Fall Maaßen:"Einen Vertrauensentzug durch die Kanzlerin, den habe ich nicht gehört"

Horst Seehofer - Andrea Nahles

Uneins im Fall Maaßen: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und SPD-Chefin Andrea Nahles.

(Foto: dpa)

Bundesinnenminister Seehofer hält an Hans-Georg Maaßen fest. SPD-Chefin Nahles wird von ihrer Partei dazu getrieben, die Personalie neu zu verhandeln. Und Merkel? Die Regierungskrise in Zitaten.

Von Barbara Galaktionow

Hans-Georg Maaßen in der Bild-Zeitung über Chemnitz (7. September): "Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz wird von mir geteilt. Es liegen dem Verfassungsschutz keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben." Zu einem im Internet geteilten Video, das Jagdszenen auf ausländische Menschen in Chemnitz zeigt: "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist. (...) Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."

Regierungssprecher Steffen Seibert für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die zuvor selbst von Hetzjagden gesprochen hatte, zu möglichen Falschinformationen: "Es hat dazu kein Gespräch der Bundeskanzlerin mit Herrn Maaßen in den letzten Tagen gegeben."

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Gespräch mit dpa: "Wenn der Chef des Inlandsgeheimdienstes der Bundeskanzlerin öffentlich widerspricht, muss er für seine Behauptungen jetzt umgehend Beweise vorlegen."

SPD-Vize Ralf Stegner zu Maaßen: "Ich finde, dass er in dem Amt nicht mehr zu halten ist."

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Maaßens Vorgesetzter, der zuvor selbst Verständnis dafür geäußert hatte, dass die Bevölkerung in Chemnitz "aufgewühlt" sei: "Herr Maaßen hat mein volles Vertrauen."

SPD-Chefin Andrea Nahles fordert in der Bild-Zeitung vom 10. September von Maaßen klare Belege für seine Aussagen: "Sollte er dazu nicht in der Lage sein, dann ist er in seinem Amt nicht länger tragbar."

Maaßen bezieht Stellung

Maaßen in einem vierseitigen Bericht am 10. September an das Innenministerium: "Nicht der Präsident des BfV, sondern der Urheber des Videos hat zu belegen, dass mit dem Video 'Hetzjagden' in Chemnitz am 26. August 2018 dokumentiert werden."

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD): "Gerade in Zeiten von sogenannten Fake News und Verschwörungstheorien ist es die Aufgabe des Behördenchefs, für Klarheit und Gewissheit zu sorgen und sich nicht seinerseits an Spekulationen zu beteiligen oder sie sogar in Gang zu setzen."

Kanzlerin Merkel (CDU) am 12. September im Bundestag zur Maaßen-Kritik: "Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter."

Am 12. September muss Maaßen sich vor Abgeordneten zu seinen Äußerungen erklären, erst vor dem geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium, danach in einer Sondersitzung des Innenausschusses. Seehofer danach zur SZ: "Für personelle Konsequenzen sehe ich keinen Anlass." Nach Angaben von Sitzungsteilnehmern bescheinigt er Maaßen, differenziert und vollständig überzeugend argumentiert zu haben.

SPD- Fraktionsvize Eva Högl: "Er hat nicht überzeugt, das Vertrauen ist erschüttert."

Juso-Chef Kevin Kühnert geht bei einem Statement im Spiegel noch weiter: "Sollte der Verfassungsschutzpräsident im Amt bleiben, kann die SPD nicht einfach so in der Regierung weiterarbeiten."

Innenminister Seehofer im Bundestag am 13. September: "Maaßen hat weiterhin mein Vertrauen als Präsident des Verfassungsschutzes." Er habe vorm Innenausschuss "manche Verschwörungstheorie überzeugend entkräften können".

Am gleichen Tag treffen sich die Koalitionsspitzen Merkel, Seehofer und SPD-Chefin Andrea Nahles zum Krisengespräch - und vertagen eine Entscheidung. Seehofer danach: "Es war ein gutes und ernsthaftes Gespräch mit dem Ziel, die Zusammenarbeit fortzusetzen."

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil auf Twitter: "Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln."

Boris Pistorius, Niedersachsens Innenminister und Mitglied im SPD-Parteivorstand, sagt der SZ: "Das Verhalten von Herrn Maaßen als Behördenleiter des Verfassungsschutzes fällt auf die Regierung ingesamt zurück. Hinter ihm kann man sich nicht länger versammeln." Und weiter: "Wir dürfen da als SPD nicht länger zusehen."

Merkel am 14. September zur neuerlichen Koalitionskrise: "So wichtig die Position des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist, so klar ist auch, dass die Koalition an der Frage eines Präsidenten einer nachgeordneten Behörde nicht zerbrechen wird." Es ist Merkels erste Äußerung, seit der Streit zwischen Union und SPD eskaliert.

CSU-Generalsekretär Markus Blume wirft der SPD im ZDF vor, mit der Forderung nach Maaßens Entlassung eine "Koalitionskrise herbeizureden".

Malu Dreyer, SPD-Vize und Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, in der Bild am Sonntag am 15. September: "Maaßen ist nicht irgendein Beamter einer nachgeordneten Behörde, er ist der Präsident der wichtigsten Sicherheitsbehörde in unserem Land. (...) Deswegen ist für uns ganz klar, dass Maaßen nicht mehr der richtige Mann für dieses wichtige Amt ist. Die Kanzlerin muss handeln."

Ex-SPD-Chef und Bundestagsabgeordneter Martin Schulz in der SZ: "Ich glaube nicht, dass die Regierung wegen Maaßen zerbrechen wird. Die SPD hat eine klare Ansage gemacht: Wir fordern, dass Maaßen geht oder entlassen wird. (...) Ein SPD-Innenminister hätte Maaßen schon längst entlassen."

