Fall Sami A.:Bescheuert?

Die Forderungen des Gerichts klingen prinzipienreiterisch. Sie sind es nicht. Es geht um das Funktionieren des Rechtsstaats.

Von Heribert Prantl

Beharrt die Justiz im Fall des Sami A. darauf, dass dieser Mann wieder nach Deutschland geholt wird, dann halten das viele Leute für komplett bescheuert. Mag sein, sagen sie, dass die Abschiebebehörde, die ihn nach Tunesien verfrachtete, eine gerichtliche Entscheidung missachtet hat. Aber: Es zähle doch das Ergebnis - und das sei gut. Wirklich? "Ja" heißt es dann. Denn "weg ist weg", und man solle froh sein, dass es so ist. Was spricht dagegen?

Das Prinzip? Wer erklärt, dass es ihm ums Prinzip gehe, der wird schief angeschaut. Er gilt als Prinzipienreiter, als enger Geist, als unangenehm-pedantischer Zeitgenosse. Das mag so sein, wenn der Prinzipienreiter auf seinen Prinzipien durch den Alltag galoppiert und vom hohen Ross nicht mehr herunterkommt. Es gibt aber Prinzipien, die so fundamental sind, dass sich ihre Abwertung in Verbindung mit dem Wort "Reiterei" verbietet. Die Gewaltenteilung ist so ein Prinzip. An ihr hängt das Leben des Rechtsstaats.

Das Beharren darauf, dass eine Entscheidung der dritten Gewalt von der zweiten Gewalt beachtet wird, ist das Beharren auf einem fundamentalen Grundsatz der Machtverteilung. Die Verwaltung hat diesen Grundsatz missachtet. Sie hat sich über die Anordnung des Gerichts hinweggesetzt, wonach Sami A. vorläufig in Deutschland bleiben sollte. Diese Missachtung muss korrigiert werden.

Die Gewaltenteilung ist kein Schnickschnack; sie ist ein demokratisches Wesenselement. Sie ist kein abstraktes Thema für Sozialkundeunterricht und Jubiläumsreden. Sie ist die in der Verfassung beschriebene Selbstbeschränkung der Staatsorgane; sie ist eine Klugheitsregel, sie handelt von der Verteilung von Macht und Verantwortung. Sie sorgt dafür, dass keine Gewalt und kein Gewaltiger allmächtig werden kann. Deshalb sind Autokraten bestrebt, die Gewaltenteilung abzuschaffen. In der Türkei, in Ungarn und Polen kann man das beobachten. Es gilt daher der Satz: Wehret den Anfängen. Darum geht es im Fall Sami A.

Die Gewaltenteilung ist ein Teil des Rechtsstaatsprinzips, sie wird von der Ewigkeitsgarantie erfasst - und gehört also zu den Grundsätzen, die nicht geändert, ja nicht einmal berührt werden dürfen. Sie ist damit Bestandteil jener Ordnung, gegen deren Beseitigung alle Deutschen das Recht zum Widerstand haben. Das ist kein Hinweis zum Fall Sami A.; aber diese große Verankerung beschreibt den Rang, den die Gewaltenteilung hat.

Nun könnte ein gerissener Interpret des Worts Gewaltenteilung sagen, dass der Fall Sami A. ja gerade die Gewaltenteilung demonstriere: Das Gericht entscheidet so, die Verwaltung entscheidet eben anders. Gewaltenteilung bedeutet aber nicht, dass jede Staatsgewalt ohne Rücksicht auf die andere vor sich hinwerkelt. Zur Gewaltenteilung gehört die Achtung der jeweiligen Kompetenzen. Die Kompetenz der rechtsprechenden Gewalt ist im Grundgesetz, Artikel 19 Absatz 4, klar beschrieben: "Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, steht ihm der Rechtsweg offen."

Das heißt: Die rechtsprechende Gewalt ist zur Kontrolle der Exekutive berufen. Man sollte also vielleicht besser von Gewaltenbalance als von Gewaltenteilung sprechen. Die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen haben diese Balance im Fall Sami A. massiv gestört. Sie wieder herzustellen dient der Rechtssicherheit.

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