Süddeutsche Zeitung

Fall Jenna Behrends:Das Problem heißt nicht Henkel oder Behrends - sondern Sexismus

Parteien, denen Mitglieder und Wählerinnen davonrennen, können es sich nicht leisten, auf Sexismus-Vorwürfe mit Schlammschlachten zu reagieren.

Kommentar von Hannah Beitzer, Berlin

Ist Frank Henkel ein Sexist, weil er eine junge Frau "süße Maus" genannt hat? Oder ist Jenna Behrends, die mit Vorwürfen gegen ihn an die Öffentlichkeit gegangen ist, in Wahrheit eine, die "den Männern halb auf dem Schoß saß"? Hatte sie gar eine Affäre mit CDU-Generalsekretär Peter Tauber, mit der sie vor Parteifreundinnen geprahlt hat, die sie nun aber verheimlicht? Und hat der Fall Jenna Behrends angesichts all dieser Dinge "der Sache" eher geschadet als genutzt?

So in etwa läuft die Diskussion um Sexismus-Vorwürfe in der Berliner CDU. Und weil sie so läuft, lässt sich zumindest die letzte Frage ziemlich eindeutig beantworten: Der Fall Jenna Behrends hat "der Sache", also dem Kampf gegen Sexismus, nicht geschadet. Denn er ist exemplarisch für "die Sache". Die meisten Fälle, in denen Frauen mit Sexismus-Vorwürfen gegen mächtigere Personen an die Öffentlichkeit gehen, enden damit, dass die Frauen persönlich diskreditiert, angegriffen, sexistisch beleidigt oder lächerlich gemacht werden. Gerade das macht sie zu einem doppelt guten Beispiel dafür, dass Sexismus immer noch ein riesiges Problem ist.

Warum können sich nur Frauen "hochschlafen"?

Und der Fall Behrends ist auch inhaltlich exemplarisch: Warum zum Beispiel heißt es im Jahr 2016 immer noch ausschließlich über Frauen: "Die hat sich hochgeschlafen?" "Die lässt ihre Reize spielen"? Und die dazugehörigen Männer werden allenfalls gefragt: "Fickst du die?" Was oft genug anerkennend gemeint ist, dem Mann jedenfalls meistens nicht weiter schadet.

Warum kennen offenbar viele immer noch nicht den Unterschied zwischen einem Flirt auf Augenhöhe, wie er erklärtermaßen zwischen Behrends und Tauber stattgefunden hat, und herablassenden, anzüglichen, verletzenden Sprüchen, die im schlimmsten Fall auch noch vom Chef kommen? Und warum berichten heute noch so viele Frauen in der Politik, wie sie von Parteifreunden verniedlicht, auf ihr Aussehen reduziert, nicht ernst genommen, auf ihre Fickbarkeit abgecheckt, ausgeschlossen werden?

Da gibt es ganz offensichtlich ein Problem. Und dieses Problem heißt Sexismus. Was Jenna Behrends schildert, schildern viele Frauen, die es in der Politik zu etwas bringen wollen. Dass nämlich Sexismus eingesetzt wird, um sie kleinzuhalten, ihnen den Aufstieg zu verbauen, sie auf ihren Platz zu verweisen. Halt dich doch mal ein bisschen zurück, Mäuschen! Reicht doch, wenn du hübsch aussiehst, für die Frauenquote vorne auf dem Foto stehst. Wer sich das nicht gefallen lässt, wird schnell zur Hysterikerin, Furie, Schlange, Mata Hari erklärt.

Politik ist ein hartes Geschäft

Nun gibt es in der Debatte Kommentatoren, die sagen: Politik ist nun einmal so, schon immer so gewesen. Da wird alles ausgenutzt, was dem Konkurrenten schadet und das eigene Vorankommen befördert. Und Frauen kriegt man eben am besten mit Sexismus, Herablassung, persönlichen Angriffen klein. Da ist natürlich was dran. Auf der anderen Seite kann das für eine Partei in Zeiten massiv sinkender Mitgliederzahlen nun wirklich kein Argument sein. Erst recht wenn ihr, wie in den vergangenen Wahlen bei der Berliner CDU geschehen, auch noch die Wählerinnen und Wähler davonrennen.

Frauen, die sich aktiv einbringen, fehlen allen Parteien - der CDU besonders. Zum Beispiel sind nur 13 Prozent ihrer soeben gewählten Berliner Abgeordneten Frauen. Das liegt nicht nur an blöden Sprüchen, sondern auch daran, dass Politik oft genug dann stattfindet, wenn die sich um ihre Kinder kümmern. Ein Aspekt übrigens, den die alleinerziehende Mutter Jenna Behrends ebenfalls in ihrem offenen Brief anspricht. Der angesichts der aufgeregten Diskussion über Mäuse und weibliche Reize aber leider viel zu kurz kommt.

