Fake News:Viele kleine Lügen

U.S. President Trump talks to reporters as he boards Air Force One for travel to Pennsylvania from Morristown Municipal Airport in Morristown, New Jersey

Der Washington Post zufolge hat US-Präsident Trump in den letzten 928 Tagen rund 12 000 falsche oder missverständliche Aussagen getätigt.

(Foto: REUTERS)

Ist die Realitätswahrnehmung erst einmal verschoben, helfen keine korrekten Zahlen und Fakten mehr, um Lügen zu widerlegen. Dann braucht es eine wirkmächtige Gegenerzählung.

Gastbeitrag von Katarina Bader

Im Internet verbreitete Falschmeldungen gefährden unsere Demokratie in hohem Maße. Die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen könnten die ersten überregionalen Wahlen in Deutschland sein, deren Ergebnis zumindest indirekt von Fake News mitbestimmt wird. Denn Narrative, die sich auf falsche Tatsachenbehauptungen stützen, fallen besonders in den östlichen Bundesländern auf äußerst fruchtbaren Boden.

Um zu verstehen, wie online verbreitete Falschmeldungen wirken, genügt es jedoch nicht zu untersuchen, welche Lügen unmittelbar vor Wahlen im Internet kursieren, und abzufragen, wer welche dieser Lügen glaubt. Die Annahme, die hinter solchen Untersuchungen steht, ist, dass ein argloser Bürger auf Facebook auf eine erfundene Meldung stößt, den Inhalt fälschlicherweise glaubt, die Meldung weiterteilt und dass auf Grundlage von solchen falschen Tatsachenbehauptungen dann Wahlentscheidungen getroffen werden.

Dieses Szenario geht aber an der Realität im deutschsprachigen Internet vorbei: Untersuchungen zeigen, dass Falschmeldungen sich in Deutschland nicht so sehr von User zu User verbreiten, sondern vor allem dank einiger großer Accounts und Gruppen mit vielen Abonnenten, die von populistischen Politik- und Medienakteuren betrieben werden. Diese Seiten werden dann von Menschen, die ohnehin ein rechtspopulistisches Weltbild teilen, meist bewusst angesteuert.

Viele kleine Lügen etablieren ein Narrativ

Auf solchen Seiten sind Fake News ein regelmäßig auftretendes Phänomen, aber einzelne Lügen, die für sich genommen das Potenzial haben, Wahlen zu entscheiden, findet man hier trotzdem nicht. Das Problem sind eher viele kleine Lügen, die die Realitätswahrnehmung langsam verschieben: Aus der völlig zu Recht zur Anzeige gebrachten Grapscherei eines 14-Jährigen, begangen an einem gleichaltrigen Mädchen im Schwimmbad, wird auf Seiten wie "Halle Leaks" eine versuchte Vergewaltigung an einem Kind durch einen "fetten Grapsch-Islamisten". Die Tat ist also nicht komplett erfunden, aber das Verbrechen größer, das Opfer jünger und der Täter älter und fremder gemacht.

Diese Form von Fake News hat dazu beigetragen, dass sich in Deutschland drei recht konkrete Narrative etabliert haben, die die öffentliche Debatte verändern und das bis hinein in die Qualitätsmedien. Zum Ersten das Bedrohungsnarrativ, es lautet: Wir Deutsche werden in unserem alltäglichen Leben ständig bedroht von kriminellen Ausländern - im Schwimmbad, in der Schule, in der Fußgängerzone. Untersuchungen zeigen: Zu keinem anderen Thema kursieren in Deutschland so viele Fake News wie zu Migration und Kriminalität.

Durch viele kleine Lügen wird ein Narrativ etabliert, das sofort aktivierbar ist, wenn Entsetzen über ein Gewaltverbrechen herrscht, das tatsächlich so von einem Migranten begangen wurde, wie beispielsweise nach dem grausamen Tod eines achtjährigen Jungen am Frankfurter Hauptbahnhof. In solchen Krisensituationen und nicht im unmittelbaren Vorfeld von Wahlen erreichen Fake-News-Produzenten und -Verbreiter mit ihren Narrativen und mit ihren hinzuerfundenen Details auch Menschen, die sonst nicht oder nur selten Fake News konsumieren.

