Tagen erzählte er ausgiebig, wie und wo der Anschlag in Düsseldorf habe stattfinden sollen, wer ihn in Syrien beauftragt habe und wer Teil seiner Gruppe sei. Als er bemerkte, dass er aufgrund seiner Aussagen nicht etwa zuvorkommend behandelt wurde, sondern in Untersuchungshaft kam, wirkte er überrascht.

Er wollte nicht weiterreden und verlangte, den deutschen Behörden übergeben zu werden. Außerdem hatte er plötzlich eine andere Erklärung dafür, warum er sich gestellt habe. Erst hatte er angegeben, dass seine Tochter ihn nicht als Terroristen in Erinnerung behalten solle. Reue also. Später sagte Saleh A., er habe überhaupt nie vorgehabt, einen Anschlag zu begehen, er habe den Auftrag vom IS in Syrien nur zum Schein angenommen.

Saleh A. stellte sich geschickt an, er zeigte Videos von Kämpfen in Syrien, an denen er auf Seiten der Islamisten teilgenommen habe, der Islamismusforscher Guido Steinberg bestätigte als Gutachter, dass die Angaben über die Kämpfe stimmten. Saleh A. nannte Kampfgenossen, die wie er als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Dankbar nahmen die Ermittler das auf. Mehr als zwei Dutzend Verfahren sind so entstanden. Neun dieser Personen sind schon angeklagt worden.

Der Mann lieferte sogar den Namen des angeblichen Drahtziehers

In solche überprüfbaren Informationen wob Saleh A. die Erzählung ein, die ihn zu einem wertvollen Terror-Kronzeugen machen sollte: Auf einer Karte der Düsseldorfer Altstadt malte er zielsicher die Punkte auf, an denen seine Männer stehen sollten. Auch lieferte er den Namen des angeblichen Drahtziehers, eines Syrers, der in einem Flüchtlingswohnheim in den Niederlanden lebt. Die dortigen Behörden überwachten den Mann daraufhin monatelang, die Ergebnisse waren aber "gleich null", sagt ein deutscher Ermittler.

Im besonders gesicherten Gerichtssaal in Düsseldorf wurde Saleh A. wütend, als die Richterin ihn mit Zweifeln an dem angeblichen Terrorkomplott konfrontierte. "Ich bin besser als Sie und Ihr ganzes Volk!" Danach gab er sich gekränkt, verlangte mehr Wertschätzung dafür, dass er ausgepackt habe. Wie ein Held wolle er zwar nicht behandelt werden, aber eine Wohnung oder ein Haus als Gegenleistung, das habe er sich schon erhofft. Und dass er seine Familie aus Syrien nachholen könne. Die Ermittler in Frankreich hätten ihm das auch in Aussicht gestellt.

Grundsätzlich sei es normal, wenn Kronzeugen sich selbst belasten, sagt Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. "Das spricht auch oft für den Wahrheitsgehalt." Allerdings sei es "oft so, dass Täter insbesondere aus anderen Kulturkreisen" erst spät erkennen würden, dass das deutsche Recht auch einem Kronzeugen nicht alles verzeiht.

Saleh A. grinst, als der Richter, der inzwischen den Prozess leitet, ihn fragt: "Wurde denn damals in Syrien überhaupt über Anschlagspläne in Europa geredet?" Er schüttelt den Kopf. "Nein, ich habe mir das wirklich alles ausgedacht. Ich habe alle möglichen Dinge, die stimmten, so zusammengebaut, dass man mir glaubt." Seine beiden Mitangeklagten wegen des Anschlagsplans, Mahmoud B. und Hamza C., sind inzwischen freigesprochen. Saleh A. könnte noch verurteilt werden, aber nur noch wegen seiner Zeit beim IS in Syrien.

Ob er dorthin zurückkehren wolle, fragt ihn der Richter an einem der letzten Verhandlungstage. "Nein", antwortet Saleh A. ohne zu zögern, "das ist ausgeschlossen. Im Gegenteil, ich werde alles tun, um meine Familie hierher zu holen." Warum er dann all diese Geschichten erfunden habe, fragt der Richter weiter. "Um die Informationen über all die bösen Leute loszuwerden, die von Syrien hier nach Deutschland gekommen sind." Es wirkt nicht so, als ob ihm jemand im Saal in diesem Moment noch glaubt.

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