Fall Anis Amri:Die verschwundenen 13 Tage

Der LKW nach dem Anschlag auf den am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin.

Der LKW, mit dem Amri seinen Anschlag verübte.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)
  • Der Berliner Untersuchungsausschuss zum Fall Anis Amri hat offenbar von der Behörde des Berliner Innensenators unvollständige Akten geliefert bekommen.
  • So fehlen in den Unterlagen Observierungsberichte von 13 Tagen.
  • Von den Abgeordneten kommt Kritik, die Arbeit des Ausschusses werde behindert.

Von Reiko Pinkert und Ronen Steinke, Berlin

Die Behörde des Berliner Innensenators hat offenbar einzelne Akten zum Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri dem Berliner Untersuchungsausschuss nicht zur Verfügung gestellt. Der Ausschuss soll Versäumnisse von Polizei und Behörden aufklären. Es geht um 13 Tage, an denen der spätere Attentäter observiert worden sein soll - beginnend am 18. Februar 2016, dem Tag, als Amri mit einem Flixbus von Nordrhein-Westfalen nach Berlin fuhr. Zu jedem dieser 13 Tage gibt es einen Observationsbericht. Aber in den Unterlagen, welche die Parlamentarier erhalten haben, fehlen diese Berichte, wie nun die Innenbehörde bestätigte.

Die Abgeordneten merkten davon zunächst nichts, und als vor wenigen Tagen die ersten Nachfragen bei der Innenbehörde aufliefen, hieß es zunächst, die Akten seien längst an die Parlamentarier geliefert worden. Erst am Dienstag räumte der Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD), Martin Pallgen, auf Nachfrage ein, dass die Unterlagen nie verschickt worden seien. Sie befänden sich noch immer in der Geschäftsstelle des Sonderermittlers Bruno Jost, der im April 2017 vom Senat zur Aufklärung des Falles bestellt worden war. "Das Büro Jost soll diese Akten in den nächsten Tagen übermitteln. Sobald diese aufbereitet sind, werden sie dann - wie üblich - dem Ausschuss zur Verfügung gestellt", teilte Pallgen mit.

"Verzögerungsspielchen des Senats" behinderten die Aufklärung, kritisiert die FDP

Jost hat seinen Abschlussbericht über den Anschlag bereits im Oktober 2017 vorgestellt. Darin kritisierte er "katastrophale Zustände" in der zuständigen Abteilung 5 des Landeskriminalamts Berlin. Polizisten hätten Akten nachträglich manipuliert, um zu verschleiern, wie eine Gelegenheit zur Festnahme Amris verpasst wurde. Seitdem ist Josts Arbeit an dem Fall beendet.

Dass bei ihm dennoch wichtige Akten lagern und auch nicht sofort ausgehändigt werden können, löste bei den Abgeordneten am Dienstag Unverständnis aus. "Der Senat blockiert die Aufklärung meines Erachtens, wo er nur kann", kritisierte Marcel Luthe, Sprecher der FDP im Ausschuss. Das Gremium werde "durch die permanenten Verzögerungsspielchen des Senats massiv bei der Aufklärung behindert." "Dass immer noch wichtige Akten in der Geschäftsstelle des Sonderermittlers Jost liegen sollen, ist mir unverständlich", sagte der Abgeordnete Niklas Schrader, Sprecher der Linkspartei im Ausschuss. "Wir warten darauf seit acht Monaten."

Schließlich seien die Berichte "unerlässlich für die Aufklärung des Falls Amri." Der Abgeordnete Benedikt Lux, Sprecher der Grünen im Ausschuss, sagte: "Ich sehe keinen Grund, weshalb die Akten erst so spät geliefert werden. Die Geduld bezüglich dieser und weiterer wichtiger Akten, die wir von der Innenverwaltung erwarten, schwindet." Auch der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger (CDU) zeigte sich "irritiert" darüber, dass dem Ausschuss diese Observationsberichte fehlten. "Wir wollen sie haben, und ich will von der Senatsverwaltung auch wissen, wie es dazu kommen kann, dass wir sie noch nicht haben." Jost selbst war für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.

Gerade ein Vorgang, der in diesen Berichten dokumentiert sein soll, gilt als besonders interessant. Als Amri am 18. Februar 2016 von Nordrhein-Westfalen nach Berlin fuhr, informierte das Landeskriminalamt NRW die Berliner Kollegen über den Ortswechsel und bat, Amri heimlich zu beobachten, weil man ihn zu diesem Zeitpunkt bereits für einen islamistischen "Gefährder" hielt. Die Berliner Beamten aber fingen Amri am Busbahnhof ab, sodass seine Überwachung von da an nicht mehr heimlich war.

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