Die Rechnung ist relativ einfach. Wer russische Diplomaten ausweist, muss sich auf die Ausweisung eigener Diplomaten in mindestens der gleichen Zahl aus Russland einstellen. Jene Staaten, die sich den USA angeschlossen haben bei der konzertierten Ausweisung der Agententätigkeit verdächtiger Diplomaten, mussten also in ihre Kalkulation aufnehmen, auf wie viele eigene Leute sie künftig in Moskau verzichten können und wollen. Schon wegen der Größenunterschiede war es eine Entscheidung, die einigen Staaten schwerer gefallen ist als anderen. Luxemburg beschäftigt in Russland drei Diplomaten. Eine Zahl, die sich ganz schnell auf null verringern könnte.
Nicht nur deshalb gehört Luxemburg zu jenen zehn EU-Staaten, die sich der Aktion bisher nicht angeschlossen haben. "Wenn man die Eskalation so weit treibt, dass es kein Zurück mehr gibt und ohne dass man schon Ergebnisse der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen hat, dann ist das gewagt", sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn der Süddeutschen Zeitung.
Schon beim EU-Gipfel Ende der Woche hatten die Staats- und Regierungschefs kontrovers über die richtige Reaktion auf die Vergiftung des einstigen Agenten Sergej Skripal diskutiert. Zwar stellten sich schließlich alle hinter ihre britische Kollegin Theresa May in der Schuldzuweisung an Moskau. Schon in der Diskussion aber war klar geworden, dass nicht alle dem britischen Schritt folgen wollen und nur etwa die Hälfte bereit sein würde, russische Diplomaten auszuweisen.
Sebastian Kurz: "Brückenbauer zwischen Ost und West"
Zu den Skeptikern gehörte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er verwies dabei auf den "traditionell guten Kontakt" seines Landes zu Russland. Man stehe hinter der Entscheidung, den EU-Botschafter zu Konsultationen zurückzurufen, wolle aber "keine nationalen Maßnahmen setzen", hieß es in einer von Kurz und der Außenministerin Karin Kneissl gemeinsam herausgegebenen Erklärung. Österreich sei ein "neutrales Land und sieht sich als Brückenbauer zwischen Ost und West".
Diese Linie verteidigte Kneissl auch in einem morgendlichen Interview im österreichischen Rundfunk, wo sie zugleich auf das Fehlen hundertprozentiger Beweise gegen Russland hinwies. Kneissl war für das Außenamt als Parteilose von der FPÖ nominiert worden, die seit Langem schon enge Verbindungen nach Russland pflegt. Bei einer Reise nach Moskau hatte Parteichef Heinz-Christian Strache Ende 2016 einen Freundschaftsvertrag seiner FPÖ mit der Kreml-Partei Einiges Russland unterzeichnet und sich auch dort als "Brückenbauer" präsentiert. Das Abkommen sieht einen engen Austausch vor. Strache hat überdies die EU-Sanktionen gegen Russland immer wieder scharf verurteilt, und FPÖ-Politiker hatten sich 2014 als inoffizielle "Wahlbeobachter" beim Referendum auf der Krim an Russlands Seite gezeigt. Diese Nähe hatte bei der Regierungsbildung in Wien einigen Argwohn bei den EU-Partnern ausgelöst.
Nicht nur in Österreich steht hinter der Entscheidung, sich nicht der Aktion von etwa 30 westlichen Staaten anzuschließen, ein grundsätzliches Unbehagen gegenüber der derzeitigen Russlandpolitik der EU. Als Anfang vergangener Woche die Außenminister über den Fall Skripal berieten, war es neben Österreich insbesondere Griechenland gewesen, dass davor gewarnt hatte, sich der britischen Schuldzuweisung ohne Beweise anzuschließen. Es hat nun ebenso wie auch Zypern, Malta, Bulgarien, Belgien, Portugal, die Slowakei und Slowenien nicht an der Ausweisungsaktion teilgenommen.
Für die EU trat in der Sache auffälligerweise nicht die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor die Öffentlichkeit, sondern EU-Ratspräsident Donald Tusk. Der Auswärtige Dienst sei nicht in "nationale Entscheidungen" involviert, erklärte eine Sprecherin. Koordiniert worden sei die Aktion zwischen den Mitgliedstaaten, wenn auch "im europäischen Rahmen".