Fall Khashoggi:Was Erdoğan nicht sagt

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"Wer ist der lokale Komplize?" Recep Tayyip Erdoğan stellte am Dienstag einige Fragen Richtung Saudi-Arabien. (Foto: Getty Images)
  • Bei seinem Auftritt im Parlament bleibt Erdoğan spektakuläre Beweise zum Fall Khashoggi schuldig, von zuvor in den Medien kursierenden Ton- oder Videoaufnahmen ist plötzlich keine Rede mehr.
  • Für die Türkei wäre es heikel, einen Lauschangriff auf das saudische Konsulat einräumen zu müssen.
  • Unklar bleibt nach Erdoğans Auftritt, ob der saudische Thronfolger Mohammed bin Salman politisch überleben wird.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Er werde die "ganze Wahrheit" zum Tod des Journalisten Jamal Khashoggi enthüllen, das hat Recep Tayyip Erdoğan versprochen. Doch daraus wird erst einmal nichts. Erdoğan sitzt im Fraktionssaal der Regierungspartei AKP in einer Bank und blättert in seinen Notizen. Der Saal hat steil ansteigende, altmodische Sitzreihen, man hat Zeit, sich das anzuschauen, denn der Sitzungsbeginn verzögert sich, und das Fernsehen überträgt bereits.

Am Dienstag spielt sich in einem anderen Saal des Parlaments in Ankara erst einmal ein neues Drama ab: Die Nationalisten von der Partei MHP kündigen die Allianz mit der AKP auf - ohne die Unterstützung der Ultrarechten wäre Erdoğan vor vier Monaten nicht schon im ersten Wahlgang Präsident geworden.

Als es bei der AKP endlich losgehen kann, redet Erdoğan zunächst einmal über seinen Besuch in Moldawien und über eine neue Metrostrecke in Istanbul. Dann, ohne Überleitung, kondoliert er der Familie Khashoggis. Danach ist es mit den Formalitäten vorbei. Der türkische Präsident wirft den Saudis vor, sie hätten den Tod Khashoggis schon Tage im Voraus geplant, er spricht von "politischem Mord".

Erdoğan erzählt von einem Khashoggi-Doppelgänger

Damit verwirft Erdoğan alle bisherigen Erklärungsversuche aus Riad. Demnach kam der Journalist und Regimekritiker sozusagen aus Versehen ums Leben, wurde Opfer eines "Faustkampfs". Die Saudis hätten immer neue Versionen aufgetischt, beschwert sich Erdoğan und stellt Fragen, ähnlich wie ein Ermittler: "Warum wurde ein 15-köpfiges saudisches Kommando in die Türkei geschickt?"

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Erdoğan spricht von "Geheimdienstlern". Er berichtet, drei der 15 Männer seien schon einen Tag vor dem 2. Oktober, dem Tag des Verschwindens Khashoggis, nach Istanbul gekommen. Dies ist eines der wenigen neuen Details, die der Präsident präsentiert. Die drei hätten dann einen "Ausflug" in den Belgrad-Wald im Norden der Stadt gemacht, und in die Provinz Yalova. Dort wurde inzwischen nach dem Toten gesucht. Den habe man aber noch nicht gefunden, sagt Erdoğan und fragt weiter: "Wo ist die Leiche?" - "Und wer ist der lokale Komplize?"

Riad hat von einem örtlichen Helfer gesprochen, der den toten Khashoggi aus dem Istanbuler Generalkonsulat weggeschafft haben soll. Am Wochenende ist in Istanbul in einer Garage ein schwarzer Mercedes gefunden worden, mit einer grünen Diplomatennummer. In einem der weniger guten Stadtviertel, in denen Diplomaten gewöhnlich keine Dienstwagen abstellen.

Auch von einem Khashoggi-Doppelgänger erzählt Erdoğan den Abgeordneten. Dabei soll es sich um einen der saudischen Geheimdienstleute gehandelt haben, der die Kleider des Toten trug. Gut sichtbar für die Sicherheitskameras verließ der Mann das Konsulat durch den Hinterausgang. Wenn dies ein Täuschungsmanöver gewesen sein soll, dann ein sehr schlichtes.