Die Erzählung vom bösen Ausländer ist mitnichten neu: In der alten BRD verbreitete sie sich schon massenhaft, als die ersten Gastarbeiter ins Land kamen - damals noch mithilfe etablierter Medien. Erst langsam wurde sie, vor allem im Westen und in Großstädten wie Leipzig, durch private Kontakte mit Migranten relativiert.

Neurechte Verlage inszenieren sich als die Stimme der Ungehörten

Zum Zweiten existiert das Vertuschungsnarrativ, wonach die politische Elite in Deutschland "ihr Volk" kriminellen Migranten ausgeliefert hat und nun - in enger Zusammenarbeit mit elitenhörigen Mainstream-Medien - zu vertuschen versucht, wie groß die alltägliche Gefahr ist.

Man könnte annehmen, dass in deutschsprachigen Fake News vor allem gegen Migranten gehetzt wird - erstaunlicherweise wird aber gerade in den Artikeln, die mit falschen Fakten über Migration und Kriminalität berichten, noch öfter gegen Eliten als gegen Minderheiten gewettert. Fake News über bösartige Vertuschungsversuche sind dort besonders wirksam, wo das Vertrauen in klassische Medien gering ist. Im Osten Deutschlands ist es um gut zehn Prozent niedriger als im Westen. Kein massiver Unterschied, aber einer, der sich auswirkt.

Zum Dritten schließlich gibt es das Diskriminierungsnarrativ: "Normale Deutsche" und Menschen mit einer rechten Gesinnung werden in Deutschland grundsätzlich nicht gehört und diskriminiert. In den Medien kommen sie demnach überhaupt nicht zu Wort. Auch dieses Narrativ hat viel mit der Nähe und Erreichbarkeit klassischer Medien zu tun und hier ist der Ost-West-Unterschied wahrscheinlich am deutlichsten: Nur wenige DDR-Verlage und Nach-Wende-Gründungen haben die Medienkrise überlebt.

Den etablierten westdeutschen Verlagen ist es ebenfalls nicht gelungen, ein Forum für die gesellschaftlichen Diskurse zu sein, die nach den großen Erschütterungen durch die Wende und die fast gleichzeitig einsetzende Globalisierung hätten geführt werden müssen.

Zusammengezimmerten Meldungen und "Merkel-muss-weg"-T-Shirts

Diese Leerstelle wird von neurechten Verlagen gefüllt. Einige begnügen sich mit schnell zusammengezimmerten Meldungen und verkaufen nebenbei "Merkel-muss-weg"-T-Shirts. In anderen werden aber Debatten im feuilletonistischen Stil geführt und in diese Debatten hier und da ein paar falsche Zahlen und Fakten eingespeist. Viele zentrale Akteure dieser Publikationen stammen ursprünglich aus dem Westen, einige lernten dort in linken Publikationen das journalistische Handwerk. Nun inszenieren sie sich als die Stimme der Ungehörten.

Alle drei Narrative sind gesamtdeutsche Erzählungen, die überall in Deutschland verbreitet und geglaubt werden. Der Unterschied zwischen Ost und West ist graduell, nicht absolut. Die Narrative besser zu verstehen ist Aufgabe der Wissenschaft. Sie zu entkräften ist Aufgabe der vielen Bürger in Ost und West, die sie nicht teilen. Doch das Entkräften wird nicht allein durch das Einspeisen korrekter Zahlen und Fakten gelingen. Stattdessen muss ein glaubwürdiges und wirkungsmächtiges Gegennarrativ etabliert werden. Am besten ein gesamtdeutsches.

Zur SZ-Startseite

"Science"-Studie zu Fake-News
:Die Lügen der hyperaktiven Cyborgs

Forscher haben untersucht, wie und von wem Falschnachrichten während der US-Wahl 2016 verbreitet wurden. Die Experten schlagen ein Gegenmittel vor.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: