Süddeutsche Zeitung

Russland und der Westen:Eskalation nach Zahlen

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Moskau schlägt zurück: Zahlreiche Diplomaten müssen Russland verlassen - auch vier deutsche. Auffallend ist, wie der Kreml die USA attackiert.

Von Frank Nienhuysen, München

Russlands politische Antwort war erwartet worden, jetzt werden im Land auch ein paar praktische Fragen erörtert: Welche Hauptstadt liegt für die Menschen in Sankt Petersburg näher, wenn sie ein amerikanisches Visum beantragen wollen: Das total überlastete Moskau? Tallinn oder Helsinki? Wie weit ist es bis Vilnius, wie weit bis Riga? Oder kommen sogar Tiflis und Kiew in Frage? Wo klappt es mit dem Visum reibungsloser, schneller? In welcher Botschaft versteht man auch Russisch?

Fragen über Fragen stellt das Sankt Petersburger Infoportal fontanka.ru, seitdem die russische Führung am Donnerstag entschieden hat, nicht nur 60 Diplomaten aus den USA und Dutzende weitere Botschaftsmitarbeiter aus überwiegend westlichen Staaten auszuweisen, sondern auch das amerikanische Konsulat in Sankt Petersburg zu schließen - und zwar schon an diesem Samstag. Am Freitag legte Moskau nach und forderte Angehörige weiterer Botschaften auf, Russland zu verlassen. Auch vier deutsche Diplomaten müssen gehen.

Die USA drohen bereits mit einer Antwort

Russland reagiert damit auf die Ausweisung von insgesamt mehr als 150 russischen Diplomaten durch etwa 25 Staaten - darunter Deutschland - und die Schließung des russischen Konsulats in Seattle. Außenminister Sergej Lawrow warnte vor allem Washington vor weiteren "feindlichen Maßnahmen" gegen russische Vertretungen. Allerdings drohen auch die USA bereits mit einer Antwort auf Moskaus Antwort. Russlands Vorgehen bedeute eine weitere Verschlechterung der Beziehungen, erklärte das Weiße Haus.

Während die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten in vielen Fällen eher symbolische Bedeutung hat, kann die Schließung eines Konsulats sehr konkrete Folgen haben. Auch für die Russen selber: Nach einem Bericht der russischen Zeitung Kommersant hat das amerikanische Konsulat in Petersburg im vorigen Jahr fast 32 000 Visa an Russen ausgegeben, mehr als doppelt so viele wie im US-Konsulat in Jekaterinburg und vier Mal so viele wie im fernöstlichen Wladiwostok. Der frühere US-Botschafter in Moskau, Michael McFaul, kritisierte deshalb sowohl die Entscheidung der USA als auch Russlands, ein Konsulat zu schließen. "Das ist schlecht für die Kontakte zwischen Bürgern beider Staaten", sagte er. UN-Generalsekretär António Guterres warnte sogar vor einem "neuen Kalten Krieg".

Anlass für den diplomatischen Konflikt ist die Vergiftung des früheren Doppelspions Sergej Skripal und dessen Tochter Julia, die Anfang März auf einer Parkbank in Salisbury bewusstlos aufgefunden wurden. Nach britischen Erkenntnissen ist Russland verantwortlich. Die Ermittler stützen sich dabei auf das Nervengift Nowitschok, das einst in der Sowjetunion entwickelt worden war. Russland weist eine Verwicklung in den Fall zurück und präsentierte mehrmals neue Versionen, nach denen etwa das Gift ebenso gut aus Tschechien stammen könne. Die EU-Staaten schlossen sich indes der britischen Sicht an, unter ihnen auch Ungarn und Italien, die ansonsten eher um ein engeres Verhältnis zu Moskau bemüht sind.

Auffallend war, dass der Kreml sich in seiner Rhetorik gegenüber dem Westen vor allem auf die USA einschoss, die auf die EU-Staaten angeblich Druck ausgeübt hätten. Russland bleibe weiter offen für gute Beziehungen zu den Ländern. Auch der deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch, der am Freitag ins russische Außenministerium einbestellt worden war, sprach hinterher vom Interesse Deutschlands an einem guten Verhältnis zu Russland. Doch zu den "schlimmen Vorfällen in Salisbury" müsse Russland Klarheit und Transparenz schaffen und berechtigte Fragen beantworten.

Der Tochter von Skripal geht es inzwischen besser

Nach einem Bericht der britischen BBC hat sich der Gesundheitszustand von Skripals Tochter Julia verbessert. Sie sei bei Bewusstsein und könne sprechen. "Sie hat auf die medizinische Behandlung gut reagiert", hätten die Ärzte gesagt. Der 66 Jahre alte Sergej Skripal sei dagegen in einem "kritischen, aber stabilen Zustand".

Russlands Außenminister Lawrow sagte, er werde sich nun, da Julia Skripal bei Bewusstsein sei, um einen Zugang zu ihr bemühen, da sie russische Staatsbürgerin sei. Deshalb verlangten die russischen Behörden auch Kopien von den Akten der britischen Ermittler. Auch diese dürften nun ein großes Interesse an einem Gespräch mit Julia Skripal haben. Zuletzt hatte die britische Polizei erklärt, dass die höchste Konzentration des Nervengifts am Eingang von Skripals Haus gemessen worden sei - laut BBC an der Türklinke.

Am Mittwoch nach Ostern soll auf Antrag Moskaus die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) eine Sondersitzung abhalten. Offensichtlich will Russland die Experten zu einer schnellen Stellungnahme drängen, nachdem diese in England Proben entnommen haben. Großbritannien und die mit ihm solidarischen Staaten verlangen von Russland, mit der OPCW "vollumfänglich" zusammenzuarbeiten.

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SZ vom 31.03.2018
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