Entscheidung über Maaßens Zukunft

Nach einem Treffen der Koalitionsspitzen am 18. September teilt die Bundesregierung schriftlich mit: "Das Amt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird neu besetzt. Herr Maaßen wird in Zukunft Staatssekretär im Bundesministerium des Innern werden."

Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin der Bayern-SPD, zeigt sich in einem Brandbrief an ihre Parteichefin "nicht einverstanden mit der Entscheidung von Andrea Nahles". Die SPD habe gesagt, Maaßen sei als Chef des Verfassungsschutzes nicht mehr tragbar, dass er "jetzt im Innenministerium noch mehr Verantwortung übernehmen soll, das ist nicht akzeptabel".

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im ZDF: "Dass Herr Seehofer Herrn Maaßen jetzt ins Ministerium holt, ist insofern auch eine Entscheidung, die man wieder auch als Kritik an der Kanzlerin sehen kann."

CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer im ZDF zur beschlossenen Ablösung Maaßens: "Diese Frage ist heute geklärt worden, und zwar nicht nur von einer Koalitionspartei, sondern im Einvernehmen auch mit den Sozialdemokraten."

Bundesinnenminister Seehofer am 19. September zur Kritik, dass er mit seinem Vorgehen im Fall Maaßen die Koalition destabilisiere: "In dieser Sache war ich in keiner Sekunde Auslöser, Ursache oder sonst was."

Seehofer auf die Frage, ob auch Merkel dem Verfassungsschutzpräsidenten das Vertrauen entzogen habe: "Einen Vertrauensentzug durch die Kanzlerin, den habe ich nicht gehört."

Merkel zur Versetzung Maaßens: "Das Vertrauen ist in Teilen der Koalition nicht gegeben gewesen."

SPD-Chefin Nahles zu ihrer Zustimmung für die Beförderung Maaßens in einem Brief an alle SPD-Abgeordneten: "Die SPD sollte diese Bundesregierung nicht opfern, weil Horst Seehofer einen Beamten anstellt, den wir für ungeeignet halten." Sie wirbt dafür, dass "wir uns wieder mit voller Kraft auf unsere eigentlichen Aufgaben konzentrieren können".

Bayerns-SPD-Chefin Kohnen zur dpa: "Ich fordere jetzt alle SPD-Mitglieder im Kabinett auf, gegen Maaßens Ernennung zu stimmen."

Juso-Chef Kühnert: "Seehofer zeigt der Kanzlerin, den Koalitionspartnern und letztendlich der gesamten Öffentlichkeit den Mittelfinger. Es wird Zeit, dass wir aufhören, uns von ihm auf der Nase herumtanzen zu lassen."

CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer in einem Brief an die CDU-Mitglieder: "Die SPD pochte auf die Entlassung von Herrn Maaßen. Der Bundesinnenminister bestand darauf, die Expertise von Herrn Maaßen weiter zu nutzen. Damit stand die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Regierung konkret im Raum."

Neue Diskussion über Maaßens Zukunft

SPD-Chefin Nahles unterbreitet Merkel und Seehofer in einem Brief am 21. September einen Vorschlag: "Die durchweg negativen Reaktionen aus der Bevölkerung zeigen, dass wir uns geirrt haben. Wir haben Vertrauen verloren, statt es wiederherzustellen. Dies sollte Anlass für uns gemeinsam sein, innezuhalten und die Verabredung zu überdenken."

Seehofer zur dpa: "Ich denke, eine erneute Beratung macht dann Sinn, wenn eine konsensuale Lösung möglich ist. Darüber wird jetzt nachgedacht.",

Regierungssprecher Seibert: "Die Bundeskanzlerin findet es richtig und angebracht, die anstehenden Fragen erneut zu bewerten und eine gemeinsame tragfähige Lösung zu finden." Merkel kündigt später an, diese solle noch am Wochenende gefunden werden.

Der niedersächsische SPD-Innenminister Pistorius zur Funke-Mediengruppe: "Andrea Nahles ist nicht beschädigt, sondern zeigt Größe."

CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer in einem weiteren Brief an die Parteimitglieder: Die anstehenden Gespräche sollten aus Sicht der CDU genutzt werden, "um zu klären, ob sich alle Koalitionsparteien weiter hinter dem gemeinsamen Auftrag versammeln können."

Seehofer in der Bild am Sonntag vom 23. September: "Es wird keine Zusammenkunft (der Koalitionsspitzen, die Red.) ohne ein vorheriges Lösungsszenario geben, das alle Beteiligten in der Zukunft mittragen." Der Minister stellt sich erneut vor Maaßen: "Er hat kein Dienstvergehen begangen. (...) Ich werde ihn deshalb auch nicht entlassen."

Nahles in der Bild am Sonntag zur Frage, ob ihre Autorität beschädigt ist: "Ich fühle mich stark genug, einen Fehler einzugestehen und ihn zu korrigieren." Und zur Zukunft der Koalition: "Die Regierung wird nicht an der Causa Maaßen scheitern. Die Basis für unsere Zusammenarbeit muss gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit sein. Wenn das nicht mehr gegeben ist, scheitert die Regierung."

Seehofer zur SZ: "Momentan sind wir nach meiner Einschätzung auf gutem Weg."

Zur SZ-Startseite
Bundestag

SZ PlusBundesregierung
:Die Unbegreiflichen

Sie reden miteinander, das ist bewiesen. Die Frage ist nur: Worüber? Was die Berliner Koalition mit dem Spiel "Lotti Karotti" zu tun hat, und wieso dies sehr gefährlich ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: