Fall Boulgarides im NSU-Prozess:Grausame Bilder voller Hoffnung

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Der Grieche Theodorous Boulgarides wurde in seinem Schlüsseldienst an der Donnersberger Brücke in München mit Kopfschüssen ermordet. (Foto: Stephan Rumpf)

Im NSU-Prozess werden die Bilder des Tatorts gezeigt, an dem der Grieche Theodoros Boulgarides in München erschossen wurde. Alles wirkt frisch renoviert - das Opfer hatte nur zwei Wochen vor seinem Tod einen Laden aufgemacht, hier wollte er neu anfangen. Doch mitten in diesen Anfang schossen die Mörder.

Von Annette Ramelsberger

Man kommt sich fast vor wie ein Voyeur. Im Gerichtssaal werden die Bilder des Tatorts gezeigt, an dem der Grieche Theodoros Boulgarides am 15. Juni 2006 als siebtes Opfer des NSU in München erschossen worden ist. Es war ein kleiner Laden mit einem Schlüsseldienst darin, ganz nahe der Donnersbergerbrücke. Hinter dem Laden schloss sich die Wohnung an, in die Boulgarides gerade eingezogen war. Im Gang lehnten noch drei Leitern, die er für die Renovierung gebraucht hatte. Über dem Stuhl im Büro hängt noch die Lederjacke des Toten, mit seiner Visitenkarte darin.

Es sind in diesem Fall nicht die blutigen Bilder mit dem Erschossenen, die einen erschrecken lassen wie bei so vielen anderen Opfern des NSU. Es sind diesmal die Bilder, auf denen kein Blut ist, die Bilder, auf denen alles so sauber, aufgeräumt, frisch renoviert erscheint. Bilder voller Hoffnung. Hier hatte Boulgarides nur zwei Wochen vor seinem Tod seinen Laden aufgemacht, hier wollte er neu anfangen. Mitten in diesen Anfang schossen die Mörder.

Da liegt der Schlafanzug ordentlich auf dem Bett im Schlafzimmer, da steht ein Teller mit Apfelschnitzen auf dem Couchtisch im Wohnzimmer, zwei Gläser mit einem Rest Rotwein daneben. Man geht geleitet von einem Polizisten, der die Bilder gemacht hat, durch das Bad, die Küche, das Büro, den Keller. Durch ein ganzes Leben.

Die Polizei hat alles dokumentiert. Welche Zettel an der Pinnwand im Büro hingen, wo der Kühlschrank stand, dass der Fußabstreifer gelbe und blaue Blumen aufgedruckt hatte. Und dass das Bad "bestimmungsgemäß" eingerichtet war. Es war alles in dieser Wohnung "bestimmungsgemäß", nichts außergewöhnlich. Das machte es der Polizei ja so schwer, irgendeinen Ansatz für Ermittlungen zu finden.

Alles wurde durchsucht, der Rauschgifthund schnüffelte sogar im Keller. Doch nirgendwo fand sich irgendeine Spur. Später fragten die Beamten die Familie und die Freunde, ob das Opfer spielsüchtig gewesen sei oder sexsüchtig. Und konnten nicht glauben, dass das einfach nur ein ganz normaler, friedlicher Mann war. Niemand kam auf die Idee, dass Rechtsradikale hier eine Hinrichtung exekutiert hatten.

"Die totale Zerstörung"

Boulgarides stand hinter der Theke im Laden, als die Mörder kamen. Draußen stoppte alle fünf Minuten ein Bus direkt vor dem Haus. Nebenan schauten Nachbarn aus der Tür einer Gaststätte, sie sahen Boulgarides gerade noch im Laden stehen. Doch die Mörder sah niemand. Sie schossen Boulgarides direkt ins Gesicht. Und als er am Boden lag, schossen sie ihm noch zweimal durch den Kopf. Das Herz schlug noch ein paar Minuten. Kurz vor 19 Uhr kam der Geschäftspartner von Boulgarides, er hatte ihn telefonisch nicht erreicht. Da war Boulgarides schon tot.

Boulgarides war das einzige griechische Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds. Er hinterließ eine Frau, zwei halbwüchsige Töchter, eine Mutter. Und den Geschäftspartner. Der hat ihn auch gefunden, tot hinter dem Tresen. Gerade zwei Wochen vorher hatten die beiden ihren Laden eröffnet. "Können Sie etwas über die Folgen der Tat für die Familie berichten?", fragte Richter Manfred Götzl am Dienstag.

Der Geschäftspartner ist Bayer, Kaufhausdetektiv. Ein wortkarger, fast lakonischer Mann. Er sagt nur: "Die totale Zerstörung. Und nicht nur für die Angehörigen." Er will sich zurückhalten, aber dann erzählt er doch. Monatelang habe ihn die Polizei immer wieder vorgeladen, ihn und seine Mitarbeiter. Immer wieder ging es ums Gleiche. "Die ganze Zeit hat mich die Polizei schikaniert." - "Um welche Themen ging es?", fragt der Richter. "Es drehte sich immer im Kreis. Wie wir zueinander standen. Ob der Kollege sexsüchtig war oder spielsüchtig. Die wollten uns in den Dreck ziehen. Das haben sie auch geschafft. Ich hab auch Kunden verloren."

Es ist das gleiche Muster wie bei allen Fällen: Die Polizei suchte in der Familie, bei den Geschäftspartnern, aber nie in der rechtsradikalen Szene. "Er war der freundlichste Mensch, den man sich nur vorstellen kann", sagt der Zeuge über das Opfer, "er war immer auf Frieden aus." Als Bilder vom Tatort gezeigt werden, verlassen die Töchter und die Witwe am Dienstag den Saal. Am Mittwoch kommen die Gerichtsmediziner und Waffenexperten, sie berichteten über Einschusswinkel, Verletzungen, Blutbahnen. Die Witwe und die zwei Töchter sind nicht im Saal.

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