Was also kann die CDU aus dieser Debatte lernen? Zunächst einmal: Menschen in Parteien flirten. Sie haben Sex, sie verlieben sich, sie trennen sich. Sie lästern übereinander, sie streiten sich. Sie sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen, wie ein gutes Miteinander aussehen darf und soll. Was dem einen wie ein harmloses Kompliment, ein Scherz erscheint, ist für den anderen unangemessen. Das ist überall so, wo Menschen aufeinandertreffen und es ist an sich kein Grund zur Aufregung.

Ein Problem ist allerdings, wenn in diesem Miteinander eine bestimmte Gruppe systematisch benachteiligt wird. Dann muss eine Partei wie die CDU Mittel finden, diese Benachteiligung zu unterbinden, auszugleichen. Es sei denn, sie will auf die bewusste Gruppe verzichten. Das dürfte bei der Volkspartei CDU und den Frauen, die immerhin etwas mehr als 50 Prozent des Volkes stellen, nicht der Fall sein. Und doch verrät ein Blick auf die Mitgliederstatistik, dass nur ein Viertel aller CDU-Mitglieder Frauen sind.

Frank Henkel ist nicht sexistischer als viele andere

Die Frage im Fall Behrends ist daher nicht, ob Frank Henkel, der die Anschuldigungen bisher nicht dementiert, ein außergewöhnlich schlimmer Sexist ist. Glaubt man den vielen anderen Frauen, die schon seit Jahren von ähnlichen Vorfällen in der Politik oder im Job berichten, dann ist er das eher nicht. Sondern er verhält sich exakt so, wie sich immer noch zu viele Männer gegenüber Frauen verhalten. Teilweise ganz ohne bösen Hintergedanken, weil es für sie über Jahre normal war. Teilweise bewusst, um Frauen kleinzuhalten - siehe oben.

Die Frage ist: Wie will die CDU gerade für junge Frauen, die sie so dringend als Nachwuchs braucht, attraktiv werden? Und wie geht sie damit um, wenn diese jungen Frauen auf - so die gutwillige Lesart - mächtigere Männer treffen, die eine andere Vorstellung vom richtigen Miteinander haben als sie? Oder - so die weniger gutwillige Interpretation - bewusst auf Sexismus zurückgreifen, um den Aufstieg der Frauen zu sabotieren und das eigene Fortkommen zu befördern, das System zu erhalten?

"Halt dich mal ein bisschen zurück" ist nicht der richtige Ansatz. Denn Menschen, auch Frauen, kommen in eine Partei, um für ihre Vorstellungen von Politik zu kämpfen. Nicht, um sich zurückzuhalten. Es hilft auch nicht, sich auf die Position zurückzuziehen, Sexismus sei ein gesamtgesellschaftliches Problem - und seine Bekämpfung daher nicht allein Aufgabe der Parteien. Denn es ist die ureigene Aufgabe von Parteien, gesellschaftliche Probleme zu bekämpfen, Lösungen aufzuzeigen in den Fällen, in denen das Miteinander nicht klappt.

Von der Quote bis hin zu Förderprogrammen

Was also tun? Viele Parteien begegnen der offensichtlichen Benachteiligung von Frauen mit einer Quote für wichtige Posten und speziellen Förderprogrammen für Frauen. Das ist ein guter erster Schritt, weil diese Maßnahmen dafür sorgen, dass die männlichen Profiteure des Systems es nicht einfach aus Eigennutz so erhalten können wie es ist. Es ist außerdem wichtig, dass nicht nur Männer in einer Partei über ausreichend Macht und Einfluss verfügen, um Regeln für das Miteinander aufzustellen.

Doch Quoten und Förderprogramme sind eben nicht alles. Auch das zeigte der Fall Jenna Behrends. Sie wurde ja gefördert, sie hat ja einen Posten bekommen. Nur die Begleitumstände waren nicht so, dass sie sich darüber freuen konnte. Sondern so, dass sie sich fragen musste: Ist es das wert? Und das hatte nicht ausschließlich was mit den Männern in der Partei zu tun. Sondern auch mit den Frauen, die sich ihr gegenüber im Nachteil sahen und das Stereotyp von der hübschen Kleinen, die zu ihrem Vorteil den Männern auf den Schoß springt, gerne bestätigten.

Es sind diese Bilder, die raus müssen aus den Köpfen. Und dafür ist es einerseits wichtig, dass Frauen blöde Sprüche nicht einfach mit einem "Ist schon immer so gewesen" hinnehmen. Es ist wichtig, dass sie sich Verbündete suchen, die sich ebenfalls einen anderen Umgang innerhalb der eigenen Organisation wünschen.

Es ist aber genauso wichtig, dass die, die heute schon Machtpositionen innehaben, Verhaltensweisen unterbinden, die so offensichtlich der eigenen Organisation schaden. Wie wäre es zum Beispiel mal, anstelle der jungen Frauen diejenigen in den Blick zu nehmen, die ihnen das Leben mit Sexismus schwermachen? Für die könnte es doch mal spezielle "Förderprogramme" geben - zur Förderung eines besseren Miteinanders. Das wäre eine feine Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie komisch es ist, dass sich immer nur die Frauen "hochschlafen". Während die Männer selbstverständlich ihre Posten kriegen, weil sie "gut netzwerken" oder "politisches Talent" haben.

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