Türkische Medien haben Bilder des Mannes gezeigt, das Double trug Turnschuhe, Khashoggi Halbschuhe. Der fragliche Mann im Jackett des Journalisten nahm sich ein Taxi und fuhr zur berühmten Sultan-Ahmed-Moschee. Dort, im Touristengewühl, betrat er eine öffentlichen Toilette und zog sich wieder um. Auch das haben Sicherheitskameras festgehalten.

Besonders interessant an Erdoğans Auftritt ist aber, was er nicht sagt: Mit keinem Wort erwähnt er die angeblich existierenden Ton- oder sogar Videoaufnahmen von der Ermordung Khashoggis. Türkische Medien haben unter Berufung auf anonyme Polizeiquellen in den letzten Tagen viel über diese "Beweismittel" berichtet. Auf den Bändern soll auch zu hören sein, wie der Generalkonsul von den Geheimdienstlern zum Schweigen verdonnert wird, wenn ihm sein Leben lieb sei. Dieser Mann, der ein wichtiger Zeuge wäre, ist inzwischen nach Riad zurückgekehrt.

Die Aufnahmen, sofern sie existieren, könnten ein Beleg dafür sein, dass die diplomatische Vertretung illegal abgehört wurde. Illegale Lauschangriffe sind in der Türkei zwar nicht unüblich, aber zuzugeben, dass in einem Konsulat mitgeschnitten wurde, ist doch politisch peinlich. So verbreiten türkische Medien inzwischen auch die Version, im Konsulat sei ein "Informant", ein Spitzel, am Werk gewesen.

Seltsames Schauspiel

Was Erdoğan noch vermeidet? Das saudische Königshaus direkt zu beschuldigen. "Ich zweifle nicht an der Aufrichtigkeit von König Salman", sagt er und fragt, "auf wessen Befehl" die Tat geschehen sei. Die Sympathien Erdoğans für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, kurz MBS genannt, dürften begrenzt sein. Schließlich gilt dieser als besonderer Feind der Muslimbrüder, als deren Schutzherr sich wiederum Erdoğan sieht.

Die regierungsnahe Zeitung Yeni Şafak hat MBS bereits direkt ins Visier genommen. Sie hat berichtet, aus dem Konsulat habe der Leibwächter des Kronprinzen, Maher Abdulaziz Mutrib, am 2. Oktober vier Mal mit dem Vorzimmer des Kronprinzen telefoniert.

Erdoğan verlangt, die Verantwortlichen für den "brutalen Mord" vor Gericht zu stellen, und zwar in Istanbul. Dazu müsste Riad die 18 inzwischen Festgenommenen aber ausliefern. Nach 20 Minuten wechselt der Präsident wieder das Thema. Er spricht jetzt über die zerplatzte Allianz mit dem rechten Partner. "Sollen sie doch ihren Weg alleine gehen", schimpft er, die AKP werde die Kommunalwahlen im März auch so gewinnen. Beifall. Eine Diskussion gibt es nicht, die Sitzung ist zu Ende, das Fernsehen schaltet ab.

Die türkischen Kommentatoren sind nach dem mit großem Trommelwirbel angekündigten Auftritt Erdoğans gespalten. Die regierungskritische Kolumnistin Aslı Aydıntaşbaş sieht sich als Zeugin eines "seltsamen Schachspiels", über das Schicksal von MBS werde aber Donald Trump entscheiden, nicht Erdoğan, twittert sie. Ibrahim Karagül, Chefredakteur der sehr Erdoğan-nahen Yeni Şafak, twittert: "Man erlebt ein Erdbeben im saudischen Palast. Es könnte aus sein mit dem Sohn Salman." MBS habe "viele Bosheiten gegenüber der Türkei" zu verantworten.

Das Verhältnis der beiden Länder ist wirklich schon länger nicht das beste. Vor drei Tagen hatte derselbe Autor geschrieben: "Wenn die Tonaufnahmen bekannt werden, kann Salman niemand retten." Dieses angebliche Beweisstück aber hat Erdoğan am Dienstag gar nicht erst erwähnt.

© SZ vom 24.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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