Süddeutsche Zeitung

Fall Cicero:Bundesregierung lehnt "Journalistenprivileg" ab

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Berlin hat sich gegen eine weitgehende Straffreiheit von Journalisten für die Veröffentlichung geheimer Dokumente ausgesprochen - und die umstrittene Razzia bei der Zeitschrift Cicero verteidigt.

"Ein Journalistenprivileg kann es unseres Erachtens nicht geben", sagte Justizstaatssekretär Lutz Diwell bei einer Anhörung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

Cicero hatte im April 2005 einen Artikel über den inzwischen getöteten Terroristen Abu Musab al Sarkawi veröffentlicht. Darin wurde aus einem als "Verschlusssache" gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) zitiert - der niedrigsten Geheimhaltungsstufe, die laut Verlegerverband so geheim ist "wie der Speiseplan der BKA-Kantine".

Bei einer vom Amtsgericht Potsdam angeordneten Aktion wurden daraufhin die Potsdamer Redaktionsräume von Cicero sowie die Wohnung des Autors Bruno Schirra durchsucht und Datenträger beschlagnahmt.

Verletzung der Pressefreiheit

Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer hat gegen diese Vorgehensweise der Behörden eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, über die der Erste Senat des obersten Gerichts nun verhandelt. Ein Urteil wird Anfang 2007 erwartet.

Weimers Anwalt, Alexander Ignor, kritisierte die Durchsuchung der Redaktion durch die Potsdamer Justiz als Verletzung der Pressefreiheit.

Dem Staat sei es zwar unbenommen, die Geheimhaltung vertraulicher Dokumente an der Quelle, also bei seinen Bediensteten, durchzusetzen, sagte Ignor. Würden aber Journalisten allein wegen der Entgegennahme und Veröffentlichung solcher Informationen mit Strafverfolgung überzogen, dann hätte es der Staat in der Hand, bestimmte Informationen beliebig dem öffentlichen Diskurs zu entziehen.

Verleger- und Journalistenverbände warnten davor, dass solche Aktionen der Justiz den Informantenschutz aushebelten und letztlich den Zugang der Presse zu Informationen von öffentlichem Interesse erschwerten.

Kritik der Verfassungsrichter

Diwell dagegen beharrte darauf, dass sich Medienvertreter in solchen Fällen wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machten. "Die Pressefreiheit ist nach dem Grundgesetz nicht uneingeschränkt gewährleistet."

Mehrere Verfassungsrichter konfrontierten die Regierung mit kritischen Nachfragen. Da nach der derzeitigen Lesart der Gerichte ein Journalist schon durch die bloße Veröffentlichung vertraulicher Dokumente in den Verdacht einer Beihilfe geraten könne, bestehe keine wirkliche Hürde gegen Ermittlungen, sagte Wolfgang Hoffmann-Riem, in dem Verfahren als "Berichterstatter" federführend.

Sein Kollege Reinhard Gaier vermutete ein strukturelles Problem: "Was der Gesetzgeber will - nämlich einen profilaktischen Schutz der Pressefreiheit - findet nicht mehr statt."

Wer den Bericht an die Presse weitergegeben hatte, ist bis heute ungeklärt. Hoffmann-Riem merkte an, dass rund 200 BKA-Bedienstete Zugang zu dem Papier hatten.

Die Vorwürfe blieben letztlich fast ohne strafrechtliche Folgen für die Journalisten: Im Februar stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Weimer gegen Zahlung von 1000 Euro ein; im Juli lehnte das Potsdamer Landgericht die Eröffnung eines Verfahrens gegen Schirra und einen weiteren Journalisten ab.

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dpa
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